Formel-1-Crash Glaube an die Unverwundbarkeit

Von Elmar Brümmer, Barcelona
So schnell wie der Silberpfeil von Heikki Kovalainen beim Grand Prix von Spanien durch das Kiesbett in die Reifenstapel schoss, so schnell geht die Formel 1 nach dem Horror-Unfall zur Tagesordnung über. Sie tut zumindest so.

Mercedes-Sportchef Norbert Haug wird seine Sorgen einfach nicht los, was in diesem Fall allerdings sehr positiv ist. Als er drei Stunden nach dem Horror-Crash von Barcelona seinen Fahrer Heikki Kovalainen am Blackberry hat, geht der gar nicht auf Haugs Fragen nach dem Wohlbefinden ein. Der Finne will nur wissen, wie das Rennen ausgegangen ist, und wievielter sein Kollege Lewis Hamilton geworden ist. "Was, Dritter? Glückwunsch!"

Das Bulletin muss der mit ins General-Hospital von Sant Cugat dal Valles gereiste Teamarzt Aki Hintsa überbringen: Zwei Computertomographien haben keinerlei Kopfverletzungen registriert, und auch Knochenbrüche wurden nicht festgestellt. Für Kovalainen ist es keine Frage, dass er Ende nächster Woche in der Türkei schon wieder fahren will, und auch das Team rechnet damit, dass Ersatzpilot Pedro de la Rosa nicht zum Einsatz kommen muss.

So rasend schnell, wie der Silberpfeil in der Campsa-Kurve durch das Kiesbett in die Reifenstapel schoss - ohne richtige Bremswirkung durch das explodierte linke Vorderrad verringerte sich die Geschwindigkeit von 260 km/h nur auf etwa Tempo 150 - geht die Formel 1 zur Tagesordnung über. Zumindest tut sie so. Weil sie sich nicht nur auf den eingebauten Verdrängungsmechanismus der Rennfahrer verlässt, sondern auch auf ihr Sicherheitsbewusstsein. Max Mosley, der durch die Sexaffäre in Misskredit geratene Präsident des Automobilweltverbandes FIA, hat 1994 nach den tödlichen Unfällen von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna alles in Bewegung gesetzt, um dem Sport ein Höchstmaß an Sicherheit zu verleihen. Sein Gegenpart auf Seiten der Fahrergewerkschaft GPDA hieß Michael Schumacher, und der zeigte sich in Barcelona als Gast am Ferrari-Kommandostand höchst erleichtert, als Kovalainen von der Trage den Daumen reckte.

"Ich fühle mich sehr durchgeschüttelt"

Vor 14 Jahren hätte der 26 Jahre alte Finne seinen Unfall wohl kaum überlebt. Seither sind die Cockpits immer höher geworden, haben absorbierende Kragen aus Spezialschaumstoff, die Sicherheitszelle aus Kohlefaser besitzt Sollbruchstellen, vor allem aber ist es das von Mercedes mitentwickelte Kopf-und-Nacken-Schutzsystem HANS, das bei so dramatischen Verzögerungen möglichst viel der Fliehkräfte vom Körper nimmt. An den Strecken hat sich ebenfalls viel getan, blanke Leitplanken wie noch bei Schumachers doppeltem Beinbruch 1999 in Silverstone sind passé, und die Reifenstapeln sind heute zu cleveren Paketen verschnürt. Auch wenn, anders als bei den frisch aufgestellten Barrieren in der Campsa-Kurve zu Barcelona, das Auto eigentlich nicht unter die Pneus tauchen soll. Aber die gewollte Verformung ist trotzdem eingetreten, wie McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh weiß: "Zwischen Aufprall und Stillstand lagen 100 Millisekunden. Das ist ziemlich lang." Je länger diese Spanne ist, je weniger Kraft müssen Pilot und Chassis aushalten.

Die stärkste Kraft, die ein Rennfahrer besitzen muss, ist der Glaube. An sich, an das Schicksal, an die Unverwundbarkeit. Als im Vorjahr BMW-Pilot Robert Kubica in Montreal so brutal in die Barrieren geschossen war, dass wie bei Kovalainen die als unzerbrechlich geltende Kohlefaserspitze des Autos abgerissen wurde, wollte er nur wissen: Wie konnte Nick Heidfeld Zweiter werden. Und: Wann kann ich wieder fahren? An den Unfallhergang konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Wie der für einen Moment bewusstlose Kovalainen auch, der Finne bemerkt lediglich: "Ich fühle mich sehr durchgeschüttelt." Welch' Wunder. Kubica wurde damals - gegen seinen erklärten Willen - vom Rennarzt arbeitsuntauglich geschrieben, und auch Kovalainen wird sich wohl in Istanbul beim Formel-1-Mediziner Dr. Gary Hartstein vorstellen müssen. Parallel dazu wird bei McLaren und seinem Zulieferer Materialforschung betrieben: Wie konnte die Felge brechen.

Haug als Mahner

Die minutiöse Ursachenforschung ist längst nicht nur eine technische Angelegenheit, sondern auch eine mentale. So paradox es klingen mag: Wenn die Piloten wissen, woran es lag, beruhigt sie das. Das mag ein Selbstbetrug sein, aber das Leben am Limit erfordert nun mal dieses extreme Vertrauen in die Technik. Als am Boxenstand von McLaren-Mercedes eine erste Entwarnung gegeben werden konnte, galt die Aufmerksamkeit sofort wieder dem Rennen: "In dem Moment muss man seine Ratio walten lassen", erklärt Norbert Haug, "man würde Heikki gern helfen, kann man aber nicht. Dann ist die Konzentration aufs Rennen die beste Ablenkung." Haug sieht sich aber bewusst als Mahner: "Ich warne davor, dass wir uns in totaler Sicherheit wiegen. Die kann es nicht geben."

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