Neue Weltordnung Politologe Herfried Münkler: "Europa muss atomare Fähigkeiten aufbauen"

Herfried Münkler vor der Frauenkirche in Dresden
Herfried Münkler, emeritierter Politikwissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität, vor der wiederaufgebauten Frauenkirche in Dresden
© Stephan Floss/stern
Der Politologe Herfried Münkler über eine neue Weltordnung und Wege zum Frieden in der Ukraine.

Herr Münkler, haben Sie eigentlich gedient?
Nein. Wie viele in meiner Generation habe ich Zivildienst geleistet, in einer Klinik im Ahrtal.

Wissen Sie noch, warum Sie den Kriegsdienst verweigert haben?
Die Begründungen und Argumente von damals weiß ich nicht mehr. Man hat das aufgeschrieben, von dem man dachte, es sei für die Anerkennung förderlich.

Aber es entsprach schon Ihrer Einstellung?
Klar. Ich hatte eine gewisse Distanz zu manch familiärer Tradition, auch zu Weltkriegsrelikten in den Wohnungen meiner Großeltern. Orden zum Beispiel. Vor allem hatte ich damals, 1970, große politische Sympathien für die angelaufene Entspannungspolitik. Zwischen der Sowjetunion und der Nato standen die Zeichen auf Verständigung.

Der Kanzler hat gesagt, er würde heute nicht mehr den Kriegsdienst verweigern. 
Das gilt auch für mich. 

Warum? 
Die Lage ist inzwischen ganz anders. Die Sowjetunion, einen saturierten Besitzstandswahrer, gibt es nicht mehr. An ihre Stelle ist Russland als eine zutiefst revisionistische Macht getreten, die ein fundamentales Interesse an einer Verschiebung der Grenzen in Europa hat. Und die Welt ist viel unruhiger geworden. Unsere Weltordnung zerfällt gerade.

Erschienen in stern 49/2023