Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.
Es war das Wunder des Jahres: Nach einem Flugzeugsturz im Amazonas überlebten vier indigene Kinder 40 Tage lang allein im kolumbianischen Dschungel.
Zwei Wochen später bat Präsident Gustavo Petro in seine Residenz in der Hauptstadt Bogotá. Er vergab Orden an die Helden der Rettung, an Soldaten, Suchtrupps, Schamanen – und der stern war kurioserweise dabei.
Und das kam so: Ein paar Tage zuvor hatten wir den Kommandanten der historischen Rettungsmission interviewt, General Pedro Sánchez. Weil an jenem Sonntagnachmittag die Sonne schon unterging, machte unser Fotograf Jonas Wresch gleich zu Beginn einige Porträts. Sie gefielen dem General ausgesprochen gut. Der eiserne Blick. Die scharfen Kanten. Ein Nationalheld in Uniform.

Wresch ist einer, der aus dem Stehgreif ein großartiges Porträt hinkriegt. Der General gefiel sich so sehr, dass er das Bild des deutschen Fotografen als sein offizielles Profilfoto wollte.
Fortan sprach er mit uns stundenlang über jedes Detail der Suche nach den verschollenen Kindern, über seine militärischen Manöver, seine ausgefeilte Taktik, aber auch über seine Verzweiflung, seine Gebete und schließlich: den ausgelassenen Jubel, seine Tränen der Erleichterung.
Auch seine Einsatzleiter durften wir in den Folgetagen ausführlich interviewen und weitere Soldaten in den Kasernen. Und den Vater der geretteten Kinder und ihren Onkel und die Tante und die Großeltern und den Schamanen und die indigenen Retter – irgendwann war der stern so etwas wie ein Teil der Familie.
Etwas, was man als Journalist nicht sein will. Nah dran – ja. Teil der Familie – nein.

Nicht alles hatten wir diesem einen Foto zu verdanken, aber doch so einiges – und wohl auch den Zugang in den Nationalpalast. Präsident Petro hielt an jenem Tag im Innenhof seiner Residenz eine bemerkenswerte Rede. Er hielt sie aus dem Stand, voller ausgefeilter Sätze, voller Poesie. Er klang wie ein Nationaldichter, wie Gabriel García Márquez.
Der Präsident klang wie Nationaldichter – und so ganz anders als ein Joe Biden oder Olaf Scholz
Ich stand nur ein paar Meter entfernt und stellte mir Joe Biden in einem solchen Moment vor – und ließ es schnell wieder. Petro nutzte die Rede, um der Welt mitzuteilen, welche große Rolle die indigenen Spurenleser bei der Rettung der Kinder gehabt hatten – und welch bedeutende Rolle sie für den Erhalt des Amazonas und die Klimarettung und das Überleben des Planeten einnehmen könnten. Er klang wie ein Visionär. Ich stellte mir Olaf Scholz in einem solchen Moment vor – und stellte auch das schnell wieder ein.
Dann sprach Petro von der Magie und den Geistern, die bei der Suche halfen, er sprach von der Spiritualität in dieser sehr rationalen Welt und dass selbst Soldaten den Hinweisen der indigenen Waldgeister im Dschungel gefolgt waren. Er klang wie ein Schamane.
Ich musste an Olaf Scholz und Joe Biden zugleich denken und fragte mich, warum Politiker immer so langweilig sein müssen.
Vom Reporter zum "Freund des Generals"
Die sich anschließenden Begegnungen im Präsidentenpalast waren bewegend. General Sánchez stellte uns seiner Frau etwas überschwänglich als seine deutschen Freunde vor. Offiziere umarmten Ureinwohner. Minister umarmten Bauernjungen. Soldaten und Schamanen erinnerten sich, wie sie die Kinder gemeinsam gerettet hatten. Einstige Feinde in diesem so kriegsgeplagten Land lagen sich in den Armen.
Und für einen kurzen Moment in diesem so schwierigen Jahr konnte man den Eindruck haben: Es wird alles gut mit dieser Welt.