Um es ganz deutlich vorwegzuschicken: Natürlich ist nicht alles schlecht. Die Nationalmannschaft steht mit sechs Punkten aus zwei Spielen gleich wieder an der Spitze der WM-Qualifikationsgruppe E. Erst Färöer, jetzt Österreich. Die beiden Siege waren eingeplant. Pflicht erfüllt. Soweit, so gut. Und doch lässt sich inklusive des Testspiels gegen Argentinien, das 1:3 verloren ging, ein Trend feststellen. Die Spieler von Joachim Löw scheinen nicht frei im Kopf. Das Leichte ist weg, die Unbekümmertheit. Es ist nur eine Vermutung, aber das EM-Aus gegen Italien hängt ihnen möglicherweise doch noch in den Kleidern. Auch beim Bundestrainer wirkt etwas nach. Er hinterließ vor, während und nach den drei ersten Länderspielen der neuen Saison im Vergleich zur Vor-Europameisterschaftszeit einen veränderten Eindruck. Den eines immer noch gekränkten und beleidigten Mannes.
Löw, der vor der EM von Fans und Medien fast zu einem Magier überhöht wurde, hat die Kritik an seiner Arbeit nie richtig akzeptieren wollen. Dass er gegen Italien falsch aufgestellt hat: Direkt wurde das so nie von ihm angesprochen. Der Trainer übernahm die Verantwortung für das überraschende Scheitern, das schon. Aber es war eben doch nur ein Schuldeingeständnis zweiter Klasse. Nach der EM nahm sich Löw viel Zeit. Er sei in ein "Loch" gefallen, sagte er in den Tagen von Wien. Man glaubt es ihm aufs Wort. Die Aufarbeitung der Ereignisse aus dem Sommer ist nun gelaufen. Löw hat Ansätze gefunden. Er hat eine Mängelliste aufgestellt. Ganz oben steht die Chancenverwertung, dahinter der Umgang seiner Spieler mit ruhenden Bällen. Insgesamt fordert der Fußballlehrer ein schnelleres Umschalten und im Rückraum mehr Aufmerksamkeit. Umgesetzt wurde von all dem in den ersten drei Spielen wenig bis gar nichts. Das ist bedenklich und wirft Fragen nach dem Warum auf.
Die ewige Großbaustelle auf links
Die deutsche Mannschaft und ihr Trainer, das hat spätestens das Spiel gegen Österreich bewiesen, sind auf ihrer gemeinsamen Reise an einem kritischen Punkt angekommen. Joachim Löw ist jetzt gefordert, so wie nie zuvor in seiner Amtszeit als DFB-Chefcoach. Bisher hat er es nicht geschafft, nach der großen Sommer-Enttäuschung Aufbruchstimmung zu erzeugen. Er muss nun beweisen, dass er dieses junge Team auch weiterentwickeln kann. Dafür muss er neue Reizpunkte setzen und Veränderungen herbeiführen - vielleicht sogar durch frisches Personal. Kurzfristig sollte er aber vor allem über die Zusammenstellung seiner besten Elf nachdenken. Löw muss eher heute als morgen herausfinden, auf welcher Position zum Beispiel die Stärken von Marco Reus, diesem wunderbaren Tempodribbler, besser als bisher zur Geltung kommen könnten.
Und dann gibt es da nach wie vor diese ewige Großbaustelle auf der linken Abwehrseite. Mit der Rückversetzung von Philipp Lahm auf rechts hat der Bundestrainer die Problemzone lediglich wieder verlagert. Weder Holger Badstuber noch Marcel Schmelzer, den Löw merkwürdigerweise sogar als Dauerlösung im Auge hat, erfüllten ihre Aufgaben zufriedenstellend. Schmelzer war gegen Österreich so etwas wie der Verlierer des Abends, er wirkt rundweg überfordert. Wenn Löw jetzt sagt, dass er kaum Alternativen zum Dortmunder habe und mit ihm weiter plane, klingt das sehr einfach. Es wäre zwar nicht sonderlich einfallsreich, Lahm erneut zurück zu beordern, aber wenn es nun mal auf dieser Position außer dem Bayern-Kapitän niemanden gibt, der über internationales Format verfügt, dann muss dieser da auch spielen. Dafür könnte man beispielsweise Lars Bender, der auf der rechten Seite bei der EM gegen Dänemark ein Riesenspiel absolviert hat, ja eine neue Chance geben. Das ist mehr als eine Überlegung wert - zumal notgedrungen viel spielerisches Potenzial wegen des Überangebots an erstklassigen Mittelfeldspielern brachliegt.
Nur vier Wochen bis Dublin
Von Joachim Löw ist in Zukunft viel Geschick gefordert. Dabei geht es auch um die Frage der Reintegration von Bastian Schweinsteiger. Der Leader, auch so eine Erkenntnis von Wien, ist unersetzlich. Keiner kann diese Mannschaft auf dem Platz besser leiten und führen als ein fitter Schweinsteiger. Dann wären da noch die "Problemfälle" Per Mertesacker und Lukas Podolski, beide aufgrund ihrer Verdienste in der Vergangenheit vom Trainer hochgeschätzt, momentan aber einfach nicht gut genug für die Nationalmannschaft. Wie geht man nun mit den beiden um? Sie von Spiel zu Spiel zu vertrösten, kann keine Lösung sein. Über den Notstand im Angriff, in dem nach dem Ausfall von Mario Gomez derzeit einzig und allein der ewige Miro Klose bereit steht, ist schon alles geschrieben worden. Fakt ist: Auch in diesem Mannschaftsteil herrscht dringender Handlungsbedarf. Vielleicht sollte Löw einmal darüber nachdenken, Bremens Nils Petersen, Dortmunds Julian Schieber oder auch Hoffenheims Kevin Volland in den Kader für das nächste Testspiel zu berufen. Allesamt zwar unerfahren, aber jung und gierig nach Toren. Auch der Ruf nach dem Leverkusener Stefan Kießling, über den Löw seit längerem offenbar nicht mal mehr nachdenkt, ist in letzter Zeit wieder lauter geworden.
In genau einem Monat steht für die Nationalmannschaft die nächste Aufgabe an. Dann steigt in Dublin das nächste WM-Qualifikationsspiel gegen Irland. Viel Zeit bleibt Joachim Löw also nicht, um seine Spieler darauf vorzubereiten und mögliche Änderungen einzustudieren. Zeit, die der Bundestrainer aber dringend benötigt, nicht zuletzt, um sich selbst ein bisschen neu zu erfinden. Die Leichtigkeit fehlt gerade nämlich nicht nur seiner Mannschaft.
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