EM-Aus Abschied durch die Hintertür

Die deutsche Nationalmannschaft lässt beim 0:2 gegen Frankreich eine große Chance liegen, nach der Weltmeisterschaft auch ins Finale dieser EM einzuziehen. Am Ende wiegt der Ausfall zahlreicher Stammkräfte doch zu schwer.

Wie er diese Mannschaft liebt. Vielleicht hat nie jemand diese Nationalmannschaft mehr geliebt als er. "Eigentlich möchte ich nur der Mannschaft ein Kompliment machen, wir haben hier eine wahnsinnig tolle Zeit gehabt, wir haben ein wahnsinnig tolles Turnier gehabt", sagt Mario Gomez. Er steht im Souterrain des Stade Velodrome von Marseille, es ist bereits nach Mitternacht. Er lächelt ein trauriges Lächeln. Es ist nicht gut gegangen. Nicht für Gomez. Nicht für diese Nationalmannschaft.

Zeit also, Bilanz zu ziehen, auch wenn Gomez über dieses 0:2 im Halbfinale der WM gegen den Gastgeber Frankreich gar nicht mehr sprechen mag. Besser seien sie gewesen, das müsse reichen. Dafür will er etwas anderes hinterlassen: Ein Gefühl für diese Elf. Eine Hommage. Er  beginnt mit seiner leisen Stimme, die sehr sanft sein kann, vom "wahnsinnigen Zusammenhalt", dem "wahnsinnigen Spirit" zu schwärmen. Es ist ihm jetzt ein Bedürfnis, dieser Elf ein Bekenntnis zu machen. Schließlich sagt er ohne jede Ironie: Man muss ja im Fußball vorsichtig sein, aber ich muss sagen, es ist fast Liebe."

EM 2016 wie unverhoffte Flitterwochen

Man muss das verstehen. Diese Europameisterschaft muss Gomez wie unverhoffte Flitterwochen mit einer Liebe erschienen sein, die ihn zwar lange Zeit bei sich wohnen ließ, aber allzu oft verschmähte. Er ist ja schon seit 2008 dabei. Er hat seine Tore geschossen, dennoch liebten ihn diese Deutschen nie. Es bleibt bis heute ein Rätsel, warum eigentlich nicht. Es hat selten einen mannschaftsdienlicheren Mittelstürmer gegeben als ihn.

Stattdessen schien alles vorbei, als er verletzt die WM verpasste und ihn Teile der Zuschauer bei seiner Rückkehr im ersten Spiel nach dem Turnier in Düsseldorf obendrein noch auspfiffen. Als sei er ein Aussätziger. Eine bemerkenswerte Geschmacklosigkeit.

Zurückgekämpft in die Herzen der Fans

Er hat sich noch einmal zurückgekämpft, mit einer starken Saison in der Türkei bei Besiktas Istanbul. Zurück zu Löw. Zurück in diese Elf. Zurück in die Herzen der Fans, die stürmisch seinen Namen riefen, als er gegen Italien verletzt vom Feld musste. Er hat diesen Moment ersehnt. Endlich dieses Spiel im weißen Trikot einmal spielen, ohne die Zweifel.

Nun hat er gegen Frankreich doch wieder zusehen müssen, im größten Spiel des Turniers. Hat nicht mithelfen können. Wo sie ihn doch so gut hätten brauchen können im Strafraum der Franzosen, die so sehr wackelten und so gar nichts Souveränes hatten. Stattdessen zogen sich Pogba und Co. angsterfüllt zurück und verlegten sich allein aufs Kontern. Bisweilen fungierte Jérôme Boateng als Ballverteiler an der Mittellinie. Man fühlte sich an den FC Bayern in der Allianz Arena erinnert. Gegen Ingolstadt. Dass Kroos, Schweinsteiger und auch Özil den Ballbesitz dominierten, schien die Franzosen minütlich weiter schrumpfen zu lassen.

Vor dem Tor fehlte Entschlossenheit

Die Deutschen spielten engagiert, mit ordentlicher Raumaufteilung zogen sie immer wieder die Abwehr der Gastgeber auseinander. Doch vor dem Tor fehlte die letzte Entschlossenheit. Sie spürten die Angst des Gegners, doch wirklich zwingend waren sie selbst nicht. Es fehlte Gomez. Thomas Müller konnte abermals der Elf nichts in der Spitze geben, als sie ihn dringend brauchte. Am Ende erklärte Gomez: "Wahrscheinlich hätten wir noch eine Stunde spielen können, und der Ball wäre nicht rein gegangen." Löw  erklärte: "Die Franzosen haben eine gute Mannschaft, aber wir waren heute besser." Beide hatten sie Recht, was viel aussagt über das indifferente Gefühl, mit dem diese Nationalmannschaft die Heimreise antrat.

Tatsächlich sind die Gründe für die Niederlage wohl eher profaner Natur. Einen halben Stamm musste Löw ersetzen. Er hat seine Elf immer wieder umbauen müssen, doch der schleichende Substanzverlust war spürbar.

Eine ordentliche Elf ohne Champions-Aura

Gündogan und Reus waren gar nicht erst mit nach Frankreich gereist. Dann verletzte sich Antonio Rüdiger noch in der Vorbereitung. Ihm folgten Khedira und Gomez und schließlich auch noch der gesperrte Hummels sowie der bärenstarke Boateng, der in der zweiten Halbzeit vom Feld musste. "Vielleicht hat es auch deshalb nicht gereicht", sinnierte Löw kurz nach dem Spiel. Er war wohl auf der richtigen Spur.

Eine ordentliche Elf hatte er an den Start gebracht, die Aura eines Champions hatte sie am Donnerstag nicht. Was bleibt, ist das Gefühl, eine Chance verpasst zu haben gegen einen Gegner, der vor dem Weltmeister in die Knie zu gehen schien und den nur Schweinsteigers Handspiel mit dem Pausenpfiff aus einer Angststarre riss, die er womöglich ohne fremde Hilfe nie ganz überwunden hätte. Weder führte die falsche Taktik, noch zu wenig Engagement ins Verderben. Ein wenig leichtgewichtig wirkte diese Nationalelf vor dem Tor dafür. Aber will man ihr das vorwerfen?

Mario Gomez will es 2018 wieder versuchen

Die beste Mannschaft des Turniers ist ausgeschieden. Drei Tore hat sie nur kassiert, davon zwei Handelfmeter in Situationen, in denen nicht einmal die Ahnung einer Torchance heraufzog. Eine "gute Körperspache", eine "machtvolle Körpersprache" diagnostizierte Löw bei seiner Elf. "Ich kann der Mannschaft nur ein riesen Kompliment machen."

Mario Gomez will es in zwei Jahren noch einmal versuchen. Es wird ein anderes Turnier werden in Russland. Er freut sich dennoch. "Wir Deutsche sollten froh sein, so eine Nationalmannschaft zu haben", teilte er noch mit. "Wir sind nicht Europameister, wir hätten es sicher verdient gehabt."

Ausgespielt.

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