Die Wahl Frank-Walter Steinmeiers ins Amt des SPD-Fraktionsvorsitzenden ist ein ausgemachter Akt politischer Irrationalität. Ist schlicht verrückt. Er ist der Mann, der programmatisch und strategisch erfolgreich Hand angelegt hat an die einst so stolze Volkspartei SPD. Aus seinem Kopf stammt die Agenda 2010, die seit 1998 gut zehn Millionen SPD-Wähler vertrieben hat. Von ihm stammt die Idee, der Partei die einzige Machtoption bei der vergangenen Bundestagswahl zu nehmen - nie und nimmer mit der Linkspartei. Er hätschelte die Illusion, mit der FDP vielleicht doch noch ins Koalitionsbett zu kommen.
Und in der Stunde der desaströsen Niederlage fällt ihm kein besserer Gedanke ein, als einmal mehr zusammen mit Franz Müntefering zu versuchen, seine Partei ruckzuck über den Tisch in seine Richtung zu ziehen. Jubelt noch einmal über die Agenda 2010 und will sie als weitere Marschroute der SPD vorschreiben.
Ein wahres Wunder, dass er den Banken-Fan Peer Steinbrück nicht auch noch gleich für ein erneutes SPD-Führungsamt vorgeschlagen hat. Ausgerechnet jenen Steinbrück, der offenbar sein Ziel darin gesehen hat, Angela Merkel den Kanzlersessel zu retten und die weiter abgespeckte SPD auf den Notsitz einer erneuten Großen Koalition zu hieven. Egal für welchen programmatischen Preis. Mit dem Ausverkauf sozialdemokratischer Werte tat er sich ja schon immer leicht.
Den Neuanfang verpasst
Mit der Wahl Steinmeiers hat sich die SPD-Fraktion schon zum Start in der Oppositionsrolle bleischwere Fußfesseln angelegt. Null Konsequenzen sind gezogen aus unstrittigen Tatsachen. Erstens hat Steinmeier kein strategisches Konzept - außer natürlich seiner Agenda 2010 - um im Interesse der SPD auf die hochdynamischen Prozesse zu reagieren, die derzeit in Wirtschaft und Gesellschaft ablaufen. Nicht die Spur eines Neuanfangs signalisiert diese Wahl. Kein Signal steckt in der Entscheidung für Steinmeier an der Spitze der Fraktion, dass die SPD wieder glaubwürdige Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft werden will.
Wichtigste Bühne sozialdemokratischer Politik ist künftig nicht mehr das Außenministerium samt bravem Beamtenapparat. Ab sofort muss die SPD im Bundestag auftreten. Mit einem Spitzenmann, der in aller Regel ordentlich aufgeschriebene Redetexte benötigt, die er dann ebenso ordentlich abliest. Ein Jürgen Trittin und das Duo Gysi/Lafontaine werden ihm jede Chance nehmen, in Debatten verlorenes Profil zurückzuerobern. Einem reaktionsschnellen Guido Westerwelle war er in den vergangenen Jahren schon nicht einmal bei bester Zuarbeit durch seine Redenschreiber gewachsen gewesen.
Steinmeier ist der Rolle nicht gewachsen
Es stimmt nicht, wenn jetzt bemerkt wird, dass die SPD keinen Besseren mehr habe. Im Wahlkampf hat zumindest Sigmar Gabriel bewiesen, dass er die thematische Zuspitzung strittiger Streitfragen beherrscht. Von Steinmeier sind künftig weiterhin kantenlose Wortbeiträge zu erwarten. Man nehme nur einmal das Thema Afghanistan, das den neuen Bundestag in Bälde sehr beschäftigen wird. Als Außenminister hat er jede nüchterne Analyse dieses Themas verhindert und die SPD, die einmal eine Friedenspartei war, ehe sie unter Schröder und Steinmeier diese Position verriet, in inhaltliche Profillosigkeit geführt.
Egal, was künftig Thema sein wird im Parlament: Die neuen schwarz-gelben Regierenden müssen nur fleißig im Archiv arbeiten lassen. Entweder werden sie danach den neuen Fraktionschef fragen, weshalb er plötzlich ganz anderer Meinung sei als zu seinen Regierungszeiten. Oder sie rufen ihm zu, was er jetzt rede, sei zwar identisch mit seinen alten Positionen - doch seine SPD sei ganz anderer Meinung. Die SPD befindet sich nach elf Jahren Regierung in einer trostlosen Verfassung. Dass ausgerechnet jener, der dafür gewichtige politische Mitverantwortung trägt, mit der Sanierung beauftragt wird, ist eine Fehlentscheidung, an der die SPD noch lange leiden wird.