In Deutschland sind so viele Menschen überschuldet wie noch nie. Mehr als 3,1 Millionen Haushalte sind zahlungsunfähig. Seit 1993 hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt, wie der am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Schuldenreport 2006 zeigt. "Das Risiko der Überschuldung ist mehr denn je zum Risiko für breite Bevölkerungsschichten geworden", warnten Caritas, Diakonie, Verbraucherzentrale und das Deutsche Rote Kreuz. Es gelinge nur einem Bruchteil der Haushalte, die Schuldenlast abzubauen: Nicht einmal jeder zehnte habe bisher einen Antrag auf Privatinsolvenz gestellt, sagte Edda Müller, Chefin der Verbraucherzentrale Bundesverband. Nur ein Viertel hätte Zugang zur dazu vorgeschriebenen Schuldenberatung. Ein Hauptgrund dafür, so klagen Verbraucher- und Wohlfahrtsverbände, ist die zu geringe Zahl von Beratungsstellen. Wegen langer Wartelisten hat nur jeder achte Überschuldete Zugang zu einer der bundesweit knapp 1.200 Stellen.
Zu wenig Beratungsstellen
Der Caritasverband, das Diakonische Werk, das Rote Kreuz und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) verlangten zusätzliches Geld für die Schuldnerberatung. Neben Bund, Ländern und Kommunen müssten sich auch Banken- und Wirtschaftsverbände beteiligen, forderten sie. "Ein Euro für die Beratung kann zwei Euro Sozialhilfe sparen", berichtete vzbv-Chefin Edda Müller unter Bezug auf eine Studie des Landes Berlin. Aus Sicht der Verbände sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel das Thema Überschuldung zur Chefsache machen und eine "Task Force" einrichten.
Bevor es zu spät ist
Rat und Hilfe gibt es auch den Webseiten von www.meine-schulden.de und www.vzbv.de.
Während im Osten elf Prozent der Haushalte als zahlungsunfähig gelten, sind es im Westen sieben Prozent. Seit dem letzten Report 1999 ist die Überschuldung in den alten Bundesländern aber fast doppelt so schnell wie in den neuen gestiegen. In den alten Ländern ist die durchschnittliche Schuldenhöhe mit 10.000 bis 50.000 Euro deutlich höher als in Ostdeutschland, wo die Mehrheit der Betroffenen Verbindlichkeiten zwischen 2.500 und 10.000 Euro hat. Grund sei, dass die Westdeutschen davon ausgegangen waren, ihren Job nicht zu verlieren und so hohe Zahlungsverpflichtungen eingegangen sind. Dem Report zufolge gelten zusätzlich zu den gut drei Millionen überschuldeten Haushalten weitere 500.000 als akut gefährdet. Die Aussichten auf einen Rückgang seien angesichts der Wirtschaftsflaute "nicht sehr rosig", sagte Müller.
Hauptgrund Arbeitslosigkeit
Hauptgründe für Überschuldung sind in Westdeutschland zu etwa gleichen Teilen Arbeitslosigkeit, Scheidung oder eine gescheiterte Selbstständigkeit. In Ostdeutschland dominiert in fast der Hälfte aller Fälle Arbeitslosigkeit, zweiter Hauptgrund ist ein "dauerndes Niedrigeinkommen". Müller bemängelte, das seit sieben Jahren geltende Insolvenzverfahren zur Befreiung von Restschulden sei gerade für die "Ärmsten der Armen" zu bürokratisch. "Es hat leider nicht so funktioniert, wie sich das der Gesetzgeber vorgestellt hat." Um Überschuldete nicht vom Leben auszuschließen, müsste auch ein Recht auf ein Girokonto gesetzlich verankert werden.
Auch Jugendliche im Alter zwischen 13 und 24 Jahren stecken immer häufiger in der Schuldenfalle. Elf Prozent dieser Altersgruppe stehen mit durchschnittlich 1.550 Euro in der Kreide. Oft spielen hohe Handykosten und der Kauf von Statussymbolen wie Markenkleidung eine Rolle, wie Gabriele Rössler vom Roten Kreuz berichtete. Sie regte an, dass Schulen verstärkt "Wissen und Kompetenz im Umgang mit Geld" vermitteln und junge Leute lehren, sich dem "Konsumdruck" zu widersetzen. Die Verbände beklagten, dass Banken und Sparkassen massiv für oftmals unnötige Kreditprodukte werben.
Jugendliche unter "Konsumdruck"
"Es ist schlechterdings kein Fall vorstellbar, in dem es für einen Kunden ökonomisch sinnvoll wäre, seinen Urlaub oder Weihnachtsgeschenke auf Kredit zu finanzieren", erklärte Helga Springeneer vom Verbraucherzentrale Bundesverband. In den östlichen Bundesländern gehören überwiegend arbeitslose Alleinlebende und allein Erziehende im Alter zwischen 30 und 40 Jahren zu den Überschuldeten. Im Westen sind es hingegen vorrangig Drei-Personen-Haushalte mit mindestens noch einem Erwerbseinkommen. Hier stellen 40- bis 49-Jährige die größte Gruppe.