Aus Protest gegen ihre Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind tausende Uniklinik-Ärzte in einen Streik getreten. Mehr als 1500 Mediziner aus acht Krankenhäusern machten sich auf den Weg zu einem zentralen Protestzug in Mainz, berichtete die Ärztegewerkschaft Marburger Bund am Vormittag in Berlin. Patienten werden nur noch im Notfall operiert. Laut Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) sind zunächst die Uni-Kliniken in Freiburg, Heidelberg, München, Würzburg, Essen, Bonn, Mainz und Halle betroffen; kommende Woche sollen die Aktionen auf weitere Standorte ausgeweitet werden. In Halle zogen die Mediziner am Vormittag mit Trillerpfeifen und Transparenten auf den Markplatz. Auf den Plakaten war zu lesen: "Notarzt in Not", "Sparschwein im Kittel" oder "Operiert Euch doch selbst". Der Marburger Bund hatte die Tarifverhandlungen mit den Ländern in der vergangenen Woche für gescheitert erklärt. Die Ärzte fordern einen arztspezifischen Tarifvertrag, bessere Arbeitsbedingungen und ein um 30 Prozent höheres Grundgehalt.
Nach Angaben des Marburger Bundes könnte sich der Streik mehrere Wochen lang hinziehen. Es sei fünf vor zwölf, sagte der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft, Frank Ulrich Montgomery, im ZDF. Immer mehr Ärzte gingen ins Ausland - unter anderem wegen der schlechten Arbeitsbedingungen in Deutschland.
Mehr als 98 Prozent der Mediziner für den Streik
Die zentrale Auftaktkundgebung der Streikphase veranstaltet der Marburger Bund in Mainz. Bei Urabstimmungen hatten nach Angaben der Ärztegewerkschaft zu Wochenbeginn 98,4 Prozent der Mediziner für den Streik gestimmt. Für die Patienten bedeutet der Streik längere Wartezeiten, da planbare Operationen und Untersuchungen verschoben werden. Der Marburger Bund hat jedoch zugesagt, die Notfallambulanzen und Intensivstationen seien weiter besetzt.
Die Ärztegewerkschaft hatte die Verhandlungen mit den Ländern als Arbeitgebern vergangene Woche abgebrochen und ihnen "dogmatische Unflexibilität" vor allem in der Vergütungsfrage vorgeworfen. Länder-Verhandlungsführer Hartmut Möllring reagierte mit Unverständnis auf die Streik-Ankündigung, da in den Verhandlungen deutliche Fortschritte erzielt worden seien.
Auch die Angestellten der Kliniken streiken mit Verdi
Die Streiks fallen zusammen mit dem Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, von dem ebenfalls Unikliniken betroffen sind; auch dort zeichnet sich nach dem Scheitern der Gespräche vom Wochenende kein Ende ab. Mit dem Thema befasst sich der Bundestag in einer Aktuellen Stunde auf Antrag der Linkspartei. SPD-Chef Matthias Platzeck forderte in der "Frankfurter Rundschau" eine schnelle Lösung des Tarifkonflikts, bei dem es unter anderem um längere Arbeitszeiten geht. Entweder müsse es jetzt "zügige Verhandlungen" geben oder "umgehend ein Schlichtungsverfahren".
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) sprach sich ebenfalls für eine zügige Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen aus. Nötig sei eine Bewegung auf Gewerkschaftsseite in den Bereichen Arbeitszeit und Sonderzahlungen, sagte Müller in Saarbrücken. Eine Grundlage für ein Schlichtungsverfahren sieht er im Moment nicht.
Hamburg und Niedersachsen haben sich geeinigt
Die FDP lehnt die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst der niedersächsischen Kommunen vom Mittwoch strikt ab. FDP- Generalsekretär Dirk Niebel sagte dem "Reutlinger General-Anzeiger": "Fünf Wochen Streik hinzunehmen und dann gerade mal eine halbe Stunde Mehrarbeit zu vereinbaren - das entlastet die öffentlichen Kassen in keiner Weise."
Niedersachsen ist nach Hamburg das zweite Bundesland, in dem es eine Einigung im Tarifstreit in den Kommunen gibt. Die Arbeitszeit orientiert sich künftig an der individuellen Belastung der Beschäftigten. Für besonders anstrengende Berufe bleibt es grundsätzlich bei der 38,5-Stunden-Woche. In anderen Bereichen muss dagegen länger gearbeitet werden. Das Ergebnis muss noch durch eine Urabstimmung bestätigt werden. Die Streiks sollen zunächst noch bis Freitag weitergehen.
In Baden-Württemberg nahmen unterdessen zwei Schlichter ihre Arbeit auf, um im Südwesten den kommunalen Tarifstreit um längere Arbeitszeiten beizulegen. Bis Sonntag soll ein Ergebnis vorliegen.
Auch Kassenärzte drohen jetzt mit Streik
Auch die niedergelassenen Ärzte drohen nun mit einem Ausstand. "Wenn die Politik nicht endlich aufhört, uns als staatliche Inkassostelle zu missbrauchen, dann werden auch wir eine Urabstimmung herbeiführen müssen", sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, der Nachrichtenagentur AP. Staatsmedizinische Vorgaben hinderten die niedergelassenen Ärzte immer häufiger daran, gute Medizin zu praktizieren. Sollte das so genannte Arzneiversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz trotz des ablehnenden Votums des Bundesrates nun im Bundestag durchgedrückt werden, könnten die Kollegen ihrem ärztlichen Auftrag nicht mehr nachkommen, warnte Köhler.
Die KBV habe deshalb vollstes Verständnis dafür, wenn Ärzte aus ganz Deutschland dagegen protestierten, "dass die medizinische Versorgung schlechter wird und sie persönlich für die Einhaltung staatlicher Rationierung haften sollen". Dabei könne und dürfe es nicht Aufgabe ärztlicher Selbstverwaltung sein, diese politischen Verwerfungen zu kompensieren. Der Bundesrat hatte vor einer Woche das umstrittene Arzneimittel-Sparpaket gestoppt. Die Länder kritisierten dabei vor allem die so genannte Bonus-Malus-Regelung für die Ärzte: Wenn die Mediziner vorgegebene Kostenmarken für Arzneimittel deutlich überschreiten, drohen ihnen künftig Honorarkürzungen. Für den 24. März haben fast 30 ärztliche Verbände zu einem so genannten nationalen Protesttag in Berlin unter dem Motto "Gesundheit erhalten statt Mangel verwalten" aufgerufen.