SPD-Kanzlerkandidat Warum Steinmeier noch nicht zündet

  • von Sebastian Christ
Seit einem halben Jahr ist Frank-Walter Steinmeier nun Kanzlerkandidat. In dieser Zeit ist es ihm nicht gelungen, auch nur annähernd die Beliebtheitswerte von Angela Merkel zu erreichen. Am Sonntag startet die SPD ihren Wahlkampf. Kann Steinmeier der Kanzlerin noch gefährlich werden?

"Ausgerechnet jetzt", mögen sich einige im Willy-Brandt-Haus gedacht haben. Am Sonntag will die SPD ihren Entwurf für ein Regierungsprogramm offiziell vorstellen. Es soll die erste große Veranstaltung des Bundestagswahlkampfs 2009 werden, Frank-Walter Steinmeier bekommt im Berliner Tempodrom die Möglichkeit, sich mit einer großen Rede zu profilieren. Und dann das: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des stern rutscht der Kanzlerkandidat auf den niedrigsten Sympathiewert dieses Jahres. Nur noch 22 Prozent der Bundesbürger würden ihm, gäbe es eine direkte Wahl, den Vorzug geben, 51 Prozent sind für Angela Merkel. Das sind satte 29 Prozentpunkte Rückstand.

Seit einem halben Jahr ist Steinmeier Kanzlerkandidat der SPD. Doch bisher hat er es nicht geschafft, den Rückstand auf die Amtsinhaberin signifikant zu verringern. Drei Erklärungsansätze.

Steinmeier hat seine Rolle noch nicht gefunden

Erstens: Frank-Walter Steinmeier ist zwar kein schlechter Politiker. Er hat jedoch Probleme, seine Politik zu verkaufen. Das liegt auch nicht zuletzt an der Zwickmühle, in der er steckt. Als Vizekanzler ist er der zweitmächtigste Mann der Großen Koalition. Steinmeier entscheidet mit. Als Kanzlerkandidat muss er jedoch eine Alternative zur bisherigen Politik bieten, um an Profil zu gewinnen.

Das alles wäre kein Problem, wenn Deutschland sich nicht in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 1949 befinden würde. In ruhigen Zeiten könnte Steinmeier einfach sagen: "Mit der Union ist keine gemeinsame Basis mehr vorhanden, Frau Merkel und ich sind in vielen zentralen Bereichen unterschiedlicher Meinung. Ein Wechsel muss her." Das klappt jetzt aber nicht, weil die Bürger völlig zu Recht erwarten, dass die Große Koalition, so lange sie noch besteht, die schlimmsten Auswirkungen der Krise abzuwehren versucht.

In der SPD hat man sich deshalb ein Modell überlegt, dass seit einigen Monaten auf Pressekonferenzen zu besichtigen ist. Nach den SPD-Präsidiumssitzungen zum Beispiel: Frank-Walter Steinmeier gibt die große Linie vor, Parteichef Franz Müntefering fährt die Attacken auf die Union. Einer macht den Wagenlenker, der andere den Turbo-Mann. Am Ende solcher Auftritte hat man jedoch nur die Sätze von Müntefering im Ohr. Er wirkt momentan wie der eigentliche Oberwahlkämpfer in den Reihen der Sozialdemokraten. Folgerichtig steht die SPD momentan besser da als ihr Spitzenkandidat Steinmeier - wenngleich die Unterschiede nicht wirklich gravierend sind.

Münte ist der Motor, Steinmeier der Lenker

Die Arbeitsteilung zwischen Steinmeier und Müntefering ist aber auch bis zu einem gewissen Grad zum Vorteil für den SPD-Kanzlerkandidaten. Sie überdeckt, zweitens, seine wohl größte Schwäche als Spitzenpolitiker einer Volkspartei: Er hat immer noch massive Probleme als Redner. Diese Feststellung ist freilich nicht neu, schon vor Steinmeiers Nominierung wurde in Berlin lebhaft darüber diskutiert, ob der Mann aus Ostwestfalen "Rampensauqualitäten" hat. Immer offensichtlicher wird: Er hat sie noch nicht. Zwar hat Steinmeier - einige wenige - kämpferische Reden gehalten, zum Beispiel auf dem SPD-Parteitag im Herbst vergangenen Jahres. Sobald jedoch die Anlässe weniger festlich werden, erlischt das Feuer. Auf Fragen antwortet er dann häufig ausweichend, laviert, flüchtet sich ins Diplomatendeutsch. Oft genug kommen dann Nullsätze dabei raus. Vergangene Woche etwa fragte ihn eine Journalistin, warum immer mehr Arbeitslose gleich in Hartz IV abrutschen, und ob das ungerecht sei: "Die letzte Frage zu beantworten, das ist keine, die nach vier Jahren Sozialpolitik der Großen Koalition mit einem einfachen Schlagwort zu beantworten wäre." Das hat den Charme einer verknoteten Lichterkette. Und es sorgt auch nicht dafür, dass Steinmeier als emotional annehmbare Alternative zur etwas spröden, aber manchmal doch gewitzten Kanzlerin wahrgenommen wird.

Wahlprogramme sind wie Wetten auf die Zukunft

Drittens: Inhaltlich steht Steinmeier vor demselben Problem wie alle anderen Spitzenpolitiker auch. Deutschland driftet in ein wirtschaftlich katastrophales Jahr, nur ist es eigentlich noch zu früh, um konkrete Antworten auf die anstehenden Probleme zu geben. Ein Wahlprogramm zu erstellen ist im Moment ein wenig so, wie auf die konjunkturelle Entwicklung zu wetten. Wird die Wirtschaft wirklich um fünf Prozent schrumpfen? Oder wird es doch glimpflicher ausgehen? Haben wir im Herbst schon weit mehr als vier Millionen Arbeitslose? Oder nicht? Der Mindestlohn beispielsweise könnte schon in einigen Monaten wie eine Sozialutopie aus ferner Vergangenheit wirken. Niemand weiß derzeit, wie stark die Krise bei der Bevölkerung wirklich ankommen wird. Und es ist auch unklar, ob am Ende überhaupt noch Geld übrig sein wird, um Wahlversprechen zu machen. Die Union wartet bis Ende Juni mit der Vorstellung ihres Programms.

Insofern ist es mutig, dass die SPD schon am Wochenende konkret werden will. Mit ein wenig Glück ist es für Frank-Walter Steinmeier ein Riesenschritt aus dem Schatten der Großen Koalition. Behält die SPD mit ihren grundlegenden Einschätzungen Recht, gibt er zukünftig den Ton an, auch was die Lösung der noch fälligen Probleme innerhalb der Großen Koalition betrifft. Die Kanzlerin kann dann nur noch reagieren. Sollten sich jedoch die SPD-Forderungen im August und September als Traumtänzerei erweisen - dann steht Steinmeier die peinlichste Zeit noch bevor.

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