Anzeige
Anzeige

Europa League Eintracht Frankfurt! Oder: Der kurze Sommer der Anarchie 

Rafael Santos Borré jubelt
Um kurz vor Mitternacht verwandelte der Frankfurter Rafael Santos Borré den entscheidenden Elfmeter zum Europa League Sieg
© dpa
Champions League? Wie langweilig. Da gewinnt doch eh immer Real Madrid. Anders die Europa League: Hier erzählt der Fußball noch wildromantische Geschichten. So wie jene von der furchtlosen Frankfurter Eintracht, die den Großen das Fürchten lehrte.  

Eines der vielen Talente von Franz Beckenbauer ist es, Worte zu Gift zu mischen. Zu einem Gift, das seine Wirkung schlagartig entfaltet und trotzdem lange anhält, mitunter für Dekaden. Als die von Beckenbauer betreute deutsche Nationalmannschaft 1990 Weltmeister wurde, verkündete er, das Team sei "über Jahre hinaus unschlagbar" und legte sein Traineramt nieder. Jeder seiner Nachfolger würde nun scheitern müssen – welcher Coach gewinnt nur und verliert nie? 

Einen ähnlich verheerenden Satz kippte Beckenbauer über dem Uefa-Cup aus. Dies sei ein "Cup der Verlierer", nur die Champions League zähle, verfügte Beckenbauer. Ein kompletter Wettbewerb, entwertet mit nur wenigen Worten.  

Pure Fußballromantik 

Doch Beckenbauer hat sich geirrt, der Uefa-Cup, der heute Europa League heißt, hat sich zu einem hoch attraktiven Wettbewerb entwickelt. Es ist eben keine Spielrunde der Geprügelten und Gescheiterten. Das war am Mittwochabend wieder einmal zu erleben, beim Finalsieg von Eintracht Frankfurt gegen die Glasgow Rangers.  Auch wenn der Frankfurter Rafael Borré erst um kurz vor Mitternacht den entscheidenden Elfmeter zum 5:4 verwandelte, dürften niemandem die Augen zugefallen sein. Es war ein mitreißendes, kampfbetontes Spiel, das ebenso verdient die Schotten hätten gewinnen können.  

Die Europa League hat sich längst emanzipiert – sie schreibt Geschichten, wie man sie aus der Champions League schon lange nicht mehr gehört hat. Die selbsternannte Königsklasse ist eine nahezu geschlossene Gesellschaft; hier schießt Geld tatsächlich die Tore. In den vergangenen acht Jahren holte Real Madrid vier Titel, einer der zahlungskräftigsten und zugleich hoch verschuldetsten Fußballklubs der Welt. 

Frankfurt und Glasgow hingegen zogen mit Spielern ins Europa League-Endspiel, deren Namen noch keinen großen Klang haben. Das Finale 2022 war eines für Fußballromantiker, für jene, die daran glauben, dass alles möglich ist, wenn elf Freunde auf dem Platz nur eng genug zusammenstehen. Wen hatten sie nicht alles geschlagen auf dem Weg ins Estadio Ramón Sánchez Pizjuán von Sevilla? Die Eintracht besiegte den großen FC Barcelona und West Ham United, Glasgow setzte sich gegen Borussia Dortmund und RB Leipzig durch. Allesamt Klubs, die über mehr Geld und feinere Füße verfügen.  

Sehnsucht wird in der Europa League zur Wirklichkeit

Dass solche Triumphe auch ihre Schattenseiten haben, wissen die Frankfurter nur zu genau. 2018 schlugen sie im DFB-Pokalfinale den großen FC Bayern – und waren wenig später ihre besten Männer los. Trainer Niko Kovac ging zu ebenjenen Bayern; die Stürmer Luka Jovic, Sebastien Haller und Ante Rebic wechselten später zu Real Madrid, West Ham und dem AC Mailand. Die Europa League ist eben kein Reservat, auch hier greifen die Mechanismen des Marktes.  

Aber an manchen Abenden siegt das Revoluzzertum eben doch, da weht die schwarze Fahne der Anarchie und man kann sich zurücksehnen in eine Zeit, als der Fußball noch widerspenstiger war, nach Grasnarbe roch und die Welt überhaupt eine bessere zu sein schien.

Diese Träume mit Bildern zu füttern, ist das wahre Vermächtnis der Europa League. Eintracht Frankfurt und die Glasgow Rangers haben schönstes Material geliefert, jedenfalls für einen Sommer, bevor dann im November die WM in Katar stattfindet und wieder alles anders und falsch ist.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel