Die Abstimmung über dieses Spiel erfolgte irgendwann Mitte der zweiten Halbzeit, und das Urteil fiel beinahe euphorisch aus. Die Welle kreiste durch die sogenannte Esprit-Arena von Düsseldorf, randvoll, was dieser Tage keine Selbstverständlichkeit mehr ist, wenn die deutsche Nationalmannschaft zu Spielen in Freundschaft lädt. Doch Spanien war der Gegner, die WM in Russland wirft ihre Schatten voraus – genug, um den geneigten Fan wieder einmal in die Kälte zu locken.
Kälte? Der Frühling hielt Einzug im Düsseldorfer Norden, zumindest dort, wo gestern Fußball gespielt wurde. 15 Grad maß das Thermometer, das geschlossene Dach machte ein solches Wohlgefühl möglich. Prompt hingen gefütterte Mäntel über Bänke, Kinoatmosphäre machte sich breit und das nicht nur, weil Düsseldorfs größtes Stadion den Charme eines riesigen Multiplexkinos verströmt.
90 Minuten gehobene Sportkultur
Welch passender Rahmen. Denn das Schauspiel, das sich in den 90 Minuten vor den Augen der Betrachter entfaltete, erinnerte tatsächlich eher an gehobene Sportkultur. Selten hat ein Testspiel ähnlich das Herz erwärmt wie dieses 1:1 der Deutschen gegen die Spanier. Die Weltmeister von 2014 (Deutschland) und 2010 (Spanien) hatten sich da zu einer echten Generalprobe versammelt, und wenn dieses Spiel ein Vorbote ist für das, was die Fans in ein paar Monaten in Russland erwartet, liegt ein erquicklicher Sommer vor den Anhängern beider Nationen.
Denn Akteure mit einem ganz feinen Füßchen versammelten sich da auf dem Feld, atemberaubend, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Spanier selbst dann aus den Tiefen der eigenen Hälfte zu kombinieren verstanden, wenn die Deutschen sie am eigenen Strafraum sogleich frontal anliefen – pressten, wie das heute heiß.
Weil auch die Elf von Joachim Löw mit Männern wie Boateng, Kroos, Draxler, Özil, Kimmich oder neuerdings Werner schon lange das Dogma ihres Chefs verinnerlicht hat, das auf einem geordneten Spielaufbau aus den Tiefen der eigenen Hälfte gründet, durchzog das Spiel auch dann keine Längen, wenn der Ball gerade einmal nicht in Tornähe zirkulierte. Ein 90-minütiger Lehrfilm zum Thema "Ballbehauptung unter Druck" war da zu bestaunen, und es trübte die Freude auch nicht, dass die Gäste bisweilen den Eindruck vermittelten, als sie die Handlungsanweisung ihres Trainers Julen Lopetegui gewesen: Angriffe ohne Torabschluss.
Immer wieder kombinierten sich Isco, Iniesta und Co. bis in den Fünfmeterraum, bisweilen beschlich einen der Verdacht, dass die Gäste ihre Angriffe dort vorsätzlich versanden ließen. Wie hatte Löw doch Tief in der Nacht festgestellt: "Man will ja auch nicht alles zeigen." Der Feind scoutet schließlich mit, vor allem wenn er einem gegenüber steht.
Löw selbst gewährte durchaus Einblicke. Wenn er in seinem Reservoir an Spitzenkräften schon eine erste Elf ausgemacht hat, so schickte er sie gestern aufs Feld. Die Viererkette aus Kimmich, Boateng, Hummels und Hector gilt gemeinhin als gesetzt, davor bilden die Weltmeister Kroos, Khedira und der wieder einmal bemühte aber seltsam stille Özil eine WM-erprobte Achse. Flankiert wird sie vom unumstrittenen Müller rechts und Julian Draxler links. Der begann zwar lautlos, entwickelte im Laufe des Spiels dann allerdings eine beachtliche Hitze, die man ihm so nicht mehr zugetraut hätte. Nicht nur hätte er mit einem gefährlichen Weitschuss nach dem Wechsel um Haaresbreite für den Sieg gesorgt, beinahe wütend ging er in der zweiten Hälfte ans Werk. Als sollten diese Spanier herhalten für Monate des Frusts auf der französischen Ersatzbank von Paris St Germain. Der Beweis ist damit vorerst erbracht: Es steckt menschliches Leben in diesem Draxler, man hat Löw da keinen hochentwickelten Androiden untergejubelt, der nur leblos sein Tagwerk verrichtet. Ob der neue Trotz auf Dauer reichen wird, um sich den jungen Sane oder den alten Reus vom Hals zu halten, bleibt allerdings fraglich.
DFB-Elf: Löws Grundgerüst steht
Vorn hinterlief Werner als einzige echte Spitze immer wieder die spanische Hintermannschaft und bewies einmal mehr, warum er sich bis auf weiteres als Stammspieler fühlen darf. So geschwind ist der Leipziger bisweilen unterwegs, dass der Kopf den schnellen Beinen nicht mehr folgen kann. Mehrmals versandeten Werners Zuspiele in des Gegners Strafraum im nichts, weil ihm der Überblick fehlte. Klar die Nase vorn hat er dennoch, denn als Hybrid aus Kombinations- und Konterspieler erfüllt er genau die Anforderungen eines Löw-Stürmers.
Löw mag vor dieser WM noch an Spielzügen feilen, in der Abwehr die Vorwärtsverteidigung proben, sein Grundgerüst steht. Seine Elf wird nicht als Top-Favorit in diese Weltmeisterschaft gehen, Titelverteidiger hin oder her, so viel ist seit gestern Abend gewiss. Diese Spanier sind noch immer mindestens auf Augenhöhe. Konkurrenzfähig ist diese deutsche Elf allerdings allemal.
Ein erquicklicher Kinoabend in Düsseldorf hat dies einmal mehr unter Beweis gestellt.
