Die wichtigste Frage vorneweg: Was gibt's zu essen? Wenn Emmanuel Macron und Olaf Scholz sich am Dienstagabend in Potsdam zu Tisch setzen, erwartet sie "neue preußische Küche". So lautet die Eigenwerbung des Restaurants Kochzimmer, in das der Kanzler den französischen Präsidenten eingeladen hat. Der Jahreszeit entsprechend serviert Küchenchef David Schubert vermutlich ein Gericht mit Beelitzer Spargel. Zum empfohlenen Menu der vergangenen Tage gehörten zudem Rehrücken aus dem brandenburgischen Fläming sowie eine Kombination aus Rhabarber, Ingwer und weißer Schokolade zum Dessert. Der Preis für sechs Gänge in dem vom Guide Michelin mit einem Stern prämierten Restaurant beträgt normalerweise 135 Euro, ohne Getränke. Falls dem französischen Präsidenten ein Gang besonders schmeckt, kann der Kanzler ihn für seinen Gast mit 20 Euro "upgraden".
Das Essen hat in der politischen Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich immer mal wieder eine bedeutende Rolle gespielt. Um das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Präsidenten und dem Kanzler (oder der Kanzlerin) aufzulockern, wählt man schon fast traditionell eine ausgiebige Mahlzeit im möglichst kleinen Kreis in angenehmer Atmosphäre. Macron und Scholz arbeiten zwar eng zusammen, trotzdem gibt es immer wieder Gemunkel über Stimmungsschwankungen – was auch daran liegen könnte, dass die beiden Politiker von sehr unterschiedlichem Temperament sind, vorsichtig formuliert.
Der Kanzler bittet den Präsidenten in seine Wahlheimat Potsdam
Macron und Scholz haben schon wiederholt zusammen gespeist, zuletzt bei einem Frühstück am Rande des EU-Gipfels im März, ausführlicher bei einem Mittagessen im Oktober 2022 im Elysée-Palast und im Januar 2023 abends in der Brasserie La Rotonde, dem Lieblingsrestaurant des Präsidenten. Aber das Treffen im Kochzimmer ist ihre erste Begegnung mit Quasi-privat-Charakter in Deutschland. Es ist überhaupt das erste Mal, dass Scholz einen politischen Gast so empfängt. Der Kanzler und seine Frau Britta Ernst wohnen schon seit einigen Jahren in Potsdam, der Bundestagsabgeordnete Scholz hat hier mittlerweile auch seinen Wahlkreis.
Sollte das Verhältnis weiter hie und da kriseln, ist noch Luft nach oben: Unter den Vorgängern ging es bisweilen noch deutlich privater zu. Helmut Schmidt empfing Valery Giscard d’Estaing 1978 in seinem Privathaus in Hamburg-Langenhorn. Dass die beiden Herren aßen, ist nicht verbrieft, aber sehr wahrscheinlich – zumal sie sich später in Schmidts Kellerbar, genannt "Kneipe" zurückzogen. Ein berühmtes Bild zeigt Schmidt hinterm Tresen mit einer Zigarette zwischen den Fingern, und Giscard auf einem Barhocker. Hier besprachen sie, was auf dem Europäischen Rat in Bremen kurz darauf beschlossen wurde: eine gemeinsame Währung. Es war die Geburtsstunde des Euro.
Dessen Zukunft ist 45 Jahre später auch zwischen Scholz und Macron ein Thema. Deutschland und Frankreich sind unterschiedlicher Meinung über die künftigen Schuldenregeln in der EU. Die EU-Kommission schlägt eine Lockerung vor, um Staaten in den Miesen mehr Flexibilität bei der Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten zu geben. Diese Position ist mit einem Finanzminister von der FDP schwerlich zu verwirklichen.
Kohl "drohte" Mitterrand mit der Rückgabe des Saarlands
Helmut Kohl, in Ludwigshafen-Oggersheim zuhause, lud seine wichtigen Gäste gerne fernab von Bonn in seine rheinland-pfälzische Heimat ein. Des Kanzlers Hintergedanke: Die Gemütlichkeit der Provinz, sollte Präsidenten und Regierungschefs von der Harmlosigkeit eines wedervereinten Deutschlands überzeugen. Bevorzugter Rückzugsort war der Deidesheimer Hof, wo Kohl den Saumagen des Metzgermeisters Klaus Hambel servieren ließ, der später auch mal das Rezept verriet: 40 Prozent ganz mageres Schweinefleisch, 30 Prozent gewürfelte Kartoffeln der Sorte Quarta, 30 Prozent Schweinemett, Salz, Pfeffer, Muskat, Koriander und Majoran. Die Legende will es, dass der französische Präsident Francois Mitterrand nicht begeistert war, worauf ihn der Kanzler aufforderte, er solle aufessen, sonst bekomme er das Saarland und Oskar Lafontaine zurück.
Gerhard Schröder und Jacques Chirac besprachen ihre Differenzen über die Reform der Europäischen Union im Dezember 2000 in Hannover – nicht ins Schröders Privathaus aber im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung. Der Präsident bedankte sich ausdrücklich für "das beste Eisbein, das ich jemals gegessen habe". So enthusiasmiert war Chirac von dem Schweinehaxe, dass er sie beim Abschied von Schröders damaliger Frau Doris Schröder-Köpf gleich nochmal würdigte: "Ich habe es deinem Mann schon gesagt, das Eisbein war einfach formidabel, außergewöhnlich." Dann küsst er die Kanzlergattin rechts und links auf die Wangen und fuhr davon. Eine Woche später verständigte sich die EU auf dem Gipfel in Nizza auf eine Reform, mit der die Ost-Erweiterung ermöglicht wurde.
Deren Fortsetzung ist 23 Jahre später auch Thema bei Scholz und Macron. Vor allem der Kanzler drängt auf eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen auf weitere Politikbereiche. Nur so könne die EU nach einer – von Scholz vehement befürworteten Erweiterung - um die Balkan-Staaten noch handlungsfähig bleiben.
Die Kanzlerin ganz privat bei Sarkozys berühmter Freundin
Angela Merkels erster Präsident war Nicolas Sarkozy – auch eine komplizierte Beziehung, vor allem in der Finanzkrise. Im November 2008 lud der Präsident die Kanzlerin zu einem privaten Mittagessen ein, um das Eis zu schmelzen. Gastgeberin war Sarkozys damals neue Frau Carla Bruni. Merkel, die eine Schwäche für Klatschgeschichten hat, war über die Beziehung früh informiert und vertiefte sich in die Zeitungslektüre über die ihr bis dahin unbekannte Sängerin.
Das Haus Brunis steht im feinen Pariser Wohnviertel Villa Montmorency. Die Hausherrin empfing ihre Gäste gemeinsam mit ihrem Sohn. Kein Brimborium, kein Personal, nur die Übersetzer. Die Hausherrin kochte selbst, trug auf – und der Präsident servierte. Es gab unter anderem gebratene Entenleber mit einem Parfait. Als Merkel zu erkennen gab, dass ihr das Essen schmeckte, sagte Sarkozy, das habe er sich gedacht – schließlich habe er die Speisen ausgesucht.
Merkel an Macron: "Ich bin es leid, die Scherben aufzukehren"
Wie es bei so einem Essen tatsächlich zugeht, sickert nur selten durch. Im November 2019 traf Merkel ihren dritten französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Berlin. Anlass waren die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag des Mauerfalls. Macron hatte kurz zuvor für Aufsehen gesorgt, weil er die Nato als "hirntot" bezeichnet hatte. Die Kanzlerin hatte dem bereits öffentlich widersprochen. Bei einem Abendessen, so berichtete es später die "New York Times", habe die Kanzlerin den Präsidenten dann nochmal im kleinen Kreis regelrecht beschimpft: "Ich bin es leid, die Scherben aufzukehren. Immer wieder muss ich die Tassen zusammenkleben, die Sie zerbrochen haben, nur damit wir wieder zusammensitzen und eine Tasse Tee trinken können." Macron habe geantwortet, er könne angesichts der Probleme der Nato beim anstehenden Nato-Treffen im Dezember nicht "dasitzen und so tun, als ob nichts passiert ist".
Auch Scholz und Macron treffen sich nun unmittelbar vor einem Gipfel der Nato. Ob im Kochzimmer nach dem gemeinsamen Abendessen Scherben zusammengekehrt werden müssen, wird sich zeigen. Möglicherweise rechnen die Besitzer des Potsdamer Restaurants mit längeren Aufräumarbeiten. Zumindest konnte man schon Anfang der Woche auch für den Tag nach dem Treffen von Kanzler und Präsident keinen Tisch reservieren.