Anzeige
Anzeige

Doro Bär und Barbara Wittmann Sind Frauen die Verliererinnen der Pandemie? "Es gibt eine große strukturelle Ungleichheit"

Doro Bär und Barbara Wittmann
Dorothee Bär (links) war familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und arbeitet seit 2018 als Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt. Barbara Wittmann ist beim Karrierenetzwerk LinkedIn Country-Managerin für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
© DPA/LinkedIn
Berufstätige Frauen hat es laut einer aktuellen Studie im Corona-Jahr besonders hart getroffen. Politikerin Dorothee Bär und die Deutschland-Chefin des Karrierenetzwerks LinkedIn diskutieren, was getan werden muss.

Ein Jahr Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt stark verändert. Manche Branchen leiden, andere boomen. Homeoffice hat sich in einigen Bereichen etabliert, gleichzeitig fiel für viele Familien Schule und Kinderbetreuung zeitweise weg. Der aktuelle "Global Gender Gap Report" des Weltwirtschaftsforums kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen beim Streben nach Gleichberechtigung in der Corona-Krise um Jahre zurückgeworfen wurden. Auch Analysen des Karrierenetzwerks LinkedIn, das Daten für den Report zugeliefert hat, bestätigen, dass es jobmäßig kein gutes Jahr für Frauen war.

Sind Frauen die großen Verlierer der Pandemie? Und was muss getan werden, um das zu ändern? Der stern hat mit LinkedIn-Managerin Barbara Wittmann und Spitzenpolitikerin Dorothee Bär (CSU) über ihren Blick auf das Thema gesprochen.

Frau Wittmann, Ihre Studie kommt zu dem Schluss, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt weltweit von der Pandemie stärker betroffen sind als Männer. Trifft das auch für Deutschland zu?

Barbara Wittmann: Ja, diesen Trend sehen wir auch in Deutschland. Der Knick bei den Neueinstellungen im vergangenen Jahr hat Frauen stärker betroffen als Männer. Außerdem wurden weniger Frauen in Führungspositionen eingestellt.

Woran liegt das?

Wittmann: Ein Grund ist, dass einige Branchen, in denen überdurchschnittlich viele Frauen arbeiten, besonders stark betroffen waren, zum Beispiel der Tourismus. Unsere Daten zeigen aber auch, dass Männer häufiger als Frauen in boomende Bereiche wie die Tech-Branche wechseln. Wir sehen, dass Männer auch mit einem weniger passenden Kompetenzprofil häufiger in diese Bereiche wechseln als Frauen, das heißt, es scheint für Frauen schwerer zu sein, in diesen Bereichen Fuß zu fassen. Frauen sind in der Pandemie noch vorsichtiger geworden, was eine berufliche Veränderung angeht. 

Frau Bär, Sie haben sich als familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Familienpolitik beschäftigt, sind jetzt Digitalstaatsministerin im Kanzleramt. Sehen Sie auch, dass berufstätige Frauen bei uns die Verlierer der Pandemie sind?

Dorothee Bär: Das würde ich nicht pauschal sagen. Man hat im letzten Jahr auch gemerkt, wie systemrelevant Frauen sind. Gleichzeitig standen sie in besonders starkem Maße unter einer Doppelbelastung: Denn es waren häufig sie, die Homeschooling und Homeoffice jongliert haben und die Kinderbetreuung am Nachmittag ersetzt haben, wenn Musikunterricht oder Sportverein weggefallen sind. Darin hat sich schon deutlich gezeigt, dass es immer noch eine große strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gibt.

Schul- und Kitaschließungen in der Pandemie haben Frauen, die ohnehin Job und Familie vereinbaren müssen, sicher nicht geholfen. Hätte man die Einrichtungen offen lassen sollen?

Bär: Die Kita- und Schulschließungen haben Familien natürlich insgesamt belastet: Sicher sind viele Mütter betroffen, aber auch an den Vätern ist das nicht spurlos vorbeigegangen. Ich habe selber drei schulpflichtige Kinder und kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Homeschooling in mehreren Altersstufen plus Job eher schlecht zusammengehen. Die Politik muss hier immer abwägen, was für den Gesundheitsschutz zur Eindämmung der Pandemie notwendig und verhältnismäßig ist. Das waren und sind sehr schwierige Entscheidungen, die im Übrigen auch stark polarisieren. Es gibt ja auch eine sehr breite Front von Eltern, die gegen Schulöffnungen ist, weil sie es in der Pandemie nicht für verantwortbar halten. 

Hat die Politik berufstätige Mütter in der Krise zu sehr alleingelassen?

Bär: Wir haben zwar einiges getan, um die enormen Belastungen etwas abzumildern, die berufstätige Eltern in der Pandemie zu schultern haben: Denken wir etwa an das Angebot der Notbetreuung für die, die die besonders betroffen sind. Es gab den Kinderbonus zur finanziellen Abfederung der Corona-Kosten für Familien, die zusätzlichen Kinderkranktage und einige andere Entlastungen. Aber natürlich reicht das nicht aus, um alle Nachteile zu kompensieren. Ich habe im vergangenen Jahr festgestellt, wie wenig sichtbar Familien waren. Man redet den ganzen Tag von Wirtschaftshilfen, die auch alle wichtig sind, aber Familien brauchen noch eine viele lautere Stimme. Ich glaube, dass vielen Eltern einfach in dem vollen Alltag die Kraft dafür fehlt.

Frau Wittmann, wie fällt die Bilanz bei den Unternehmen aus? Haben die genug getan, damit berufstätige Eltern, insbesondere Frauen, nicht zerrieben werden?

Wittmann: Da muss ich sagen, dass es doch erstaunlich war, wie gut viele von Präsenzkultur auf Homeoffice umschalten konnten. Da musste kein Change-Projekt über Monate geplant werden, die Veränderung war einfach da. Ja, das Thema Kinderbetreuung war stärker bei den Frauen, aber ich habe in den letzten Monaten auch Männer gesehen, die in Videokonferenzen Kinder auf dem Schoß hatten und es hat sich sehr viel verändert. Viele Unternehmen haben gesehen, dass es positiv ist, wenn von zu Hause gearbeitet wird. Die Führungskultur hat sich verändert, das Vertrauen ist da, und Mobiles Arbeiten wird akzeptiert bleiben.

Bär: Die Krise hat gezeigt, dass die Ausreden nicht mehr gelten, warum hybrides Arbeiten nicht möglich sein soll. Vertrauensarbeitszeit und Flexibilität beim Arbeitsort – das muss alles wesentlich individueller möglich sein. Die Zeiten, in denen derjenige gewinnt, der am längsten im Büro das Licht anhat, und nicht diejenige, die ihre Zeit am effektivsten nutzt, müssen vorbei sein.

Wittmann: Wenn wir das aus der Pandemie mitnehmen, dass eine Präsenzkultur nicht notwendig ist, um befördert zu werden, dann könnten Frauen vielleicht am Ende auch profitieren von der neuen Normalität. Es wird sicher auch Firmen geben, die sagen, wir machen wieder alles wie immer. Aber die Talente werden sich für die Firmen und Unternehmenskulturen entscheiden, die flexibel sind. 

Bleiben oder gehen? Diskussion unter Pflegekräften wird immer lauter – wann reagiert die Politik?

Ein Befund Ihrer Studie ist aber auch, dasses Frauen zu wenig in zukunftsträchtige Jobs in der Tech-Branche zieht. Frage an Frau Bär: Ist es überhaupt sinnvoll, Frauen verstärkt in Tech-Jobs zu pushen? Oder lieber die Bedingungen in Berufen verbessern, in denen Frauen ohnehin stark vertreten sind? Menschen in Medizin- und Pflegeberufen wird man schließlich künftig auch nicht weniger brauchen.

Bär: Da sollte man sich nicht über ein "Entweder Oder" streiten, sondern beides angehen. Was Tech-Jobs angeht: Natürlich darf man niemanden zu seinem Glück zwingen, aber man kann schon erreichen, dass das Interesse und die Lust auf bestimmte Berufe geweckt wird. Und das möglichst früh. Deshalb bin ich stark dafür, dass wir nach dem Digitalpakt Schule jetzt auch einen Digitalpakt Kita einführen, sodass man möglichst früh Kinder an Technik heranführt.

Bei der Digitalisierung der Schulen läuft es leider alles andere als rund. Da herrschte in den vergangenen Monaten zeitweise Chaos.

Bär: Ja, das letzte Jahr hat gezeigt, wie weit wir von der idealen digitalen Schule entfernt sind. Immerhin darf ich als Bundespolitikerin mittlerweile mal meine Meinung sagen, ohne dass man mir sagt, dass ich mich da aufgrund der Zuständigkeit der Bundesländer raushalten soll. Wir brauchen aber auch allein deshalb mehr Frauen in Tech-Berufen, weil sich die Diskriminierung durch Technik sonst fortsetzt. Wenn nur Männer Algorithmen füttern, können diese Geschlechterungerechtigkeiten reproduzieren, da fehlt die weibliche Perspektive.

Wittmann: Unsere neuesten Analysen für den "Global Gender Gap Report" des Weltwirtschaftsforums zeigen, dass es in Deutschland da noch schlechter aussieht als anderswo. Global gesehen gibt es im Bereich Cloud-IT 14 Prozent Frauenanteil, in Deutschland nur 8 Prozent. Im Bereich Engineering 20 Prozent global, in Deutschland nur 15. Data und Künstliche Intelligenz 32 Prozent global, 24 Prozent in Deutschland. Man sieht: Wir haben Nachholbedarf. Es braucht da mehr Diversität und die Förderung muss früh beginnen. Wenn es an die Studienwahl geht, da sind die Weichen gestellt.

Bär: Die Basis muss in der Grundschule, am besten schon im Kindergarten, gelegt werden. Das hat auch was mit dem richtigen Mindset zu tun. Es heißt immer, ihr Mädchen seid so sprachbegabt, macht irgendwas mit Fremdsprachen. Wir müssen den Mädchen auch sagen: Lernt Programmiersprachen! Kinder müssen früh herangeführt werden an Digitalisierung und nicht erst mit 13, 14 Jahren, wenn Tiktok oder Snapchat das Maß aller Dinge sind. Was ein Algorithmus ist und wie Künstliche Intelligenz im Grundsatz funktioniert, das kann man schon in der Grundschule lernen. 

Wie kann man Mädchen konkret für klassische Jungs-Themen wie Programmieren begeistern?

Bär: Die richtige Ansprache spielt eine wichtige Rolle. Es gibt zum Beispiel die "Tumo"-Lernzentren, die eine digitale Weiterbildung für Kinder anbieten. Dort bewerben sich genauso viele Mädchen wie Jungs. Weil es nicht nur um Robotik und Programmieren geht, sondern auch um Grafikdesign, Animation, Spieleentwicklung, Film, 3D-Modelling. Diese kreativen Möglichkeiten sprechen auch viele Mädchen an. So gelingt der Einstieg in technische Themen dann vor allem für Mädchen leichter.

Am Ende entscheiden sich immer noch viele Paare in Deutschland für eine klassische Rollenaufteilung und sei es aus finanziellen Gründen.

Bär: Da ist meine Antwort: Augen auf bei der Partnerwahl! Die gelebte Kultur können wir alle ändern. Ich habe zum Beispiel einen männlichen Mitarbeiter, der sieben Monate in Elternzeit gegangen ist, die er sich mit seiner Frau geteilt hat. Als Vorgesetzte habe ich das bedauert, den Kollegen in der Zeit nicht an Bord zu haben, aber als Frau und Mutter habe ich mich gefreut, dass er das macht. Und wenn sich das durchsetzt, müssen sich Arbeitgeber auch keine Gedanken mehr machen, ob sie Nachteile haben, wenn sie eine junge Frau statt einem jungen Mann einstellen. Soweit sind wir kulturell leider noch nicht in Deutschland. Aber jede und jeder kann dazu beitragen, dass wir dort ankommen.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel