Der historische Triumph von Sebastian Vettel hat auch eine weibliche Note. Wie nicht anders zu erwarten, nach hessischer Hausmacherart eine deftige: "Randy Mandy" hat er seinen Red-Bull-Rennwagen getauft, der ihn in Abu Dhabi zum Triumph als jüngster Formel-1-Weltmeister der Geschichte beflügelt hat. Ein geiles Teil. Als es darauf ankommt, ist alles Zickige abgelegt, so rund wie beim Show-Down ist es das ganze Rennjahr über nicht gelaufen. Aus dem Hoffnungslauf auf der Wüsteninsel wurde eine Punktlandung, und die ganz große Vettel-Show - zum ersten Mal überhaupt führt er die Formel-1-Weltmeisterschaft an. Einen besseren Moment hätte es dafür nicht geben können, um den Macho Fernando Alonso noch vom sicher geglaubten Thron zu stoßen. Deutschlands neue Rennhoffnung ist ein echter Last-Minute-Champion.
Für den Salzburger Brause-Konzern Red Bull hingegen hat es sich gelohnt, vor 13 Jahren auf der Essener Motorshow einem kleinen Knirps und dessen Vater Werbeaufkleber und ein paar Scheinchen für die angestrebte Rennfahrer-Karriere in die Hände zu drücken. Die Marketing-Maschine hat nun einen selbstgemachten Champion ausgespuckt, der mindestens noch die kommende Saison unter Vertrag steht. Sich danach aber die Arbeitgeber auswählen kann - Ferrari, McLaren und Mercedes dürften alsbald Unterhändler vorbeischicken. An einem Manager müssten die Head-Hunter nicht vorbei, Sebastian Vettel vertritt aus einem gesunden Selbstbewusstsein heraus seine Interessen grundsätzlich selbst. Erst 23 Jahre und 135 Tage alt, aber auch darin schon ganz schön erwachsen.
Einfach sein Ding machen
Der Daumen von Michael Schumacher ist abgelöst, vorerst gibt der Zeigefinger von Sebastian Vettel die Richtung in der Formel 1 an. Es ist, nach einer Zitter-Saison, der späte Lohn für den stärksten Fahrer im stärksten Auto. Und für einen ungewöhnlichen Typen, der sich trotz einer wie von einem Schnellschaltgetriebe beschleunigten Karriere das bewahrt hat, was man Authentizität nennt. Dass er in seiner ersten Ansprache zur Renn-Nation allen alten Weggefährten von der Kerpener Kartbahn dankt, dass er Freundin Hanna und deren Eltern zuhause auf dem Sofa an der Bergstraße einen Gruß ausrichtet. Junge, Junge. Und jetzt kommt nach der Frage der Ehre noch die nach der Ära.
Er wird diese Hoffnung der Autobahn-Nation kontern wie gehabt: Einfach sein Ding machen, und wenn dabei ein großes Ding heraus kommt - dann quittiert er es mit einem schelmischen Lachen, der sympathischen Schutzschicht über seinem Dauer-Ehrgeiz. Es wirkt beinahe weise, wie er sich auf die unmögliche Titel-Möglichkeit von Abu Dhabi vorbereitet hat: "Wer in der Formel 1 nicht dazulernen will, der erreicht sein Limit früh und macht dann keinen Schritt mehr nach vorn. Manchmal muss man in diesem Geschäft akzeptieren, dass die Dinge nicht in die Richtung laufen, die man gern hätte. Hauptsache, das stört einen nicht auf dem eigenen Weg. Für mich gibt es ohnehin nur eine Möglichkeit: Tu, was Du tun musst."
Emotionen hinter dem Helmvisier
Druck, wenn er das Wort schon hört, wird aus seinem breiten Standard-Grinsen purer Grimm. Dann werden Gesichtszüge frei gelegt, die von den Anstrengungen auf seinem Weg an die Spitze zeugen. Verräterisch zucken die Muskeln. Noch keine Runzeln mit dem Profil von Regenreifen wie auf Michael Schumachers Stirn, aber Ecken und Kanten, die das Lausbubengesicht schärfen. Erfolg zu haben hat für Sebastian Vettel nichts mit Psychologie zu tun, das ist für ihn reine Einstellungssache. Als er Mitte September übereifrig im McLaren von Titelverteidiger Jenson Button landet, schreibt ihn alle Welt als unreif ab. Aber das, gesteht er in der Retrospektive von Abu Dhabi, sei für ihn der Wendepunkt gewesen. Der innere Startschuss für eine erhöhte Konzentration.
Seit sich die Dinge zuspitzten, bemühte sich Sebastian Vettel noch stärker, seine Emotionen hinter dem Helmvisier zu verbergen oder durch das verbale Schutzschild seiner Kalauer. Das kündet von zwei Persönlichkeiten, die in seinem Inneren um die Pole-Position fahren. Ein Küken mit Killerinstinkt. Der sich vehement gegen Vorwürfe wehrte, dass er mit den gestiegenen Anforderungen nicht klar komme. "Ich bin überzeugt davon, dass in meinem Kopf noch alles normal abläuft", sagte er, bevor er drei der vier letzten Rennen gewann. Er hätte schon in Südkorea die Spitze übernehmen können, wäre nicht in Führung liegend der Renault-Motor explodiert. Er hat weiter gemacht, und es ist eine Fügung des Schicksals, dass nicht Ferraris Stallorder am Ende diesen Titelkampf für ihn entschieden hat, sondern die eigene unbeirrte Leistung. Die Renn-Welt erlebte ihn beim Welt-Meisterstück so, wie er hinter verschlossenen Türen bei den Briefings von Red Bull Racing, agiert - aus einer kontrollierten Offensive heraus. "Ich kann ein unheimlich sturer Bock sein", gesteht er ein - und wirkt nicht sehr schuldbewusst dabei.
Kompromisslos wie Michael Schumacher
Vettel kombiniert sein sonniges Gemüt, geprägt von der Vorliebe für britische Komiker, mit einer brachialen Konzentration und Kompromisslosigkeit a la Michael Schumacher: "Ich bin auf der Strecke ein Egoist, möchte die Dinge möglichst auf meine Art erledigen." Gesagt und am Sonntag getan, der zehnte Grand-Prix-Sieg seiner Karriere ist die vorläufige Krönung. Angriff ist für Sebastian Vettel keine Flucht, sondern eine Sucht. Stillstand, sagt der Formel-1-Pilot mit der momentan größten Perspektive, sei für ihn der Untergang. Er bewegt sich weiter, derzeit in seiner eigenen Umlaufbahn.