Die CDU beim Wahlkampf zu beobachten, das ist wie einem Gartenzwerg den Puls zu fühlen. Es bringt keine neue Erkenntnis. Knapp 40 Tage vor der Bundestagswahl ist von einem Ideenwettbewerb um die politische Zukunft Deutschlands nicht viel zu spüren. Es gibt einen vorgezogenen Koalitionskrach zwischen CSU und FDP, einen polternden SPD-Chef Müntefering und eine schier endlos lang urlaubende Kanzlerin, die wohl so gut erholt in den Wahlkampf zieht wie keiner ihrer Vorgänger. Jetzt ist sie zurück. Doch wirklich gemerkt hat es bis jetzt kaum jemand.
Am Sonntag war Merkel nach Duisburg eingeladen, um eine Rede vor dem Bundesdelegiertentag der Frauen Union zu halten. Motto der Veranstaltung: "Frauen gemeinsam für Deutschland. Frauen für Merkel." Es ist eines dieser Themen, bei denen die Journalisten für gewöhnlich genauer hinschauen, wenn es um die Kanzlerin geht. Im Jahr 2005 war Merkels Biografie schließlich gleich ein doppeltes Novum: Sie war die erste Frau im Kanzleramt. Außerdem gab es zuvor keinen Bürger aus Ostdeutschland, der es bis an die Spitze der Bundesregierung schaffte. Doch in den vergangenen vier Jahren spielten beide Punkte kaum eine Rolle: Ihre Vergangenheit als DDR-Bürgerin thematisierte sie nur dann, wenn sie es musste oder es ihr nützte. Und aus Gender-Debatten hat sich die Naturwissenschaftlerin Merkel seit jeher wenig gemacht. Umso erstaunlicher, welches Umfeld ihr die Frauen Union da am Wochenende geboten hat.
"Sie soll Chefin bleiben!"
Hätte man zuvor noch nie etwas von der großen C-Partei aus Deutschland gehört, man wäre versucht zu glauben, sie hätte in den siebziger Jahren die Frauenbewegung mit erfunden. Von der Saaldecke in der Mercatorhalle leuchteten violette Lampen, die Farbe der Feministinnen, es gab einen violetten statt eines roten Teppichs, violette Erkennungsbändchen und auch violette Bonbons. Dass im Foyer neben der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Welt" auch die Klatschpostillen "Aktuelle" und "Echo der Frau" auslagen war da nur ein kleiner Schönheitsfehler.
Schlag zwölf kündigte Frauen-Unions-Vorsitzende Maria Böhmer die Kanzlerin an: "Sie ist die Chefin – und sie soll auch Chefin bleiben!" Es soll das Losungswort sein: Chefin. Es steht auf orangefarbenen Schildern, und Böhmer führt es immer wieder im Mund. Man könnte meinen, "Chefin" hätte das Zeug zum Losungswort der neuen C-Feministinnen. Sekunden später betrat Merkel den Saal. Euphorischer Beifall. Dutzende Mottoschilder wippten über den Köpfen. Sichtbarer Applaus im US-Stil. Merkel brauchte fünf Minuten, um den Weg zur Bühne zu finden. Sie begrüßte wirklich jeden, der ihr bekannt vorkam.
Vor der Rede der Kanzlerin fand auf der Bühne eine Podiumsdiskussion zur Frauenpolitik statt. Fußballtrainerin Martina Voss sagte, dass sie es schön finde, nicht mehr nach dem Grund für ihre Fußballbegeisterung gefragt zu werden. Christiane Underberg – Matriarchin der gleichnamigen Magenbitter-Dynastie – unterhielt das Publikum mit einigen schönen Anekdoten und kritisierte Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Als dann das Thema Frauenquote aufs Tapet kam, drohte die nette Plauderrunde kurzzeitig umzukippen – schließlich gibt es derzeit innerhalb der CDU eine starke Stimmung für die Quote. Eine lebhafte Diskussion über Geschlechterbilder entstand, an deren Ende Underberg feststellte: "Wir brauchen auch starke Männer, und nicht nur Männer, die weiblich werden." Womit das christliche Familienbild wenigstens für den Moment gerettet war.
Dann trat Merkel ans Podium. Sie wirkte gelöst, verfiel nicht einen Moment in Routine. Man hatte den Eindruck, dass ihr dieser Wahlkampftermin Spaß macht. Das merkte man vor allem daran, dass sie einige Episoden aus ihrem Privatleben erzählte. Es ist Merkels Art, verbindlich zu werden. Zuerst ging es darum, wie sie 1990 Frauenministerin geworden ist. Der damalige Kanzler Helmut Kohl habe sie in sein Büro gebeten. "Ich habe mir natürlich noch das CDU-Programm durchgelesen", sagte sie. Kohls erste Frage: "Frau Merkel, wie verstehen sie sich mit Frauen?" Merkel antwortete: "Mit meiner Mutter, okay, mit der Schwester, ja, Freundinnen habe ich auch gehabt, als Physikerin war ich allein unter 17 Männern." Kohl sagte: "Okay, sie werden Frauenministerin. Und was macht der Osten sonst so?"
Ein anderes Mal erzählte Merkel über die Stärken von Frauen. Während ihres Physik-Studiums habe sie im Labor Versuchsaufbauten betreut. "Die Männer im Labor hatten immer die Finger an allen Knöpfen gleichzeitig. Da konnte ich nicht mithalten, weil ich nachgedacht habe. Und irgendwann hat es dann puff gemacht, und die Anlage war kaputt."
Plädoyer für Frauenquoten
Im programmatischen Teil ihrer Rede verteidigte Merkel die Frauenquote in der CDU. Sie sei anfangs kein großer Anhänger dieser Regelung gewesen, doch sie habe dazu geführt, dass jetzt wenigstens darüber nachgedacht werde, ob es qualifizierte Frauen für einen Posten gebe. Sie kritisierte die Tatsache, dass in den Wirtschaftsunternehmen zu wenige Frauen in den Führungspositionen vertreten seien. "Ich bin nicht dafür, auch hier Quoten einzuführen. Aber als in Norwegen damit gedroht wurde, ist plötzlich etwas passiert."
Auf der anderen Seite verteidigte sie das, was in Unionskreisen seit einigen Jahren "Wahlfreiheit" genannt wird – jede Frau darf ihren Lebensentwurf wählen, ohne dafür rechtlich oder finanziell benachteiligt zu werden. Wer zuhause am Herd bleiben will, darf das auch. Diese Äußerungen fanden großen Zuspruch.
Einige Delegierte der Frauen Union lobten am Ende der Rede das „Wir-Gefühl", das sie gespürt hätten. Auch einige Damen, die nicht Mitglied der CDU sind, äußerten sich so. Hatte sich Merkel heute etwa in Sachen Frauenpolitik positioniert? War da vielleicht sogar etwas Violettes in ihrer Aura?
Merkel hatte die Bühne schon fast verlassen, da stellte ihr die Moderatorin eine Frage: "Gibt es außer Kinderkriegen etwas, was Frauen können und Männer nicht?" Merkel antwortete naturwissenschaftlich: "Manchmal machen sie es anders. Aber Frauen können eigentlich alles. Im Umkehrschluss heißt das aber: Männer auch."