WM 2023 Das dritte Geschlecht im Fußball: Wie der Fall von Sambias Star Barbra Banda ein Dilemma deutlich macht

Barbra Banda (2.v.r.) im Kreis ihrer Teamkolleginnen während des Spiels gegen Deutschland
Barbra Banda (2.v.r.) im Kreis ihrer Teamkolleginnen während des Spiels gegen Deutschland
© Sebastian Widmann / Getty Images
Die sambische Ausnahme-Fußballerin Barbra Banda hat mutmaßlich höhere Testosteron-Werte, als sie bei Frauen üblich sind. Bei der WM spielt sie dennoch. Ihr Fall verdeutlicht das Dilemma, in dem der Sport im Umgang mit dem dritten Geschlecht steckt.

Tempo und Wucht von Barbra Banda sind enorm. Das haben die deutschen Fußballerinnen im Testspiel gegen Sambias Nationalelf in Fürth zu spüren bekommen. Die Generalprobe vor der WM in Neuseeland und Australien ging mit einer 2:3-Niederlage gegen die Nummer 77 der Weltrangliste ziemlich in die Hose. Ein Grund für die Pleite war, dass die Abwehr der Deutschen die Angreiferin Banda nie in den Griff bekam. Technisch versiert, verdammt schnell und torgefährlich – Banda schoss die Deutschen fast im Alleingang ab. Zwei Tore erzielte die 23-Jährige und untermauerte mit ihrer beeindruckenden Leistung, dass sie zu einem der großen Stars des Turniers werden kann.

Dass Banda überhaupt bei der WM aufläuft, ist nicht selbstverständlich. Der sambische Fußball-Verband hatte sie im vergangenen Jahr vom Afrika-Cup ausgeschlossen. Obwohl offiziell keine Gründe genannt wurden, ist es doch ein offenes Geheimnis, dass Banda einen Geschlechtstest nicht bestand. Soll heißen: Mutmaßlich wurden bei ihr höhere Testosteron-Werte festgestellt. Wie hoch diese waren, welche Grenzwerte definiert wurden und wie getestet wurde – nichts genaues weiß man. Der sambische Fußball-Verband behauptete, der Afrikanische Fußball-Verband CAF habe auf dem Test bestanden. Der CAF wiederum verwies nebulös auf Fifa-Regularien und behauptete, Sambia hätte freiwillig auf Banda verzichtet.

In Sambia ist Barbra Banda ein Superstar

Wohl eher nicht. In Sambia ist die hochtalentierte Fußballerin ein Star. Mit sieben Jahren fing die in Sambias Hauptstadt Lusaka geborene Banda mit dem Fußball an. Sie sei von "ihrem Vater inspiriert" worden, erzählte sie in einem TV-Interview vor zwei Jahren. Der sei ein leidenschaftlicher Fußballer gewesen, auch wenn er nicht professionell gespielt habe. Und die Tochter eiferte ihm nach.

Dass sie ein gewaltiges Talent besaß, zeigte sich schnell. Ihre Karriere verlief im Turbogang, nur kurz unterbrochen von einem Ausflug ins Boxen. Als Kind spielte Banda in Jungsmannschaften, weil ihre Fußball-Akademie keine Mädchenteams hatte. Mit 14 Jahren wurde sie Frauen-U17-Nationalspielerin. Mit 18 wechselte sie in die spanische Liga zum EDF Logrono, zwei Jahre später ging sie nach China zum Verein Shanghai Shengli. Nachdem ihr 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio in zwei Spielen der Vorrunde zwei Hattricks hintereinander gelangen, avancierte sie zur nationalen Heldin. Sie ist der ganze Stolz des Landes.

Als sie 2022 vom Afrika-Cup ausgeschlossen wurde, ging ein ganzes Land auf die Barrikaden. "Bei den Frauen darf sie nicht spielen, bei den Männern auch nicht. Wo soll sie denn jetzt spielen", wurde gefragt.

Die Posse um Banda verdeutlicht, wie willkürlich die Regelungen im Welt-Fußball sind. Zum Ausschluss Bandas vor einem Jahr schwieg die Fifa, jetzt darf sie spielen. Die Fifa fordert zwar von den nationalen Verbänden, dass sie das Geschlecht der Fußballerinnen überprüfen sollen, aber sie sagt nicht, wie das geschehen soll. Ein Einfallstor für Willkür.

Früher gab es demütigende Tests

Die schwedische Ex-Nationalspielerin Nilla Fischer schilderte in ihrer kürzlich erschienenen Biografie "Jag sa inte ens hälften" ("Ich habe noch nicht einmal die Hälfte gesagt"), wie so ein Test ablaufen kann. Vor der WM 2011 ließ der schwedische Verband die Nationalspielerinnen untersuchen: "Uns wurde gesagt, dass wir uns 'da unten' in den kommenden Tagen nicht rasieren sollten und dem Arzt unsere Genitalien zeigen werden", schrieb sie. Fischer nannte den Geschlechtstest "krank und demütigend". 

Doch wie sollen der Fußball und der Sport im Allgemeinen umgehen mit Spielerinnen, die intersexuell sind und durch ihre höheren Testosteron-Werte körperliche Vorteile haben? Eine schlüssige Antwort auf die komplexer gewordene Geschlechterfrage existiert bis heute nicht. Grundsätzlich muss man abwägen zwischen Diskriminierung von intersexuellen (und Trans-) Menschen und sportlicher Fairness. Letzteres ist wiederum eine Frage der Definition. Ist ein hoher Testosteron-Wert nicht einfach eine körperliche Veranlagung, die über die sportliche Leistungsfähigkeit bestimmt wie viele andere Faktoren auch?

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights hat ein klare Auffassung. Sie prangerte den Ausschluss Bandas vom Afrika-Cup an: Geschlechterüberprüfungen seien eine Menschenrechtsverletzung und diskriminierend. Ähnlich sieht es die Medizin-Ethikerin Claudia Wiesemann. Die "Geschlechtszuordnung ist wesentlich komplexer", schrieb sie im Hessischen Ärzteblatt. Zu verordneten Geschlechtstests hat die Medizinerin eine klare Haltung: Das ist moralisch nicht zu rechtfertigen. 

Damit steht die Ärztin auf einem anderen Standpunkt als beispielsweise der internationale Leichtathletik-Verband World Athletics, der nach wie vor einen Grenzwert von fünf Nanomol Testosteron pro Liter festlegt und so Athletinnen wie die bekannte Mittelstreckenläuferinnen Caster Semenya vom Wettbewerb ausschließt. Die Konzentration des Hormons liegt bei Frauen etwa bei 0,12 bis 1,79 und bei Männern zwischen 7,7 und 29,4 Nanomol pro Liter Blut.

Es gibt keine klare Antwort

Die südafrikanische Athletin, die zwei Mal Olympisches Gold und drei Mal die Weltmeisterschaft über 800 Meter gewann, darf in ihrer Paradedisziplin nicht mehr antreten. Über 5000 Meter war es ihr erlaubt, aber über dieses Distanz verpasste sie die Olympia-Qualifikation. Das hing auch damit zusammen, dass im Langlauf Muskelkraft nur eine untergeordnete Rolle spielt. Hier wirkt der Testosteron-Vorteil nicht. Das Beispiel zeigt, wie stark es von den Erfordernissen der einzelnen Disziplin abhängt, ob sich ein hoher Testosteron-Wert als Leistungsvorteil bemerkbar macht.

Die Fußballerin Banda ist ja nicht nur aufgrund ihrer größeren Muskelkraft eine der besten Stürmerinnen der Welt, sondern weil sie über eine exzellente Technik, großes Spielverständnis und Torinstinkt verfügt. Das sind Fähigkeiten, die nicht durch höhere Testosteron-Werte bedingt sind. Dennoch kann eine ausgeprägte Physis viele Vorteile im Fußball mit sich bringen. Bei Sprint- und Schussstärke wirkt sich ein höherer Testosteron-Wert natürlich leistungsfördernd aus.

Der Sportmediziner Wilhelm Bloch von der Sporthochschule Köln sieht den Sport in der Frage in einem unauflösbaren Dilemma gefangen. Einerseits wäre es gerade "im Fußball sinnvoll, klarere Richtlinien festzumachen". Doch bliebe ein Ausschluss "eine Diskriminierung. Die Frage ist, wie wir kommen daraus? Und darauf gibt es keine klare Antwort."

Der Deutsche Fußball-Bund hat eine für den Jugend- und Amateurbereich jedenfalls klare Kante gezeigt. Jeder, der in seinem Pass die Geschlechtsindentität "divers" trägt, kann sich aussuchen, ob er bei den Frauen oder den Männern spielt. Das gilt auch für Transmenschen. Für den Profi-Bereich fehlt eine solch klare Regelung. Aber der Fall Banda zeigt, in welche Richtung es gehen kann.

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