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Champions League Lewandowski, der Scheinriese: Was den Bayern aktuell wirklich fehlt, um weltklasse zu sein

Gegen Real Madrid glauben die Bayern, nur an der eigenen Chancenverwertung gescheitert zu sein. Tatsächlich liegt das Problem wohl tiefer: Es ist die fehlende Qualität ihrer Stürmer, die sie auf höchstem Niveau allzu oft scheitern lässt. 

Das Wort Puta ist ein spanisches Wort, und es zu übersetzen kostet ein wenig Überwindung. Es hat sich zwar einen prominenten Platz im Sprachgebrauch eines jeden lateinamerikanischen Landes erarbeitet und verfügt über einen durchaus schönen Klang, allerdings lässt einen seine Bedeutung bisweilen etwas erröten. Vor allem wenn man dem Wort Hure eher etwas reserviert in der Öffentlichkeit gegenübersteht. Doch Fluchen ist nun einmal ein grobschlächtiges Geschäft, und ganz so ernst war das alles ja auch nicht gemeint, es ist halt auch Teil der Kultur unter jungen Burschen wie David Alaba, Arturo Vidal und Kingsley Coman.

Also saßen sie da in Reihe 20 der Allianz-Arena und zeterten vor sich hin, weil die Kollegen da unten auf dem Rasen das Pech immer wieder zu ereilen schien, oder sich ein Madrilene mal wieder zu viel Zeit ließ. Wenn es eine gute Nachricht nach diesem völlig missratenen Champions-League-Abend für den FC Bayern gibt, so lautet sie: Seine Mannschaft lebt, wie das immer so schön heißt. Vor allem Alaba und der mit einer mächtigen Schiene humpelnde Vidal litten aufrichtig und laut mit den Kollegen.

Es wiederholt sich seit Jahren das gleiche Skript

Und es gab dann ja auch allerlei zu putatisieren. Schon allein die Tatsache, dass alle drei Stammkräfte gegen Madrid wegen diverser Verletzungen verhindert waren, rechtfertigte hunderte Puta-Flüche. Das sich vor den Augen der drei entfaltende Spiel selbst schien nach einem jeden von ihnen zu verlangen. Untätig mussten sie mit ansehen, wie ihr FC Bayern gegen Real in so ziemlich jedes Fettnäpfchen tappte, das ihnen die Madrilenen hinstellten: Der für Alaba links hinten verteidigende Rafinha beging einen folgenschweren Bock vor dem spielentscheidenden 1:2. Im Mittelfeld fehlte der aggressive Vidal, um den Aktionen in die Spitze noch mehr Wucht zu verleihen. Auf dem Flügel vermisste man dringend einen Akteur, der sich im Tempodribbling durchzusetzen verstand. Es fehlte ein Mann wie Kingsley Coman. Dann verletzte sich auch noch Arjen Robben nach ein paar Minuten und Jérôme Boateng gleich noch hinterher. Es schien wie verhext. 

Wild liefen die Bayern an, nicht schon wieder wollten sie gegen dieses Real im Halbfinale den Kürzeren ziehen. Doch es wiederholt sich seit Jahren das gleiche Skript, so verlässlich wie der Pollenflug im April: Real, der FC Barcelona oder selbst Atletico Madrid machen in München Station, mit einem Trommelhagel an Chancen werden sie empfangen, doch irgendwann liegen sich ihre Spieler erschöpft in den Armen und feiern den Finaleinzug.

Nicht das Schicksal hat den FC Bayern geschlagen

Man kann das Pech für all die Niederlagen verantwortlich machen, und mancher Bayern-Spieler, vor allem jene, die nicht die ganze Niederlagenserie aus der Nähe miterlebten, beschritt am Dienstagabend diesen fürs eigene Selbstvertrauen deutlich gesünderen Weg. "Wenn wir 5:2 gewonnen hätten, hätte sich keiner beschweren können. Ich glaube, ich habe selten so ein schwaches Real in München gesehen", verkündete der Verteidiger Niklas Süle, offenbar hatte ihm niemand mitgeteilt, dass noch ein Rückspiel stattfindet. Einlassungen der süleschen Art senken die Motivation beim Gegner bekanntermaßen eher weniger. 

Sportdirektor Hasan Salihamidzic berichtete, der Assistent Hermann Gerland neben ihm auf der Bank habe Zettel um Zettel mit Torchancen der eigenen Elf gefüllt und auch der Torschütze Kimmich konstatierte: "Mehr Torchancen als gegen Hannover". 

Und doch war es nicht allein das Schicksal, das sich gegen die Bayern wandte. Die Gastgeber mochten Real bedrängt haben, doch es wurde auch ziemlich schnell deutlich, warum die Münchner seit Jahren gegen die absoluten Superteams immer wieder knapp scheitern und dieses Real zuletzt zweimal den Titel errang. Mit der Ruhe eines Champions stellten sich die Spanier und ihr Wunderportugiese in München vor, im völligen Bewusstsein der eigenen Stärke bewachten sie ihr Gehäuse. Sie konnten warten. Es war nicht Bayern, das sie verzwergte, sie selbst mochten keinen offenen Schlagabtausch riskieren.

Vor allem der wieder einmal großartige Sergio Ramos offenbarte einmal mehr, warum er als erfolgreichster Verteidiger in die Geschichte eingehen wird. Hätte sich Torhüter Navas bei Kimmichs 1:0 nicht auf groteske Art aus der Flugbahn des Balles geworfen, führen die Münchner mit einem 0:2 nach Madrid. Mit Präzision und absoluter Gewissheit spielte Madrid seinerseits seine Chancen zu Ende, das 0:2 durch Marco Asensio, 22, diente als Beleg. Schon als er loszog im Mittelfeld, war klar, dass er sich diese Chance nicht würde entgehen lassen. 

Robert Lewandowski, ein Stürmer für den Herbst ... 

Eine Inventur der Bayern-Elf fördert dagegen unerfreuliche Neuigkeiten zu Tage. Der Brasilianer Thiago mag ein toller Techniker sein, über die notwendige Geschwindigkeit für das höchste Niveau verfügt er nicht. Franck Ribery trieb immer wieder mit dem Leder in den Abwehrwall, doch es ist kein gutes Zeichen, wenn der beste Münchner Flügelspieler schon 35 ist. Zweimal prüfte Ribery Navas, doch wer genauer hinsah, der erkannte die Verzweiflung in seinen Aktionen: Einfach drauf, wird schon irgendwie durchrutschen. Zum Vergleich: Der Brasilianer Marcello nahm beim 1:0 Maß wie ein Bogenschütze, präzise schlug der Ball dann auch unten im Eck ein.

Bei Mittelstürmer Robert Lewandowski müssen sie sich in der Münchner Chef-Etage fragen, ob sie den Polen nicht viel zu hoch taxieren. Der Verdacht erhärtet sich langsam, dass Lewandowski eher ein Stürmer für den Herbst und nicht für den Frühling ist. Und das nicht nur, weil er im August auch schon 30 wird. Zwar trifft Lewandowski beständig in der Liga, das hat allerdings eher mit der turmhohen Überlegenheit der Münchner zu tun. Auch der heute in Stuttgart stationierte Mario Gomez oder Mario Mandzukic trafen gegen Freiburg, Hoffenheim oder den HSV nach Belieben. Mit Gomez reichte es gar zu drei Finalteilnahmen in der Champions League. Dennoch ließen sie ihn 2013 bereitwillig nach Florenz ziehen, obgleich er sich mit dem Klub wie kaum ein Zweiter identifizierte. Selbst mit dem taktisch wie technisch nur moderat begabten Ivica Olic im Sturm zog der Klub 2010 bis ins Finale ein. 

... und ein fahrlässiger Scheinriese 

Gegen Real offenbarte Lewandowski dagegen einmal mehr, dass er dann, wenn die wirklich großen Spiele anstehen, allzu oft zum Scheinriesen mutiert. Eine große Chance eröffnete sich ihm, doch fahrig köpfte er Navas aus nächster Nähe an. Kein Ronaldo lässt sich eine solche Chance entgehen, kein Griezmann.

Man sah Lewandowski kaum, obgleich der arme Ribery eine Flanke nach der anderen in den Strafraum schaufelte. Statt sich selbst zu hinterfragen, scheint aber Lewandowskis wahre Motivation seit Jahren nicht allein im Gewinn großer Titel, sondern der sogenannten Torjägerkanone zu liegen. Eine wertlose individuelle Auszeichnung, eher als Titel des kleinen Mannes zu verstehen. 

Nach der Partie gegen Real Madrid entschwand Lewandowski schnell in die Nacht. An der Wand drückte er sich entlang: nichts hören, nichts sehen, vor allem aber bloß nicht reden. Am Dienstag wird es vor allem an ihm liegen, ob diese Bayern für ihren Aufwand belohnt werden. 

Auch Alaba, Vidal und Coman waren schnell verschwunden. Sie zumindest hatten alles gegeben. 

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