Ampel-Einigung Pressestimmen: "Kindergrundsicherung light" und die Familienministerin als "Verliererin"

Vertreter aller Ampelparteien stellten am Montag den Gesetzesentwurf zur Kindergrundsicherung vor
Vertreter aller Ampelparteien stellten am Montag den Gesetzesentwurf zur Kindergrundsicherung vor
© Kay Nietfeld / DPA
Nach langem Streit hat sich die Ampel-Koalition auf einen Gesetzesentwurf zur Kindergrundsicherung geeinigt. Ob das Gesetz Kindern in Armut langfristig helfen kann, wird man sehen. So kommentieren deutsche Medien die Einigung im Streit. 

Sie war der Grund für monatelangen Zoff zwischen Grünen und FDP: Nun hat sich die Ampel-Koalition kurz vor der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg bei der Kindergrundsicherung geeinigt. Zum Teil seien es "wirklich sehr harte Verhandlungen" gewesen, sagte Familienministerin Lisa Paus bei der Vorstellung der Ergebnisse am Montag in Berlin. "Aber es hat sich gelohnt." Laut der Grünen-Politikerin werden für die Einführung der Kindergrundsicherung im Jahr 2025 zunächst 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten veranschlagt.

Bis zu 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien und ihre Kinder bekämen die Leistungen schneller, einfacher und direkter, sagte Paus. Das Ergebnis sei die umfassendste Sozialreform seit vielen Jahren. Aus Regierungskreisen hieß es, dass bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen der Kindergrundsicherung die Kosten in den Folgejahren auch auf bis zu sechs Milliarden Euro steigen könnten.

So bewerten deutsche Medien die Einigung der Ampel: 

"Weser Kurier": "Paus hatte von Lindner zunächst zwölf, am Ende immerhin noch 3,5 Milliarden Euro gewollt - nun schließt sie ab bei 2,4. Und Lindner beeilt sich, darauf zu verweisen, dass das reale Plus für die Kinder nur 0,4 beträgt, 400 Millionen also. Man muss schon mit robustem Starrsinn gesegnet sein, um sich, wie Paus, für diese 'klare Erhöhung des soziokulturellen Existenzminimums' zu preisen. Der Beweis lässt sich auch zeitlich bemessen: Erster Anspruchstag soll der 1. Januar 2025 sein; bequem, weil digital, werden die Kinder-Leistungen 'in den nächsten Jahren' zu beantragen sein. Vielleicht auch nie - denn wer will sich noch einmal vier Jahre so eigennützig und anspruchsfrei regieren lassen?"

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Für die insgesamt 5,6 Millionen Kinder aus armutsbedrohten Haushalten wird nun eine Kindergrundsicherung 'light' aus der Taufe gehoben: Da Lindners Gießkanne schon ziemlich leer ist, tröpfeln nur für die 0- bis 6-Jährigen noch acht Euro mehr pro Monat heraus. Die Reform schrumpft auf das zusammen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: dass Familien, die Anspruch auf Hilfe vom Staat haben, die Leistungen auch bekommen, und nicht aus Unkenntnis oder wegen bürokratischer Hürden leer ausgehen. Allerdings ist auch das bisher nur ein Versprechen. Denn bis ein 'Kinderchancenportal' den Spießrutenlauf bei Familienkassen und Jobcentern beendet und die Antragstellung zum digitalen Kinderspiel wird, werden noch Jahre vergehen."

Einigung über Kindergrundsicherung sei "politisch eine gute Nachricht". 

"Rheinpfalz": "Ungeachtet des Inhalts der Einigung: Dass sich Kanzler Scholz (SPD), Bundesfinanzminister Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin Paus (Grüne) bei der Kindergrundsicherung auf die wesentlichen Inhalte verständigt haben, ist politisch eine gute Nachricht. Es war nämlich höchste Zeit nach den Monaten des Missmuts. Auch deshalb, weil es längst nicht mehr nur um die Lösung des Problems Kinderarmut gegangen ist. Inzwischen umwabern die Ampel im Hintergrund mehrere Fragen. Zum Beispiel die, ob der Vorrat an Gemeinsamkeiten schon zur Halbzeit der Legislaturperiode zur Neige geht. Oder die: Wie steht es um die Regierungsfähigkeit der Koalition und dem Führungswillen des Kanzlers?"

"Hannoversche Allgemeine Zeitung": "Mit dieser Reform wird die Kinderarmut nicht verschwinden. Sie muss aber auf mehr Ebenen als mit direkten finanziellen Hilfen bekämpft werden. Ausreichend Krippen- und Kita-Plätze sowie ein Schulsystem, in dem Kinder aus benachteiligten Familien gezielt gefördert werden, sind im Kampf gegen Kinderarmut der zentrale Hebel. Oft benötigen auch die Eltern Unterstützung und Beratung, um ihren Kindern Chancen zu eröffnen, die sie selbst nicht hatten." 

"Stuttgarter Zeitung": "Verliererin im politischen Streit ist die Familienministerin. Das ist schade - denn wenn sie geschickter gewesen wäre, hätten viele Kinder stärker von der Reform profitieren können. Dass Paus im Streit über Geld für die Kindergrundsicherung zwischenzeitlich das Wachstumschancengesetz des Finanzministers gestoppt hat, hat ihr nicht einen Euro zusätzlich eingebracht. Sie ist konzeptionslos vorgegangen – und es ist ihr nicht gelungen, die Öffentlichkeit bei dem hochemotional besetzten Thema Kinderarmut zu ihrem Verbündeten zu machen."

"Heilbronner Stimme": "Die große Unbekannte ist, wie viele Menschen die Kindergrundsicherung nutzen werden. Den 2,4 Milliarden Euro für 2025 liegt die Annahme zugrunde, dass nur 48 Prozent der Berechtigten sie in Anspruch nehmen. Sind es mehr, steigen die Kosten. Mehr Geld will der FDP-Finanzminister aber nicht zahlen. Steige die Zahl der Empfänger, sei das eine Kapitulation der Arbeitsmarktpolitik – wofür SPD und Grüne zuständig sind. Die Kindergrundsicherung steht damit unter großen Vorbehalten. Ihr Erfolg ist gedeckelt, die Behörden zu digitalisieren wird schwierig. So ist die Reform kein großer Wurf."

"Nürnberger Zeitung": Noch nicht absehbar ist, welche Wirkung die Kindergrundsicherung überhaupt haben wird. Können die betroffenen Kinder besser am sozialen Leben teilhaben, wenn ihre Eltern mehr Geld vom Staat bekommen? Das kann man nur hoffen. Ziemlich sicher wäre Familien in prekären Verhältnissen geholfen, wenn sie eine verlässliche, personell und inhaltlich gut ausgestattete Betreuungsinfrastruktur hätten - was ebenfalls viele Milliarden mehr kosten würde. Dann wiederum könnten die betroffenen Eltern wieder mehr arbeiten – oder überhaupt in Arbeit gebracht werden.

"Handelsblatt": "Ob die Umsetzung wirklich gelingt, das muss sich erweisen. Die nötigen administrativen Veränderungen sind gewaltig. Und auch hier weckt die verschleppte Digitalisierung der Verwaltung Zweifel. Dabei muss die Reform rund 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche erreichen. Laut Experten ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Da macht es auch keinen Unterschied, ob es um Kinder von Zugewanderten geht. Kinder sind Kinder. Allerdings wird auch über Anreize für eine Erwerbsarbeit von Eltern zu sprechen sein. Denn Kinderarmut ist vor allem die Folge von Elternarmut."

"Rhein-Zeitung": "Die echte Neuerung dieser Reform liegt darin, dass Maßnahmen gebündelt und digitalisiert und teils sogar automatisch ausgezahlt werden sollen. Wie wenig die Ampel jedoch in die Umsetzung dieser Digitalisierung vertraut, lässt sich daran ablesen, dass man selbst nach ein paar Jahren nicht damit rechnet, dass alle Anspruchsberechtigten das Geld automatisch erhalten werden. Angesichts dessen wirkt die Reform weit weniger spektakulär. Zugleich verdeutlicht das, wie wichtig der Ausbau einer ganztäglichen Kinderbetreuung mit umfangreichem, qualitativ hochwertigem Kita- und Schulangebot bleibt. Denn davon würden in Armut lebende Kinder auch direkt profitieren."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die Ampelkoalition drohte im Streit über die Kindergrundsicherung den Rest des Ansehen zu verspielen, das sie noch hat. (...) Die Summe, die jetzt zusätzlich eingesetzt werden soll, ist weit entfernt von dem, was sich (...) Lisa Paus erträumt hatte. Christian Lindner lag richtig mit seinem Widerstand. Die Qualität des Gesetzes bemisst sich nicht daran, wie dick der Geldsack ist, den es braucht. Viel zu selten wurde über die Ursachen von Kinderarmut gesprochen und ob der Staat durch Sozialleistungen tatsächlich Abhilfe schaffen kann. Besser wären, was die Koalition aber nicht hat, eine gescheite Wirtschaftspolitik und, was die Länder aber nicht zuwege bringen, ein Bildungswumms. Noch weniger ist die Rede davon, ob das Vorhaben jenseits des Geldes hält, was es verspricht. Daran sind erhebliche Zweifel angebracht."

DPA
nim