Krieg in Nahost Der Schock über die Grausamkeit der Hamas sitzt tief. Was Israelis der Verzweiflung entgegensetzen

trauernde Menschen stehen zusammen und gedenken ihrer Verstorbenen.
Trotz des Terrors in Israel schließen sich gerade viele Menschen vor Ort zusammen, um zu helfen und sich gegenseitig zu unterstützen
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Nach dem Angriff der Hamas leben Israelis zwischen Angst und Hoffnung. Viele von ihnen wollen jetzt anpacken. Genau das sei es, was ihr Land ausmache, sagen sie.

Jede Sekunde ist eine zu viel. In der eleganten Büroetage im siebten Stock haben sie einen Flachbildschirm aufgestellt, mit einer Uhr, die anzeigt, wie die Zeit vergeht. Seit über einer Woche läuft die Uhr schon, zählt unbarmherzig, wie viele Tage, Stunden, Minuten die Geiselnahme zurückliegt. "Bringt sie JETZT nach Hause", steht in großen Buchstaben darunter. Fast 200 Menschen haben die Terroristen der Hamas nach Gaza verschleppt, und je länger ihre Gefangenschaft dauert … – das ist der Gedanke, den hier niemand weiterdenken will.

"Wir müssen alles dafür tun, dass diese Uhr gestoppt wird. Unsere Leute müssen zurückkommen. Schnell." David Zalmanovitsh, Mitte 60, trägt ein schwarzes T-Shirt und eine Pistole in der Gesäßtasche seiner Jeans. Vor einer Woche wurden hier in den Büros noch Verträge geschlossen und Businesspläne geschmiedet: Die Konferenzräume im "Museum Tower" im Zentrum Tel Avivs hat der Geschäftsmann an Anwälte und Unternehmensberater vermietet. Dann kam der 7. Oktober.

Seine Stieftochter war auf dem Supernova-Festival, erzählt Zalmanovitsh. Sie hat überlebt, versteckt unter toten Körpern. "80 Jahre nach dem Holocaust liegt ein Mädchen stundenlang regungslos unter Leichen, um nicht abgeknallt zu werden. Mitten in unserem Land. Muss man Israeli sein, um zu verstehen, was das bedeutet? Ich glaube nicht." Während seiner Zeit bei der Armee sei er drei Mal verwundet worden, sagt Zalmanovitsh, er habe Kameraden verloren, enge Freunde, so sei das nun mal. "Aber jetzt ist alles anders. Dieser Angriff hat jede Gewissheit in Luft aufgelöst."

Erschienen in stern 43/2023