Die SPD hat ihre Position bekräftigt, wonach eine nur auf Basis von Überhangmandaten regierende schwarz-gelbe Koalition politisch nicht legitim ist. Eine solche Koalition würde sich spätestens mit der notwendigen Verabschiedung des neuen Wahlrechtes 2010 "eigenhändig delegitimieren", heißt es in einem am Montag vom SPD-Präsidium verabschiedeten Wahlaufruf.
"Eine Mehrheit auf der Grundlage von Überhangmandaten wäre keine stabile Mehrheit fürs Regieren." Es wäre Zeit genug gewesen, das vom Verfassungsgericht beanstandete Wahlrecht rechtzeitig noch vor dem 27. September zu ändern. Doch Union und FDP hätten sich dabei im Bundestag wie Bundesrat verweigert, hieß es in dem Aufruf.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor erklärt, sie werde nach dem 27. September notfalls auch mit einer Überhang-Mehrheit regieren.
Schäuble: "SPD hat Schiss"
SPD-Chef Franz Müntefering sagte, an Forderungen und Mahnungen der SPD in Sachen Wahlrechtsänderung in Richtung der Union habe es nicht gefehlt. Auch wenn die SPD entgegen der Koalitionsvereinbarung den Gesetzentwurf der Grünen zur Abschaffung der Überhangmandate im Bundestag mitgetragen hätte, wäre dieser anschließend im Bundesrat an der Mehrheit von Union und FDP gescheitert.
Widerspruch kommt aus Union und FDP. Er habe keinen Zweifel, dass die Wahl am 27. September verfassungsgemäß sein werde, sagte der FDP- Innenpolitiker Max Stadler der "Berliner Zeitung". Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) warf den Sozialdemokraten vor, in dieser Frage nur aus Sorge um das eigene Wahlergebnis aktiv zu werden.
Die Diskussion werde geführt, "bloß weil die SPD Schiss hat, weil sie die Wahlen verliert", sagte Schäuble der "Leipziger Volkszeitung". Es sei aber ein "Prinzip der Demokratie", dass man sich über die Grundprinzipien des Wahlrechts nicht streite.
So entstehen Überhangmandate
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr direkt gewählte Abgeordnete bekommt, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen. Das Verfassungsgericht hatte dies 2008 teils für verfassungswidrig erklärt, dem Gesetzgeber jedoch Zeit für eine Änderung bis Mitte 2011 eingeräumt. Spekuliert wird auf der Basis bisheriger Umfragen, dass die Union mit Überhangmandaten bis zu 20 zusätzliche Abgeordnete ins Parlament schicken könnte.
Grünen erteilen Erststimmenkampagne eine Absage
Ungeachtet der möglicherweise wahlentscheidenden Bedeutung der Überhangmandate planen die Grünen vor der Bundestagswahl keine Erststimmenkampagne zugunsten der SPD. "Nein, das tun wir nicht, weil wir nicht das verlängerte Beiboot von irgend jemandem sind", sagte Parteichef Cem Özdemir am Montag dem RBB. Er räumte allerdings ein, dass es für Grünen-Wähler "im Einzelfall sicherlich Sinn macht", mit der Erststimme SPD zu wählen, um Überhangmandate für die CDU zu verhindern.
Solche "Leihstimmen" könne es dort geben, wo Bewerber der Grünen chancenlos seien, sagte Özdemir weiter. Dagegen kämpften die Grünen beispielsweise in Stuttgart, wo sie bei der Kommunalwahl vor der SPD lagen, um beide Stimmen. "Das gilt natürlich auch in Hamburg", wo die Grünen-Politikerin Krista Sager im Wahlkreis Eimsbüttel kandidiert. Als weiteres Beispiel nannte Özdemir den Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg, wo der Grünen-Politiker Christian Ströbele sein Direktmandat verteidigen will.