Bundestrainer Die Stunde des Notnagels

Von Rüdiger Barth und Bernd Volland
Sensationell führte er Griechenland zum EM-Titel. Nun hat Altmeister Otto Rehhagel beste Chancen, Bundestrainer zu werden. Welches Konzept er hat, ist wurscht - Augen zu und durch bis zur WM 2006.

Man hatte es schon fast vergessen, wie er ist, der Otto. Vor dem Halbfinale dieser EM saß er wieder der Presse gegenüber. Ein Spieler hatte einem Zeitungsmann gesteckt, Rehhagel hätte sich in der Kabine als Kaiser bezeichnet, und ein griechischer Reporter hakte nun nach. Schlechte Idee. Rehhagel blickte von der Bühne dem Feind ins Auge, mit kampflustigem Ottostrahlen, und warf ihm entgegen: "Von wem hast du das?"

Sein Co-Trainer Ioannis Topalidis übersetzte. Rehhagel beugte sich vor. Er schaute nicht aggressiv, eher so, als habe er sich schon darauf gefreut. Er liebt es noch immer, Leute abzukanzeln. "Zeig, dass du ein Kerl bist!" Topalidis zögerte, sagte nichts. Ottos Gegner stammelte irgendwas. Rehhagel sagte: "Sei kein Feig..."- "Otto!", zischte Topalidis. "...ling!", sagte Rehhagel. Und sah sehr zufrieden aus. Er kann es sich leisten, wieder in seinem Element zu sein. Tage später wird er sogar Europameister, mit Griechenland, so unwahrscheinlich das selbst jetzt noch klingt.

Er war ja schon weg

Ein Mann von gestern, seit vier Jahren nicht mehr in der Bundesliga. Diese verrückte EM hat ihn mit Macht zurück ins Bewusstsein der Deutschen gespült, und weil zufällig zur selben Zeit deren Nationalelf einen neuen Trainer sucht, ist Otto Rehhagel plötzlich wieder unheimlich obenauf. Sein Erfolg hat etwas unfassbar Aufdringliches. Rehhagel, 65, könnte tatsächlich der neue Bundestrainer werden. Aus seiner Sicht: endlich. Viel spricht dafür, dass der DFB, scharf kritisiert, in sich zerrissen, hoch nervös, Rehhagel einfach nehmen muss. Hat die Findungskommission des Verbandes denn eine fantaugliche Alternative? Ottmar Hitzfeld hat abgesagt, Christoph Daum auch, bevor seine charakterliche Eignung diskutiert werden konnte, und Rudi Völler macht keinen Rückzieher vom Rückzieher.

Und Rehhagel?

Dessen Verpflichtung würde der angeschlagenen DFB-Auswahl eine Menge Kredit versprechen. Als Bundeskönig könnte er bis zur WM alle Pleiten mit der ottokratischen Autorität des Europameisters schönreden. Vertraut mir, seht, die Griechen! Zumal viele Deutsche ihn wollen, wie die Umfragen zeigen. Und die einflussreiche "Bild" von nichts anderem als seiner Heimkehr schwurbelt: "Rehakles muss Deutschland retten". Das ist fast so viel wert wie ein Blankovertrag. Was, wenn der DFB einen anderen Mann wählte, etwa den Dänen Morten Olsen, der mit seiner Nationalelf einen begeisternden Fußball spielen lässt? Wäre da nicht immer dieser Vorwurf: Warum habt ihr denn den Otto nicht genommen?

Selbst Franz Beckenbauer, Organisationschef der WM, hat schon seinen Segen gegeben. Was nach 2006 komme, sei egal, sagte er. Nur die WM im eigenen Land zähle. Und ein Team in Not in die Sphären des Lichts zu leiten, das kann Rehhagel. Der träumt schon lange von diesem Job. In seinem Vertrag mit den Griechen, der bis 2008 gilt, soll es eine Ausstiegs-klausel geben, könnte ja sein, dass das Vaterland ihn irgendwann mal braucht. Wenn Rehhagel wirklich will, wäre eine hohe Abschlagszahlung an die Griechen fällig.

Der DFB ähnelt einem Verein im Abstiegskampf: Keine Konzepte sind gefragt, sondern Erfolg, wurscht, wie. Als höre der Fußball 2006 auf zu existieren. Als wolle irgendwer in Deutschland noch eine Elf sehen, die sich von Sieg zu Sieg zittert. Schon bei der WM 2002 waren die mühevollen Erfolge der Völler-Männer vielen deutschen Fans eher peinlich. Und als Gastgeber der WM 2006? Träumen die Deutschen nicht davon, dass ihr Fußball wieder aufregend ist? Dass ihre Jungs lernen, mit Idee, Tempo und Witz zu spielen, anstatt nur zu versuchen, die anderen dabei zu stören? Dass es ihnen einer austreibt, sich nur auf Kampfkraft und Kopfballstärke zu verlassen? Wie wollen sich die Deutschen 2006 eigentlich der Welt präsentieren?

Rehhagels Auffassung von Fußball

ist den 70er und 80er Jahren verhaftet, es war die Zeit, in der Brecher wie Briegel Ästheten wie Netzer ablösten. Bei den Griechen hat der Deutsche wunderbar funktioniert. Am Anfang staunten alle nur, und manche schimpften ein wenig über Ottos Verhinderungsfußball. Bald aber kam der Respekt. Gewinnen kann ja so einfach sein. Rehhagel ließ seine Griechen spielen, wie er in den Klubs auch immer spielen ließ: hinten große Jungs, die dem Gegner den Spaß verderben, und vorn Ecke, hoch auf die Rübe, rumms, Tor. Und zwischendurch verwirrt der Trainer den Gegner mit einer cleveren Einwechslung. So spielten sie, sogar mit Ausputzer, das Wort gibt es noch. Die griechischen Helden heißen Dellas, ein Zerstörer herkulischen Ausmaßes, und Seitaridis, schneller als Ronaldo, beide Verteidiger, die kluge Pässe spielen können. Da durften sie schon kommen, die Portugiesen, die Spanier, Franzosen und Tschechen, alle Favoriten mit ihrem neumodischen Tempofußball. Am Ende merkten selbst die Nörgler: Diese Griechen sind unglaublich flink, können alle verdammt gut kicken und spielen ihren ganz eigenen hellenischen Tempofußball.

Otto im Augiasstall

Es war ein original Rehhagelsches Meisterstück, so überraschend hatte er einst schon Werder Bremen und Kaiserslautern zu Titeln geführt. Es gab kaum einen größeren Außenseiter bei diesem Turnier als die Griechen, mit ihrem bisher größten Erfolg, der Qualifikation zur WM 1994. Da schieden sie mit 0:10 Toren nach der Vorrunde aus. Die Nationalelf war immer verstrickt in die Eifersüchteleien der drei großen Athener Klubs und die Eitelkeiten der mehr als 50 Präsidenten der Regionalverbände. Die Spieler hatten selten Bock, und die Fans blieben zu Hause. Dann kam Otto. Und mistete, das klassische Bild würde ihm gefallen, den Augiasstall aus. Sie gaben Otto, was Otto wollte. So muss das sein. Am Anfang setzten gekränkte Spieler und Funktionäre noch ihre Schreiber auf ihn an, nach den ersten Niederlagen: "Auf Wiedersehen, du Supertrainer". Aber dann: Märchen. Dabei hatten die Griechen schon vor seiner Zeit Könner, Rehhagel gab ihrem Spiel eine Struktur. Die deutsche Nationalelf hat nur eine Struktur, die Qualität muss erst wieder wachsen. Unter einem Trainer, der Talente auch wachsen lässt.

Bei Werder Bremen hießen Rehhagels Stützen Mirko Votava, Manni Burgsmüller und Klaus Allofs, aus diesen Routiniers kitzelte er das Beste heraus. Und Routiniers waren sein Programm, selten Talente. Seine Werder-Bremen-Geschichte begann 1981, da nannte man Otto Rehhagel anfangs noch "Otto Notnagel", weil er bis dahin nur kurzfristig hatte ran dürfen, er galt als Krisenspezialist. Doch an der Weser fand er sein Glück, 14 Jahre, zweimal Meister, fünfmal Vize, zweimal Pokalsieger, einmal Europapokal der Pokalsieger. Werder gefiel sich dabei immer in der Rolle des Außenseiters. Kaiserslautern führte er 1998 als Aufsteiger zur Meisterschaft. Und jetzt darf sich Rehhagel sogar Weltklassetrainer nennen. Für Außenseiter. Nur findet die WM 2006 in Deutschland statt, im Land des dreimaligen Weltmeisters. Der Charme eines Underdogs wird der DFB-Elf nicht zugestanden.

Trainer eines Favoriten

war Rehhagel mal in München, das war 1995. Er scheiterte. Als Rehhagel zu den Bayern ging, erschien er zum ersten Trainingsspiel mit Megafon. Später zitierte er gern Schiller. Die Spieler machten bald Witze über ihn, auch wenn er in ihrer Nähe stand. Er sei "entfremdet von der Mannschaft, uneins mit dem Präsidium, zerstritten mit der Presse", urteilte die "Süddeutsche Zeitung". Wenige Tage vor dem UEFA-Cup-Finale entließ Präsident Beckenbauer seinen Trainer, nach nicht mal einer Saison. Und nun, in seiner wachsenden Verzweiflung als Cheforganisator der WM, sieht Beckenbauer in Otto den Retter. Nur: Warum sollte es in der Nationalelf leichter sein als damals bei den Bayern?

Die Griechen, sah der ehemalige Werder-Profi Yasuhiko Okudera in Portugal staunend, trainierten bei der EM genauso wie er selbst anno dazumal in Bremen. Und ob seine Art bei den heutigen Nationalspielern, den Playstation-Daddlern, ankommt? Rehhagel ist eine Vaterfigur, durchaus, seine Männer dürfen ihn nachts aus dem Bett klingeln, aber er ist auch der nervende Alte, der beim Abendessen sitzt und sagt: "Solange du deine Füße unter meinen TischÉ" Den braven DFB-Kickern wünscht man eher einen Trainer, der sie zu Abenteuern inspiriert, ihnen Mut und Eigeninitiative vermittelt. Als Michael Ballack, damals 22, in Kaiserslautern mitten in der Saison seinen Wechsel nach Leverkusen verkündet hatte, kam er kaum noch zum Einsatz. Rehhagel schmollte. So ist der Otto. Als er 2000 ging, hinterließ er beim FCK eine überalterte, unmündige, ausgezehrte Mannschaft. Genauso wie 1995 in Bremen.

"Er ist irre, der Deutsche!"

Die Griechen aber preisen ihn als großen Psychologen. "Meine Herren, hier könnt ihr beweisen, was ihr könnt", verkündete Rehhagel in der Kabine. Wenn ihr auf Otto hört. Das ist seine Psychologie. Sie hört sich so an wie nach dem Sieg über Tschechien: "Wir haben unseren Erfahrungsschatz eingebracht", sagte Rehhagel, die Stimme rollte, und die Brauen gingen hoch und runter, "das heißt meinen. Die Spieler lernen ja noch, und auch mein Ioannis." Dann kniff er seinen Assistenten Ioannis Topalidis in die Wange. Und der lächelte nur. Seinem Ioannis hat er viel zu verdanken, der übersetzt für ihn, nicht nur bei der EM. "Er ist irre, der Deutsche!", sangen die Fans im Stadion.

Es gefiel ihnen, wie er in Portugal am Spielfeldrand fuchtelte, und wenn er etwas reinbrüllen wollte, ging er zu Ioannis, brüllte ihn an und fuchtelte, und dann ging Ioannis an die Linie und brüllte und fuchtelte. Mancher Kritiker vermutet, dass die griechischen Nationalspieler auch deshalb gut mit dem Deutschen können, weil sie nicht alles hören, was er so von sich gibt. Weil sie nur einen gefilterten Teil der Otto-Show mitbekommen. Die Deutschen aber würden Rehhagel verstehen. Wort für Wort.

print

PRODUKTE & TIPPS