Hofreiter zu EU-Asylrechtsreform "Alle in der Grünen-Spitze müssen sich darum bemühen, dass dieser Kompromiss in der Form nicht kommt"

Der Grüne Anton Hofreiter ist schwer enttäuscht von dem Kompromiss für das EU-Asylrecht
Der Grüne Anton Hofreiter, hier im Bundestag, ist schwer enttäuscht von dem Kompromiss für das EU-Asylrecht
© Kay Nietfeld / DPA
Der Kompromiss zum europäischen Asylrecht versetzt die Grünen in Aufregung. Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses, lässt im Interview kein gutes Haar an den Plänen – und fordert von der eigenen Parteispitze eine Kehrtwende.

Die EU-Innenminister haben sich auf eine umfassende Reform der europäischen Asylpolitik verständigt – und damit auf einen deutlich härteren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive (welche Maßnahmen beschlossen wurden, lesen Sie hier). Den Grünen droht nun ein Großkonflikt: die Parteispitze ist zerstritten, die Parteibasis in Aufregung. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, zum Zeitpunkt der Einigung in Kolumbien, änderte kurzerhand ihr Programm, um ihre Partei beruhigen (der stern berichtete). Anton Hofreiter will sich nicht beruhigen lassen. Er will die Umsetzung der Pläne verhindern. 

Herr Hofreiter, wie beurteilen Sie den Asylkompromiss, auf den sich gestern die EU-Innenminister in Luxemburg geeinigt haben?
Anton Hofreiter: Ich halte die Regelungen zur Asylrechtsverschärfung auf mehreren Ebenen für falsch. Der Kompromiss ist aus humanitären Gründen mehr als bedenklich. Er ist zudem geostrategisch hochproblematisch. Viele Länder werfen Europa Doppelmoral vor, der Vorwurf gewinnt nun an Substanz. Und drittens: Der Kompromiss wird auch aus Sicht derjenigen, die für die Verschärfung eintreten, die Probleme nicht lösen. Schlepper werden davon profitieren, für die Menschen wird die Flucht nur noch gefährlicher.

Die Grünen hatten zwei klare Forderungen: Asylverfahren an den EU-Außengrenzen soll es nur dann geben, wenn ein verbindlicher EU-Verteilungsschlüssel verabredet wird. Und vor allem: Wenn Kinder und Familien davon ausgenommen werden. Mit dem zweiten Punkt konnte sich die Bundesinnenministerin offenbar nicht durchsetzen. Was heißt das?
Dass nun selbst Familien mit Kindern und Jugendlichen an den Außengrenzen in Lagern inhaftiert werden sollen, ist besonders problematisch. Das zeigt, dass Frau Faeser nicht erfolgreich verhandelt hat.

Die Innenministerin sagt, sie haben dem zustimmen müssen, um den Erfolg nach jahrelangen Verhandlungen nicht zu gefährden. Also ist sie eingeknickt?
Es ist von Frau Faeser auf alle Fälle ein Einknicken vor rechtspopulistischen Positionen. Es besteht die Gefahr, dass die Aggression gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund zunimmt. Wir haben das in den 90er Jahren in Deutschland erlebt, nachdem das Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16 Grundgesetz verschärft worden war.

Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ist gerade auf Südamerika-Reise, hat aber einen 5-seitigen Entschuldigungsbrief an die Parteibasis geschrieben, in dem sie letztlich aber den gefundenen Asylkompromiss verteidigt. Also liegt Frau Baerbock falsch?
Ich halte die Verschärfung des Asylrechts für einen Fehler. Und ich erwarte, dass der nicht verteidigt wird, sondern dass die gesamte Grünen-Spitze, einschließlich der Minister, jetzt alles dafür tut, dass die Reform in der Form nicht kommt, und wir stattdessen gemeinsam an einer vernünftigen und humanitären Lösung arbeiten.

Jetzt ist das glatte Gegenteil der Fall. Die Parteispitze ist in dieser Frage zerstritten: Parteichef Ricarda Lang dagegen, Parteichef Omid Nouripour dafür. Fraktionschefin Katharina Dröge dagegen, Fraktionschefin Britta Haßelmann dafür, die Kabinettsmitglieder offenbar auch. Was gilt denn jetzt bei den Grünen?
Das ist in Teilen noch offen. Wir Grüne geben da gerade kein schönes Bild ab. Deswegen formuliere ich ja die klare Forderung, dass sich jetzt alle in der Führung gemeinsam und geschlossen zumindest darum bemühen, dass dieser Kompromiss in der Form nicht kommt.

Jetzt teilen sich Zustimmung und Ablehnung in dieser Frage nach der klassischen alten Parteilogik der Grünen: linker Flügel dagegen, Realo-Flügel dafür. Ist das ein Zeichen für die Rückkehr der Flügelkämpfe, die man für überwunden hielt?
Die Sorge habe ich nicht. Das liegt in diesem Fall eher an den politischen Schwerpunkten der handelnden Personen. Aber unabhängig davon, wer sich jetzt wie positioniert hat, erwarte ich von allen, dass sie sich jetzt zusammenraufen.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, das Vorhaben nun im europäischen Parlament noch verändern zu können? Dort sind die Mehrheiten nicht unbedingt pro Asyl gestimmt.
Es besteht die Chance, dass wir dort Vieles noch zum Besseren wenden können. Um so wichtiger ist es, dass die Grünen jetzt geschlossen, die Kräfte im Europa-Parlament unterstützen, die sich darum bemühen.

Die Aufregung an der grünen Basis und in der Bundestagsfraktion ist jedenfalls groß. Nicht wenige haben den Eindruck, in dieser Ampel müssten vor allem die Grünen immerzu Kröten schlucken: Rüstungsexporte, 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, längere Atomlaufzeiten – und gerade wird Robert Habecks Wärmewende zerhackstückt …
Ich glaube nicht, dass die Grünen die meisten Kröten schlucken mussten. Die Waffenlieferungen wollten wir übrigens am meisten. Bei den Erneuerbaren Energien haben wir einiges erreicht. Beim Gebäudeenergiegesetz ist das Verfahren wirklich unterirdisch, aber noch nicht abgeschlossen. Aber bei dieser Frage geht’s um grundlegenden Umgang mit Menschen, die nach Europa wollen. Dieser Umgang darf nicht noch unmenschlicher werden.

Haben Sie den Eindruck, dass das in der Ampel eine mehrheitsfähige Position ist? Frau Faeser, die außerdem Spitzenkandidatin der SPD in Hessen für die Landtagswahl im Herbst ist, hat offenbar eine andere Sicht.
Ich habe die Erwartung, dass sich auch eine liberale und eine sozialdemokratische Partei an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden fühlt.

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