Wer im "Phantasialand" ins Raumschiff steigt, sollte dies mit leerem Magen tun. Keine Gulaschsuppe vor der "Galaxy", einem Flugsimulator und Magenverdreher. Man sitzt in einer dunklen Kapsel und saust mit einem Affenzahn durchs Universum. Der Boden bebt, Schlüssel fallen aus der Hosentasche, Adrenalin schießt durch den Körper. Das dreidimensionale Spektakel dauert wenige Minuten, ehe man zitternd aus der Kabine wankt. Kaum festen Boden unter den Füßen, fordern die Kinder neuen Nervenkitzel. "Papa, und jetzt auf die Achterbahn."
Die höchste aus Holz steht in der Lüneburger Heide. Die größte an der französischen Grenze. Die beste mit Looping in Bottrop. Willkommen im Freizeitpark Deutschland, über 200 Anlagen haben im Angebot: Schussfahrten und Schräglagen, Sinnestäuschung, Aufhebung der Schwerkraft, Überwindung von Zeit und Raum. Bei Bautzen baute ein gelernter Dekorationsmaler Saurier aus Stahl und Beton, ein italienischer Selfmade-Millionär stellte zwischen Hamburg und Hannover Giraffen in die Heide-Landschaft. Die nennt sich nun Serengeti und bietet fast tausend Tieren eine neue Heimat. Wem Afrika zu weit ist, der kann hinterm Autobahndreieck Walsrode auf Foto-Safari gehen. Löwen stellen Tauben nach, neugierige Paviane hüpfen auf dem Autodach.
"Das kickt richtig"
Die Freizeitparks hatten im vergangenen Jahr 22 Millionen Besucher - Spanien, Italien und Griechenland hatten weniger deutsche Touristen. Warum auch in die Ferne schweifen, wenn das Ausland auf ein paar Hektar passt? Westernstädte und Chinatowns, Canyons und wilde Wasser, das alte Rom und Mexiko. Im "Europa-Park" Rust saust eine Achterbahn durch die Akropolis. Auf diese Idee sind die Griechen nie gekommen. Und wo kann man ohne Blessuren 65 Meter in die Tiefe stürzen? "Gute körperliche Verfassung, keine Höhenangst sowie Nervenstärke sind für diese Attraktion Voraussetzung", mahnt ein Schild vor dem "Mystery Castle" im "Phantasialand" Brühl. Für den freien Fall im Geisterschloss stehen Kinder 90 Minuten Schlange. "Es lohnt sich", sagt Heike, 9, aus Aschaffenburg. "Das kickt richtig."
Wie das deutsche Kernkraftwerk, das nach Milliardeninvestitionen ausgemustert wurde und nun als Funpark Karriere macht. Ein Holländer kaufte den "Schnellen Brüter" bei Kalkar und taufte ihn "Kernwasser Wunderland". Heute kraxeln Bergsteiger den Kühlturm hoch. Die Anlage ist Deutschlands einziger festungsähnlich angelegter Freizeitpark. Im Wassergraben schwimmen Enten. Wer einmal Atomkraftgegner war oder wieder ist, kommt am linken Niederrhein auf seine Kosten.
Fünf Euro für ein Erinnerungsfoto
Das Geschäft boomt: Die Deutschen gaben im vergangenen Jahr über 600 Millionen Euro in den Parks aus. Eine Familie mit zwei Kindern zahlt im Schnitt fast 100 Euro Eintritt inklusive Parkplatzgebühr; noch einmal 50 Euro kommen für Cola und Currywurst, Zuckerwatte und Andenken obendrauf. Und doch lohnt sich die Ausgabe offenbar. "Auf der Kirmes ist es doch teurer", sagt Paul, 12. Der Sechstklässler aus Frankfurt fährt am liebsten Achterbahn. "Sieben Fahrten, und ich hab das Geld wieder drin." Seine Eltern müssen allerdings aufpassen, dass er nicht von jedem Ritt Erinnerungsfotos mitbringt, fünf Euro das Stück. Oder dass er nicht sein Geld für Nippes in den zahlreichen Souvenirläden verprasst.
Verlangen nach immer mehr Sensationen
"Ein Drittel der Deutschen sind Freizeitparkfans, ein Drittel hasst sie, und ein Drittel meint, das kann man ja mal ausprobieren", sagt Hermann-Josef Kiel, Professor für Kultur- und Freizeitmanagement an der Fachhochschule Heilbronn. "Entscheidend für einen dauerhaften Erfolg ist, immer neue Besuchergruppen zu erschließen und die Zahl der Stammkunden zu erweitern."Über die Hälfte der Besucher sind zwischen zehn und 39 Jahre alt. Sie bringen das meiste Geld und verlangen nach immer neuen Sensationen. Die Parkmacher bemühen sich, auch jung gebliebene Alte als Laufkundschaft zu gewinnen, Senioren mit Enkeln. Ihnen sind die zum Teil aufwendigen Shows gewidmet - und die Kaffee- und Kuchen-Ecken abseits des Rummels. In die großen Parks kommen acht von zehn Gästen ein zweites Mal. "Es geht darum, das Gefühl zu erzeugen, alle Attraktionen nicht an einem Tag zu schaffen", sagt Kiel. Das Qualitätsgefälle ist groß, wie der stern und Freizeitforscher Dr. Ulrich Reinhardt bei einer Testreise durch die Parks feststellten (siehe "Freizeitparks - der große stern-Test").
Übernachtungen möglich
Blieben die Gäste vor zehn Jahren noch durchschnittlich vier Stunden, vergnügen sie sich heute sechs Stunden lang. Und wo Hotels entstehen wie im "Europa-Park" oder im "Phantasialand", wird der Parkbesuch zum Kurzurlaub: Eine vierköpfige Familie zahlt für den Ausflug über Nacht etwa 200 Euro.
Die Parks sind voll mit sprechenden Papageien, patschnassen Seelöwen, tollkühnen Delfinen. Ein Wunder, dass man noch nirgends auf Elefanten reiten kann. Weniger gut läuft Weltraum, was derzeit in Bremen zu besichtigen ist. Für über 600 Millionen Euro wurde an der Weser der "Space-Park" aus dem Boden gestampft. Science-Fiction und Krieg der Sterne, wo früher eine Werft war. Das ehrgeizige Projekt legt gerade eine Bruchlandung hin: In die riesigen, mit neonfarbenen Leuchtstreifen illuminierten Hallen verirrt sich kaum Publikum. Von der "Destination Moon, powered by Langnese" wollen wenige etwas wissen. Die einzige Attraktion, ein "Space Shot", der Waghalsige in drei Sekunden und mit vierfacher Erdbeschleunigung in die Höhe katapultiert, muss oft aus Sicherheitsgründen geschlossen werden: immer dann, wenn mal wieder zu viel Wind bläst im Norden. Knapp ein Jahr nach der Eröffnung steht das Projekt, in dem 140 Millionen Euro Steuer-gelder stecken, vor der Pleite.
Wirbelsturm auf Knopfdruck
Wie gut, dass Bremen mit dem "Universum Science Center" Besseres zu bieten hat: Wissenschaft als Erlebnis im Bauch eines Wals. So sieht der Bau von außen aus. Hier werden auf Knopfdruck Erdbeben simuliert und Wirbelstürme erzeugt. Die Wunder des Lebens sind an über 200 Exponaten und Experimentierstationen mit Händen zu greifen. Eine Digitalanzeige verfolgt auf bis zu sechs Stellen hinter dem Komma die Verschiebung der Kontinentalplatten zwischen Bremen und New York (drei Zentimeter pro Jahr). Hören, Tasten, Riechen, Sehen: Die Welt der Sinne begeisterte in nur zwei Jahren seit der Eröffnung eine Million Menschen. Erwachsene zahlen zehn, Kinder (ab sechs) sechs Euro Eintritt; ein Familienticket kostet 26 Euro.
Kinder sind unempfindlicher
Aber auch "schneller, höher, weiter" funktioniert immer noch. Die jüngste Attraktion bietet das "Legoland" im bayerischen Günzburg: Industrie-Roboter wirbeln Menschen in Metallkörben durch die Luft. Besucher können zwischen verschiedenen Einstellungen wählen und per Knopfdruck selbst bestimmen, wann es ihnen schlecht wird. Auf den Kopf gestellt, in die Waagrechte befördert, im Kreis gedreht, will man nach wenigen Sekunden nur noch raus, kann aber nicht. Also einmal und dann nie wieder.Kinder sind unempfindlicher auf diesem "Bionicle Power Builder". "Bionicle" ist ein Fantasy-Held mit drehbaren Armen, ein Verkaufsschlager unter Kindern ab vier. Im "Legoland" gibt es die Figur an jeder Ecke für (zu) viel Geld, der Park ist eine Art Dauerverkaufsausstellung. Kundenbindung von klein auf, davon kann die klassische Werbung nur träumen. Den Günzburgern brachte "Lego" 130 neue Arbeitsplätze.
"Europa-Park" war Märchenwald
Der weltweit erste kommerzielle Freizeitpark wurde im 17. Jahrhundert in London eröffnet. In den "Vauxhall Pleasure Gardens" ergötzten sich reiche Engländer am Anblick von Zwergen und siamesischen Zwillingen. Ludwig II., Bayerns Märchenkönig, ließ auf dem Dach seiner Münchner Residenz vor einer Himalaja-Kulisse einen See anlegen, in Sachsen machte August der Starke Dresden zu seiner Spielwiese. Zwischen den Elbschlössern schaukelten Gondeln, im Wassergraben vorm Moritzburger Jagdschloss wurden Seeschlachten nachgestellt. In Hamburg präsentierte Zoogründer Karl Hagenbeck Ende des 19. Jahrhunderts Tier- und Menschenshows. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden viele Märchenparks.
Der "Europa-Park", Marktführer im Erlebnisgeschäft, war auch einmal ein Märchenwald. Im badischen Städtchen Rust präsentiert die 200 Jahre alte Karussellbau-Firma Mack in achter Generation ihren Fuhrpark. 3,6 Millionen Menschen kommen jedes Jahr, mehr Besucher hat in Deutschland nur der Kölner Dom. Die Macks machen ein Drittel des Gesamtumsatzes aller deutschen Freizeitparks. 3000 Menschen arbeiten hier, darunter 160 Artisten. Der Park hat eine eigene Autobahnausfahrt, und alle Welt war schon da: Präsidenten und Kanzler und Minister des Äußeren, Promis aus Funk und Fernsehen. Global Players laden ihre Manager zu Seminaren, in den Pausen geht's auf Wildwasserfahrt.
Fünf Stunden für alle Shows
Roland Mack, 54, lässt in seinem Theater Shakespeare spielen und in einer Arena Gladiatoren auflaufen. Er spricht von "großer Erlebnisdichte in kompakten Zeitabschnitten". Wer alle Shows mitbekommen möchte, braucht fünf Stunden. Gartenfreunde staunen über Bananenstauden, Korkeichen und Olivenbäume - sie stehen im Humus mit Fußbodenheizung. "Wir konkurrieren mit Mallorca", sagt Mack. Als Kind war er Testfahrer auf Papas Fahrgeschäften, heute träumt der Ingenieur "von einer Achterbahn, die man selbst steuern kann". Die Macks beliefern sogar "Disneyland" mit ihren Schleudermaschinen. Ihr "Silver Star" gilt als Europas schnellste Achterbahn. Sie beschleunigt in fünf Sekunden auf 130 Stundenkilometer. Und garantiert 35 Sekunden Airtime. Airtime? Na ja, die Zeit, in der sich das Gefühl der Schwerelosigkeit einstellt, wenn man sich nicht vorher in die Hose macht.
Die Mauern sind aus Stein
Wer gern das grosse Rad dreht, entdeckt an der französischen Grenze ein Eldorado. Die Macks hatten sich vor 30 Jahren entschieden, die Unterhaltung europathematisch aufzubereiten: Die Niederlande sind dabei mit großen Kaffeetassen, die sich um die eigene Achse drehen. Die Schweiz mit Bobbahn und Almhütte. Russland tritt mit Ikonenmalern an. Spanien lädt ins Burghotel "Castillo Alcazar" mit prachtvollen Springbrunnen und Monumentalkronleuchtern. Deutsche Heimwerker klopfen anerkennend die Wände ab; die Mauern sind aus Stein und nicht aus Pappmaschee wie vielleicht in Amerika. Rudolf Mack sagt, sein Europa solle so echt wie möglich sein. Die neueste Erfindung ist ein römischer Palast mit toskanischem Marktplatz à la Siena und Blick auf die Reste des Colosseums. An guten Tagen wollen 22.000 Menschen in Macks Manege. Viele stehen länger in der Warteschleife als vorher im Stau an der Autobahnausfahrt. An solchen Tagen lohnt es sich, auf andere Parks auszuweichen. Der "Holiday Park" in Hassloch zum Beispiel, Richtung Speyer, hat auch eine erstklassige Achterbahn. Hier muss man sich für zwei Minuten Spaß nicht eine Stunde gedulden und kann seinen Körper trotzdem immer wieder vierfacher Erdbeschleunigung aussetzen. Um sich anschließend im historischen Pferdekarussell aus dem Jahr 1879 zu erholen.
Knallharte Konkurrenz
In Hassloch und Rust haben noch alte Schausteller-Familien das Sagen. Doch die Aufrüstung der vergangenen Jahre treibt viele Parkbesitzer an den Rand ihrer Möglichkeiten. Sie müssen jedes Jahr Millionen Euro investieren, damit sie nicht den Anschluss verlieren. Ein so genannter Freifallturm kostet 7,5 Millionen Euro, eine gute Achterbahn leicht das Doppelte. Konzerne drängen ins Geschäft. "Fort Fun" im Sauerland gehört jetzt einer französischen Gruppe, den "Heide-Park" in Soltau haben die Tussauds übernommen, bekannt geworden mit Wachsfiguren in London. "Warner Brothers" kauften sich im Ruhrpott ein.
Autokonzerne entwerfen Anlagen rund um die eigene Marke, Volkswagen in Wolfsburg, BMW bald in München. In Krefeld plante das US-Filmstudio Universal gemeinsam mit Thyssen Krupp ein "International Entertainment Center" für 850 Millionen Euro. Was einst als harmloser Spaß begonnen hat, ist knallhartes Geschäft geworden.
Reisen in die gute alte Zeit
Wer nicht den ganzen Tag im Kreis gedreht oder auf den Kopf gestellt werden will, kann es in einer fast vergessenen Welt ruhiger angehen lassen. Die deutschen Freilichtmuseen bieten in fast jeder Region der Republik Reisen in die manchmal sogar gute alte Zeit an. Eines der schönsten Museen findet sich in Molfsee bei Kiel. Hier entstand ein Bullerbü mit alten Bauernhöfen aus ganz Schleswig-Holstein. Mütter können Butter stampfen, Väter bauen mit Lehm. Und die Kinder spielen mit Holzstücken und Astgabeln.Am beliebtesten ist der historische Jahrmarkt mit Holzpferdchen und - Kettenflieger.