Argentiniens Trainer Diego Maradona Mr. Chaos auf der Suche nach Geistern

Von Martin Henkel
Er mimt den großen Zampano und beschwört lieber Geister und Legenden, als seine Spieler mit Taktiktraining zu langweilen. Vor dem Länderspiel gegen Deutschland offenbart Argentiniens Nationaltrainer Diego Maradona vor allem eines: fehlenden Sachverstand.

Diego Armando Maradona kam, als die Anspannung gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte: 60 Minuten zu spät. So macht man das, wenn man größer ist als groß. Maradona, Weltmeister von 1986, ist genau das, zweifellos. Deshalb spielte er auf seiner Pressekonferenz auch noch das restliche Heroen-Repertoire ab: dezent vorgetragene Müdigkeit, gekonntes Blabla. Und doch zeigte er eine kleine Schwäche. Maradona wollte die momentane Stärke des Testspielgegners Deutschland illustrieren - und nannte Lukas Podolski.

Schon wieder so ein Lapsus. Dass ein Aufschrei in seiner Heimat ausblieb, hat Maradona nur dem Umstand zu verdanken, dass auch in Argentinien niemand weiß, wie Podolski gerade sein Talent verplempert. Aber das muss so nicht bleiben. Eine Niederlage am Mittwoch in München gegen Deutschland - und vielleicht fällt doch noch jemandem auf, dass Argentiniens Nationaltrainer vom Gegner eigentlich keine Ahnung hatte. Mal wieder nicht. 100 Tage sind es noch bis zum ersten WM-Spiel gegen Nigeria, danach folgen Südkorea und Griechenland. Alle drei Mannschaften sind schlagbare Gegner, aber was heißt das schon: schlagbar? Bolivien galt in der WM-Qualifikation als schlagbar, und Diegos Elf verlor 1:6. Bei fünf weiteren Spielen ergab sich dieselbe Diskrepanz.

102 Spieler im erweiterten Kreis

Seit 16 Monaten ist Maradona Nationaltrainer. Wenn seine Landsleute aus den vergangenen Tagen auf die künftigen schließen, dann bedeutet das für Südafrika auf jeden Fall große Oper. Und auf keinen Fall: Erfolg.

Im schlimmsten Fall unterläuft Maradona ein Fauxpas wie vor dem Testspiel gegen Jamaika, als er seine Spielerliste binnen einer Dreiviertelstunde zweimal korrigieren musste. Auf der ersten hatte er Spieler von Estudiantes de La Plata notiert, die am selben Tag einen Termin in der Copa Libertadores hatten. Auf der zweiten tauchte dann Juan Pablo Pereyra auf, der mit einem operierten Nasenbeinbruch im Bett lag. Im Normalfall hält er die Quote aus den vergangenen Spielen, auf zwei Siege käme dann eine Niederlage. Weltmeister wird er so nicht. Denn dafür bräuchte es etwas, was Maradona nicht leisten kann: einen Trainer. Einen, der seine Spieler kennt, der eine Idee verfolgt und der führen kann.

Mit den Spielern fängt es an: 102 hat Maradona bis dato nominiert, obwohl ihm Spieler wie Martin Demichelis, Juan Sebastián Verón, Lionel Messi oder Carlos Tévez die Auswahl eigentlich erleichtern müssten. Dann fehlt ihm eine Spielidee: Maradona hat nämlich nicht eine, sondern zwei. In München hat er wiederholt, dass seine Elf sein soll wie die 1978 beim ersten WM-Titel unter Cesar Luis Menotti und wie die 1986 beim zweiten Titel unter Carlos Bilardo. Aber wie soll das gehen, gleichzeitig vorwärts und rückwärts zu spielen? Menotti und Bilardo sind Kontrapunkte, die eine Elf hat mit Hurra angegriffen, die andere mit grimmiger Miene zu null gespielt.

"Geister wecken" statt Taktiktraining

Aber all das bringt Maradona nicht um den Schlaf. Er stellt sich auch nicht die Frage, ob seine Spieler - junge, strebsame Athleten - vielleicht eher einen Lehrer statt einer Ikone zum Trainer bräuchten. Zigarre rauchend stand er am Montagabend auf dem Rasen des Grünwalder Stadions und ließ seine Spieler mal wieder so trainieren, wie trainiert wurde, als er noch die Zehn auf dem Trikot trug: ein kleines Spielchen unter Freunden, Reserve gegen Stamm.

Hauptsache mit Ball am Fuß. Gerade im Training zeigt sich an Maradona ein Wesenszug, der bei vielen genialen Menschen sichtbar wird, wenn sie mit der Wirklichkeit in Kontakt treten: Verachtung. Maradona will nichts einstudieren, er will, wenn überhaupt, "Geister wecken". Er will auch nicht darüber nachdenken, ob er nun 4-4-2, 4-3-3 oder 4-2-3-1 spielen lassen soll. Das System ist ihm gleich, das Spektakel ist ihm wichtig. Last-Minute-Siege wie gegen Peru im Herbst, als Martín Palermo in der Nachspielzeit das 2:1 erzielte - die sind nach seinem Geschmack. Palermo darf sich deshalb auch einer Nominierung gewiss sein, trotz seiner 35 Jahre.

"Was ist aus dem Fußball geworden?"

So erklärt sich am Ende auch, wieso Maradona Podolski nannte, um Deutschlands Stärke zu bezeichnen. Weder Podolski noch Deutschland interessieren ihn. Das letzte Mal, dass er über sie nachdachte, war am 8. Juli 2006. Damals feierte die DFB-Elf gerade ihren dritten Platz, während Maradona den Flieger mit jener Verachtung bestieg, die ihm jetzt zum Verhängnis zu werden droht. Hoch oben im Himmel schaute er noch einmal auf das WM-Land hinunter und fragte angewidert: "Was ist aus dem Fußball geworden, wo dritte Plätze gefeiert werden wie erste!?"

Diesen Artikel haben wir für Sie in der Financial Times Deutschland gefunden.

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