Heide Simonis zur Kieler Krise Lauter Irre? "Ich fürchte, Sie haben recht"

Eigentlich leben in Schleswig-Holstein friedliche Menschen. Aber wenn CDU und SPD gemeinsam regieren, dann kracht es gewaltig. Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis erklärt, warum die Große Koalition geplatzt ist - und welche Rolle sie dabei spielt.

Frau Simonis, die Große Koalition in Kiel ist geplatzt. Barschel, Engholm, Sie sind 2005 in vier Wahlgängen durchgerasselt, jetzt das: Ist das Land unregierbar?

Fast könnte man das glauben. Die Leute fragen sich: Wann fangen die endlich mal an, ihre Hausaufgaben zu machen! Es ist ja in der Landespolitik noch vieles zu tun, aber genauso viel ist liegen geblieben.

Die Leute denken: Lauter Irre!

Ich fürchte, Sie haben recht.

Ein großes Programm, den Verdruss an Parteien, Politik und Demokratie weiter zu schüren?

Viele werden sagen: Naja, die sind abgehoben, die kriegen von unseren Sorgen nichts mehr mit, zum Beispiel um die Sicherheit von Rente oder Arbeitsplätzen.

Wieso können Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und SPD-Chef Ralf Stegner nicht miteinander?

Carstensen ist ein Holsteiner Urgestein, ein Gemütsmensch, der Konflikte nur schwer erträgt und nicht austrägt. Das kann Stegner deutlich besser. Und man merkt ihm an, dass er in Harvard studiert hat. Zwei derart unterschiedliche Charaktere gehen sich manchmal so auf den Keks, dass sie nicht zusammenkommen können, selbst wenn sie es wollten.

Naja, am liebsten würden sie sogar aufeinander einprügeln.

Nun, inhaltlich ist man ja auch bei harten Fragen aufeinandergeknallt: Bankenrettung, Haushaltsdefizit, Atommeiler und nun noch Sonderzahlungen an den Chef der HSH-Nordbank. Kein Politiker, egal welcher Partei, kann zulassen, dass eine Landesbank, die am seidenen Faden hängt wie die HSH-Nordbank, drei Millionen Euro Sonderbonus ausschüttet.

Bereuen Sie es, dass Sie die HSH in dieser Form ermöglicht haben?

Eigentlich nicht. Aber die Landesbanken sind zu groß geworden. Früher kannten sie noch ihre Kunden, heute kennen sie nur noch ihre Konkurrenten.

Ist die jetzige Krise eine Folge davon, dass Sie 2005 eine rot-grüne Koalition bilden wollten und bei der Wahl an einem "Heide-Mörder" aus den eigenen Reihen scheiterten?

Ja, in der Tat, ich halte es für den Fluch der bösen Tat. Eine Große Koalition auf der Basis so unterschiedlicher Parteikulturen im Land konnte nicht gut gehen.

Warum eigentlich nicht? Wieso ist die Beziehung so vergiftet?

Diese Vergiftung gibt es schon lange - nicht erst seit der Barschel-Affäre. Schon davor hat der CDU-Vorsitzende Gerhard Stoltenberg eine sehr starke Abgrenzung seiner Parteifreunde von den Sozialdemokraten erwartet. Die sollten sich nicht kooperativ und zu freundlich benehmen.

Das hält bis heute an?

Es ist gegenüber früher etwas besser geworden. Aber noch setzt sich kaum einer aus der CDU mal abends mit jemanden aus der SPD zum Bier zusammen, wie das im Bundestag durchaus üblich ist. Dabei wohnen in Schleswig-Holstein eigentlich ganz liebenswürdige Menschen, die nicht dauernd Zoff haben wollen. Aber zu oft knallt zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt die Sicherung raus, und zwar mit Aplomb und mit fürchterlichen Folgen.

Jetzt reden Sie aber nicht von einer Partei alleine?

Was jetzt abgelaufen ist, ist sicherlich nicht das Werk eines Einzelnen, sondern die Verknüpfung unglücklicher Umstände, die andere bei einem Glas Wein aufdröseln würden.

Wer Sie nicht gewählt hat, wurde nie aufgeklärt. Leidet die SPD daran?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Die Fraktion sagt jedenfalls: nach vorne gucken, Schluss mit der Vergangenheit.

Sie haben früh gesagt: Ich weiss, wer es war. Wäre es nicht Zeit, dass Sie...

Hahaha!

Sie wissen doch, dass viele sagen: Der Stegner war's, der nicht für Sie gestimmt hat.

Unsinn. Ich kenne ihn als einen Sturkopf, aber als Kämpfer mit offenem Visier. Das passt nicht zu ihm. Und wenn 2005 alles wie geplant gelaufen wäre, dann wäre Stegner inzwischen ja längst Ministerpräsident, weil ich nach zwei Jahren zurücktreten wollte.

Was passiert denn, wenn nach Neuwahlen nur eine Wiederauflage der Großen Koalition möglich wäre?

Das wäre eine echte Katastrophe.

Interview: Andreas Hoidn-Borchers