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Patientenansturm Mit Schnupfen in die Notaufnahme: So erlebt eine Krankenschwester die Coronavirus-Panik

Desinfektionsmittel selber mischen? Warum das eine schlechte Idee ist


"Im Internet kursieren aktuell, weil Desinfektionsmitte, vielerorts ausverkauft sind, sogenannte Anleitungen zum Selbermischen für diese Lösungen. Da gibt es zum Beispiel eine Anleitung von der WHO, von der Weltgesundheitsorganisation, was ja per se eine sehr verlässliche Quelle für Gesundheitsinformationen ist. Allerdings muss man sagen, es ist keine besonders gute Idee, Desinfektionsmittel daheim selbst anzumischen, weil einerseits vielleicht die Verhältnisse, also die Mischverhältnisse nicht stimmen. Dann ist die Wirksamkeit nicht gegeben und man schützt sich gar nicht ausreichend vor Viren und Bakterien. Auf der anderen Seite sind diese Lösungen, zumindest die Rezeptur von der WHO, auch gar nicht so ungefährlich. Da wird Wasserstoffperoxid verwendet. Das ist eine Chemikalie, die die Augen reizen kann, die ätzend wirkt in hoher Konzentration, die die Haut bleicht. Da sollte man wirklich vorsichtig sein, vor allem, wenn man Kinder im Haushalt hat. Deswegen: Finger weg von selbstgemischten Desinfektionsmitteln. Die werden auch gar nicht empfohlen. Es besteht die Möglichkeit, ein Desinfektionsmittel im absoluten Notfall, also wenn man wirklich keins mehr bekommt und darauf angewiesen ist,  vor Ort in einer Apotheke professionell von einem Apotheker oder einer Apothekerin mischen zu lassen. Das ist auf jeden Fall immer die bessere Idee, als es zuhause zu machen, weil dieses Fachpersonal auch wirklich hygienisch arbeiten kann. Auch das aber wirklich nur im Notfall: Für die Herstellung von Desinfektionsmittel wird unter anderem Alkohol benötigt. Und wir hatten gestern einzelne Gespräche mit Apotheken hier in Hamburg vor Ort. Alkohol ist teilweise auch schon knapp und wird wirklich auch an anderer Stelle benötigt, also für die Mischung von Tinkturen, für Lösungen in anderen medizinischen Bereichen. Ich habe mit dem Deutschen Apotheker Verband telefoniert und der Sprecher hat mir bestätigt, dass Desinfektionsmittel wirklich nur im Notfall eingesetzt werden sollen, für medizinisches Personal und chronisch Kranke. Gesunde Menschen sollen einfach die Hände waschen. Das ist eine sehr sinnvolle und sehr gute Methode. Und es ist eine Methode, die wirklich überall geht. Sie kostet nichts und ist einfach anzuwenden. 20 Sekunden die Hände einseifen, gründlich abspülen und die Hände gut trocknen. Und dann ist man auch vor einer Ansteckung geschützt."


Laut Bundesgesundheitsministerium sind Krankenhäuser in Deutschland gut auf Coronavirus-Fälle vorbereitet. Viele Ärzte und Pflegekräfte sehen das anders. Eine Krankenschwester berichtet von ihrer Arbeit in Zeiten von Corona.

Die Ärzte aus Heinsberg (NRW) sind verzweifelt. Sie warnen: Die "medizinische Situation im Kreis Heinsberg eskaliert und nimmt bedrohliche Ausmaße an". Sie bräuchten dringend Hilfe, heißt es in einem Brief an die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein. Die Belastung durch verunsicherte Patienten sei enorm.

Wie das genau aussieht, schildert dem stern eine Krankenschwester, die in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Süddeutschland arbeitet. "Durch die Corona-Fälle in Süddeutschland und die Berichterstattung in den Medien haben wir viele Menschen, die sich in Panik an uns wenden. Das war absehbar", sagt Patricia Heintze*, die eigentlich anders heißt. "Die Menschen kommen auch mit Husten und Schnupfen in die Notaufnahme und halten uns von unserer eigentlichen Arbeit ab." Wer nicht persönlich erscheint, ruft an, um sich über die Coronavirus-Infektion zu informieren. Auch das bedeute zusätzliche Gespräche, zusätzliche Arbeit für das medizinische Personal. "Teilweise fühlen wir uns wie in einer 24-Stunden-Info-Hotline." Dabei haben viele Städte und Kommunen Info-Telefonnummern wegen des Coronavirus eingerichtet.

Pflegekräfte nicht wegen Coronavirus geschult?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht Deutschland "gut vorbereitet" auf weitere Coronavirus-Infektionen. Auch eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums antwortet auf Anfrage des stern: "Deutschland ist bestmöglich vorbereitet. Vor allem das Netzwerk von Kompetenzzentren und Spezialkliniken in Deutschland ist international beispiellos. Wir verfügen über ein sehr gutes Krankheitswarn- und Meldesystem und Pandemiepläne."

Info-Telefone zum Coronavirus

Wenden Sie sich telefonisch an Ihren Hausarzt oder wählen Sie die 116117 - die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes-, wenn Sie die Sorge haben, mit dem Coronavirus infiziert zu haben.

Eine weitere Auswahl von Hotlines, die bundesweit zum Thema Coronavirus informieren:

Unabhängige Patientenberatung Deutschland - 0800 011 77 22

Einheitliche Behördenrufnummer - 115 (www.115.de)

Bundesministerium für Gesundheit (Bürgertelefon) - 030 346 465 100

Da ist Heintze anderer Meinung: Es fehle im Gesundheitssystem an allen Ecken und Enden. Die Pflegekräfte in ihrem Krankenhaus seien nicht speziell wegen des Coronavirus geschult worden. "Die Symptome einer Coronavirus-Infektion habe ich mir im Internet angelesen", sagt Heintze. "Dabei ist es super schwierig, Corona und eine Erkältung voneinander zu unterscheiden."

Susanne Johna, Vorsitzende des Ärzteverbandes "Marburger Bund", sagt dem stern: "Es gibt Hinweise darauf, dass es in einigen Kliniken an Schutzkleidung mangelt. Auch scheinen bisher nicht überall Schulungen im Umgang mit dem Coronavirus stattgefunden zu haben. Wir appellieren deshalb an alle Krankenhäuser, solche Schulungen unter Berücksichtigung der Arbeitsschutzaspekte möglichst rasch durchzuführen."

Eine Sprecherin der Gewerkschaft Verdi antwortet auf Anfrage: "Wir wissen von wenigen Krankenhausbeschäftigten, die sich von ihrem Arbeitgeber alleine gelassen fühlen mit dieser großen Herausforderung. Wir gehen davon aus, dass in den meisten Krankenhäusern damit professionell umgegangen wird." Dennoch sollten die Krankenhäuser ihre Beschäftigen umfassend informieren, sofern das noch nicht geschehen sei.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Nur ein Zimmer für Coronavirus-Patienten

Und noch etwas treibt Heintze um: Das Krankenhaus, in dem sie arbeitet, verfüge über keine Isolationsstation, sondern musste improvisieren. "Wenn ein Patient mit Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion kommt, steht uns nur ein Zimmer für die Isolation zur Verfügung", sagt Heintze. Selbst, wenn der Verdacht sich nicht bestätige, müsse das Zimmer anschließend drei Stunden lang desinfiziert werden. "Wenn in der Zeit ein nächster Verdachtsfall kommt, wissen wir nicht, wohin mit ihm", sagt Heintze. "Und wir stehen ja erst am Anfang, was die Ausbreitung des Coronavirus angeht."

Die Vorsitzende des Marburger Bundes sagt dazu dem stern, nach jetzigem Ermessen seien wir in unserem Gesundheitssystem für den Umgang mit dem Virus gut aufgestellt: "In allen Kliniken gibt es sogenannte Ausbruchsmanagementpläne für den Fall einer größeren Patientenanzahl, wie sie auch bei häufiger auftretenden Influenzawellen zum Einsatz kommen. Die Krankenhäuser sind in dieser Hinsicht gut vorbereitet, sie könnten aber besser ausgestattet sein. So droht ein Mangel an Schutzkleidung, wenn deutlich mehr Corona-Verdachtsfälle im Krankenhaus ankommen. Auch die Ausstattung mit Infektionsstationen, Isolierzimmern und sogenannten Einzelboxen ist nicht optimal."

Personalmangel ein ständiges Problem

"Im Grunde sind zu wenige Ärzte und zu wenig Pflegepersonal alltägliche Themen im deutschen Gesundheitswesen", sagt Heintze. Den größten Vorwurf macht die Krankenschwester daher der Politik. "Aber vielleicht schaffen es die Politiker ja nun endlich, zu handeln und alle Kräfte zu mobilisieren." Ähnlich sieht es auch der "Marburger Bund": Zwar habe Deutschland ein gut ausgebautes Gesundheitssystem, in den zurückliegenden Jahren hätten viele Strukturen unter einem permanenten Druck der Effizienzsteigerung gestanden. Der Personalmangel in Krankenhäusern sei Ausdruck dieser Kommerzialisierung. 

Pflegekräfte wie Heintze baden genau diese Sparpolitik nun aus. "Die Alltagserfahrung der Krankenhausbeschäftigten ist auch ohne Corona-Virus Arbeiten am Limit", heißt es von Verdi. Schnell die Arbeit von Patricia Heintze erleichtern können momentan vor allem die Patienten. "Sie sollen zu uns ins Krankenhaus kommen, wenn sie glauben, dass sie bei ihrem Gesundheitszustand zuhause nicht mehr zurechtkommen und professionelle Unterstützung brauchen", sagt Heintze. "Aber nicht mit jedem Husten und Schnupfen."

* Name von der Redaktion geändert

Quellen: BundesgesundheitsministeriumDeutsche Krankenhausgesellschaft, Marburger Bund, Verdi.

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