"Frieden durch Dialog" Die 60. Münchner Sicherheitskonferenz ist Geschichte – diese fünf (ernüchternden) Erkenntnisse bleiben

Drei Tage lang diskutierten Teilnehmer auf der Münchner Sicherheitskonferenz die aktuelle Weltpolitik
Drei Tage lang diskutierten Teilnehmer auf der Münchner Sicherheitskonferenz die aktuelle Weltpolitik
© DTS-Nachrichtenagentur / Imago Images
Drei Tage lang haben sich Staatslenker, Diplomaten und Wirtschaftsbosse aus aller Welt in Bayerns Landeshauptstadt getroffen. "Frieden durch Dialog" wollte die Veranstaltung erreichen. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der 60. Münchner Sicherheitskonferenz? 

1. Die Welt hat den Blues

Vergnügungssteuerpflichtig waren die Veranstaltungen in München auch in den Vorjahren nicht, zumeist kreisen die Debatten dort um Krisen und Kriege. Diesmal jedoch war die Niedergeschlagenheit der vermeintlichen oder wahren Weltelite mit Händen zu greifen. Der Vorstandschef eines der größten Konzerne der Welt rief bei einem Lunch am Rande der Konferenz zu einer Test-Abstimmung auf: Entwickelt sich die Welt in die richtige Richtung? Fast keine Hand im Raum ging nach oben. 

Die Ukraine kämpft zwar weiter, und ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj bemühte sich bei seinem Auftritt um Zuversicht. Aber Hoffnung auf eine ukrainische Offensive, wie noch voriges Jahr in München zu vernehmen war, macht sich kaum noch jemand. Die Erschöpfung der ukrainischen Armee war ebenso Dauerthema wie die wachsende Sorge, ob die Bevölkerungen auch in Ländern wie Deutschland noch lange weitere Hilfe für die Ukraine unterstützen werde. Hinzu kam die Unsicherheit über die Rolle der USA, wo im November die Rückkehr von Donald Trump droht. Dass über den Großkonflikt Nahost erst am Sonntag wirklich geredet wurde, unterstrich, wie groß die Ratlosigkeit bei diesem heiklen Thema ist.

2. Amerika ist da – oder doch nicht?

Man kann der Biden-Regierung kaum vorwerfen, sie habe sich nicht bemüht. US-Vizepräsidentin Kamala Harris kam nicht nur nach München, sie sagte auch lauter Sätze, die Europäerinnen und Europäer aus Washington hören möchten – etwa, dass die Vereinigten Staaten natürlich weiter eine Führungsrolle in der Welt übernehmen wollten. Nur: Kann Harris noch für die USA sprechen? Ihr eigener Präsident muss sich immer lauterer Zweifeln an seiner Eignung fürs Amt erwehren und liegt in den Umfragen für die Präsidentschaftswahl gegen Trump zurück. Im amerikanischen Kongress droht das Ukraine-Hilfspaket zerrupft zu werden. 

Und natürlich lauerten über allen Treffen die Worte von Präsidentschaftskandidat Donald Trump, der erst vorige Woche die Nato für mehr oder weniger obsolet erklärt hatte – und Mitgliedsstaaten, die zu wenig fürs Militär ausgeben, nicht mehr verteidigen möchte. Es gibt noch gemäßigte und gar transatlantisch denkende republikanische Politiker, die auch in München waren, doch diese trauen sich kaum noch gegen Trump die Stimme zu erheben. Lindsey Graham, republikanischer Senator aus South Carolina und seit vielen Jahren ein Stammgast der Konferenz, fuhr dieses Jahr demonstrativ lieber nach Texas, an die Grenze zu Mexiko. Der Kampf gegen illegale Einwanderung kommt bei Trumps Basis eben besser als Gespräche mit Europäern.

3. Putin bleibt Putin

Ob der Tod von Kremlkritiker Alexej Nawalny von Wladimir Putin wirklich so getimt wurde, dass er in die Eröffnungsstunden der diesjährigen Sicherheitskonferenz platzte, wird sich vielleicht nie klären lassen. Tatsache ist aber: Putin, der auf der Münchner Konferenz im Jahr 2007 den neuen Kalten Krieg ausgerufen hatte, weiß um deren internationale Bedeutung. Wenn es noch eines Beleges bedurfte, dass dem russischen Präsidenten alle Warnungen des Westens zur Mäßigung egal sind, ist es der Tod von Nawalny. Immerhin hatte sogar US-Präsident Joe Biden Putin persönlich gewarnt, diesem im Gefängnis etwas anzutun. Die Proteste anlässlich Nawalnys Tod blieben in Russland überschaubar. Putin-Gegner, die bei der Sicherheitskonferenz zugegen waren, wirkten diesmal vor allem erschöpft. Denn klarer denn je ist: Für Putin gibt es keinen Weg zurück. 

4. Die Bomben-Debatte wird bleiben

Der Harvard-Professor Graham Allison, einer der führen Nuklear-Experten des Planeten, machte in München einen Dreiklang auf, er besteht aus drei Zahlen: 78, 78, 9. 78 Jahre seit dem letzten bewaffneten Konflikt zwischen Großmächten, 78 Jahre seit dem Einsatz von Nuklearwaffen – und nur neun Staaten, die über diese Waffen verfügen, weniger als bei Erfindung der Bombe erwartet. Wird dieser Zustand halten? Realist Allison erwartet das nicht, Nuklearwaffen böten Staaten nun einmal wirksamen Schutz (und hätten diesen übrigens auch der Ukraine gewährt, die diese nach dem Kalten Krieg aufgab). Daher zeigte er sich durchaus offen für europäische Überlegungen, einen eigenen Schutzschirm aufzubauen, sollte auf den Nuklearschirm der Amerikaner nicht mehr Verlass sein. Die Debatte darüber nahm in den vergangenen Tagen rasant an Fahrt auf, aber Details sind noch Mangelware. Könnte man wirklich mit Frankreich kooperieren, auch wenn dort die Rechtspopulistin Marine Le Pen regiert? Vermögen britische, französische und europäische Nuklearwaffen wirklich den umfassenden amerikanischen Schutz ersetzen? Wie wäre der Rückhalt in der Bevölkerung für solche Maßnahmen? Und: Was soll das alles kosten? Die Bomben-Debatte hat gerade erst begonnen, vielleicht muss sie bald schon entschärft werden.

5. Olaf Scholz führt, ein bisschen

Fast zwei Jahre ist die "Zeitenwende"-Rede nun her, die Kanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag gehalten hat. Seitdem ist eine Menge passiert, eines aber nicht: eine vergleichbare Ansprache, mit der der Sozialdemokrat die Umsetzung der Zeitenwende erklärt. Diese Rede hielt Scholz auch in München nicht, jedoch fand er einen Satz, der als Mahnung an seine zerstrittene eigene Koalition zu verstehen war: "Ohne Sicherheit ist alles andere nichts." Zugleich war dies aber ein Appell an andere Länder, mehr zu tun. 

stern-Kanzler-Kenner Nico Fried schrieb über Scholz' Auftritt: "Der Kanzler, der lange unter Druck stand, setzt jetzt die anderen unter Druck. Ausführlich malte er in München die Folgen aus, die ein Sieg Russlands in der Ukraine haben könnte – für die Sicherheit Europas und die ganze Welt. Dem fügte er ziemlich unverblümt die Forderung hinzu, dass alle Europäer ihre Hilfe für die Ukraine erhöhen sollten. Scholz, der sich im ersten Kriegsjahr schon anhören musste, dass Deutschlands anfängliches Zaudern womöglich einen russischen Sieg in der Ukraine verursachen würde, warnt jetzt seine europäischen Partner davor, diese Schuld auf sich zu laden." Fried staunte, der Kanzler wirke – wieder einmal – umso gelassener, selbstbewusster und zuversichtlicher, je tiefer er in der Krise hänge. "Und wenn man urteilen muss, ob es sich dabei um erstaunliche Realitätsverweigerung oder frappierende Führungsqualität handelt, dann obsiegt zumindest nach dem Auftritt vor der Sicherheitskonferenz das letztere. Wenn auch knapp."

wue