Die Grünen scheinen sich in ihrer Uneinigkeit abgestimmt zu haben. Zumindest in ihrer Bewertung der derzeitigen Lage an den EU-Außengrenzen sind sich viele Grüne einig, die sei "unerträglich". Doch die folgende Analyse, wie nun mit den Menschen umzugehen sei, unterscheidet sich innerhalb der Partei wesentlich. Wenn die Kritik auch immer mit "Respekt vor denen, die zu einer anderen Einschätzung kommen" geäußert wird.
Der Asyl-Kompromiss der EU soll schnellere Verfahren und Rückführungen für Menschen ermöglichen, die nach einer kurzfristigen Prüfung keine Chancen auf Asyl hätten. Minderjährige sind dabei nicht ausgeschlossen – eine Forderung, die mehr als 700 Grüne in einem Brief an die Partei-Spitze vor wenigen Tagen formuliert hatten: "Minderjährige Geflüchtete und ihre Eltern dürfen keinesfalls in solch ein Grenzverfahren kommen." Doch Innenministerin Nancy Faeser, die für Deutschland verhandelt hat, konnte sich in Luxemburg nicht durchsetzen.
Nun ist die Grüne Partei wahlweise entsetzt oder froh, einen Kompromiss erreicht zu haben. Je nachdem, wen man fragt. In vorderster Reihe steht Außenministerin Baerbock, die die Abmachung verteidigt. In einem Brief an die Grüne Fraktion des Bundestags schreibt sie: "Kein Kompromiss hätte bedeutet, dass gar keine Geflüchteten mehr verteilt werden. Dass Familien und Kinder aus Syrien oder aus Afghanistan, die vor Krieg, Folter und schwersten Menschenrechtsverletzungen geflohen sind, dauerhaft und ohne Perspektive an der Außengrenze festhängen." Die Entscheidung sei ihr "auch persönlich sehr schwergefallen", doch sie halte die Einigung für richtig. Der Brief liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
Grüne Jugend "fassungslos"
Doch schon die Parteispitze der Grünen sieht das teilweise anders. Nahezu zeitgleich veröffentlichten mehrere Köpfe der Grünen Statements auf Twitter, die sprachlich zum Teil ähnlich klingen, aber zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Parteivorsitzende Ricarca Lang schreibt, Deutschland hätte dem Kompromiss nicht zustimmen dürfen. Eine Reform könne es nicht um jeden Preis geben.
Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour dagegen kommt zu dem Schluss, die Zustimmung Deutschlands sei ein "notwendiger Schritt, um in Europa gemeinsam voranzugehen".
Ganz anders sieht das die Grüne Jugend und ihre Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich. Sie sei "fassungslos", schreibt sie auf Twitter:
Ähnlich klar formuliert Heinrichs Co-Sprecher Timon Dzienus seine Position. "Das ist unmenschlich und ich werde das so nicht akzeptieren", schreibt er noch am Abend. Erik Marquardt, der für die Grünen im Europa-Parlament sitzt, antwortet mit einem einfachen "Nein" auf das Statement von Innenministerin Nancy Faeser, der Kompromiss sei human und solidarisch.
Auch einige Grünen-Abgeordnete aus dem Bundestag äußern sich. Awet Tesfaiesus zum Beispiel, die seit Oktober 2021 im Bundestag sitzt. Sie habe ihre Arbeit als Anwältin für Asylrecht aufgegeben, um mehr für Geflüchtete bewirken zu können – "ich bin wahnsinnig enttäuscht."
Julian Pahlke, ebenfalls Grüner im Bundestag, bezeichnete den Donnerstag gar als "vielleicht bittersten Tag seines politischen Lebens": "Es ist auch demokratietheoretisch ein Desaster, dass Faeser das Gegenteil vertreten hat von dem, was im Koalitionsvertrag fachlich ausgehandelt wurde."
103 Millionen Geflüchtete weltweit – diese Länder nehmen die meisten auf
Ein Großteil der Menschen kommt aus dem Nachbarland Myanmar, wo die muslimische Minderheit der Rohingya seit Jahrzehnten verfolgt wird, besonders seit einer Offensive der myanmarischen Armee im August 2018. Bangladesch erkennt die Genfer Flüchtlingskonvention zwar nicht an, nimmt aber seit Jahrzehnten eine hohe Zahl an Geflüchteten auf. Diese haben allerdings keinen legalen Aufenthaltsstatus, was die Sicherheitslage für sie schwieriger macht. Bangladesch hat etwa 171 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, Geflüchtete stellen einen Anteil von rund 0,55 Prozent.
Und Aminiata Touré, Landesministerin für Soziales und Familie in Schleswig-Holstein, bezeichnete den Asyl-Kompromiss als "nicht tragbar". Sie verwies ebenfalls auf den Koalitionsvertrag, den sie im Herbst 2021 für die Ampel-Parteien noch mitverhandelte.
Nach den vielen Zugeständnissen der vergangenen Monate dürfte der Asylkompromiss die Grüne Partei wohl noch eine Weile beschäftigen.
Der Asyl-Kompromiss bedeutet einen härteren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive
Am Donnerstagabend haben sich die Innenministerinnen und -minister der Europäischen Union auf eine Verschärfung des Asylrechts geeinigt. Wer aus einem Staat kommt, der als sicheres Herkunftsland gilt, könnte in eine Aufnahmeeinrichtung mit "haftähnlichen Bedingungen" kommen. Dort soll innerhalb von drei Monaten geprüft werden, ob die antragstellende Person überhaupt die Chance auf Asyl hat. Falls nicht, soll man umgehend zurückgeschickt werden.
Innenministerin Nancy Faeser will sich weiter dafür einsetzen, dass Minderjährige noch von der Regelung ausgeschlossen werden. Denn der Kompromiss muss vom Europa-Parlament noch verhandelt und verabschiedet werden. Die dortige Grüne Fraktion hat am Freitagvormittag angekündigt, dagegen stimmen zu wollen.
Quellen: Twitter, Informationen der Nachrichtenagenturen