Arbeitskampf "Peters muss weg!"

Offene Feldschlacht bei der IG Metall: Nach der kläglichen Niederlage im Tarifkampf Ost zerfleischen sich jetzt die Funktionäre. Der Streit um den Chefposten ist neu entbrannt.

Draußen steht noch das Zelt, das als Streiklokal diente, drinnen ist die Laune miserabel. Das ZF Getriebewerk in Brandenburg arbeitet wieder, doch die Belegschaft bleibt gespalten. "Da haben sich die besten Kumpel nicht mehr angeschaut", sagt Thomas Flieger aus dem Einkauf. Er selbst ist während des Ausstands aus der IG Metall ausgetreten, trotz der Einbußen beim Streikgeld. Nun würden Unterschriften gegen den Betriebsrat gesammelt. "Den wollen wir jetzt abwählen." Ob die IG Metall hier noch einmal streiken könnte? "Ich hoffe nicht."

Auch Hartmut Großmann, Leiter der Fertigungstechnologie und seit 1966 im Betrieb, ist stinksauer auf die Gewerkschaft. "Ich musste mir jeden Tag Beschimpfungen gefallen lassen", vor allem von zugereisten Westlern. Personalchef Andreas Schlegel findet "erschütternd, was beide Seiten den Leuten zugemutet haben". Unverständlich ist ihm auch, "dass die IG Metall den Flächentarifvertrag so ramponiert hat".

In den vergangenen Wochen ist vieles zu Bruch gegangen, nicht nur in ostdeutschen Werkshallen. Die IG Metall hat wieder einmal Geschichte geschrieben - nur anders als gewollt. Die größte Industriegewerkschaft der Welt hat im Streik einiger tausend Ostler um die 35-Stunden-Woche ihre schwerste Niederlage eingefahren - "und viele in der IG Metall haben noch nicht einmal begriffen, wie tief diese Zäsur wirklich ist", sagt einer ihrer Bezirksleiter. Der Flächentarifvertrag ist kaputt - und das womöglich nicht nur im Osten. Auch im Streit über die Macht der Gewerkschaften ist nach vier Wochen sinn- und ergebnislosen Streiks vielen bis weit hinein ins linke Lager klar: Denen darf man das Land nicht überlassen.

Das Debakel zu verantworten hat vor allem einer: Jürgen Peters. Ausgerechnet, denn der derzeitige Vize sollte eigentlich im Oktober die Führung von Deutschlands mächtigster Massenorganisation übernehmen. Ob es dazu jetzt noch kommen wird, entscheidet sich vielleicht schon in den nächsten Tagen. "Peters muss weg", sagt Detlef Wetzel, Bevollmächtigter der IG Metall Siegen. "Der darf nicht Chef der IG Metall werden, auch als zweiter Vorsitzender ist er nicht mehr tragbar." Viele hätten rechtzeitig und eindringlich vor einem "Fiasko" im Osten gewarnt. Doch Peters und Hasso Düvel, Bezirksleiter für Berlin-Brandenburg und Sachsen, "haben diese Bedenken autoritär und autistisch vom Tisch gewischt". Das verlange "politische Konsequenzen".

Wetzel steht nicht allein. Vor allem in den Bezirken Nordrhein-Westfalen, Küste, Baden-Württemberg und Bayern wächst die Kritik an dem oft grobschlächtig wirkenden Funktionär. Mehr oder weniger offen fordern Bezirksleiter, Betriebsräte, ganze Verwaltungsstellen und Belegschaften Peters' Kopf. Das klägliche Scheitern beim Arbeitskampf im Osten hat die IG Metall in eine jähe Krise gestürzt - und zugleich die wichtigste Personalie der deutschen Gewerkschaften zurück auf die Tagesordung geholt: Ist der Altlinke Peters wirklich der richtige Mann, die IG Metall in die Zukunft zu führen?

Erst im Frühjahr hatte sich der Vorstand für Peters entschieden - und gegen Berthold Huber, den Stuttgarter Bezirksleiter. Der Reformer gilt als erfolgreichster Tarifpolitiker der IG Metall und ist in jeder Hinsicht ein Gegenstück zu Peters - ein Mann leiser Worte und komplizierter Gedanken. Auch auf einer fast zehnstündigen Krisensitzung des IG-Metall-Vorstands Sonntagnacht wurde Peters von einzelnen Mitgliedern nahegelegt, "Größe und Stärke" zu zeigen und Konsequenzen zu ziehen. Peters mochte nicht. Der Streik sei eine Sache der gesamten IG Metall gewesen, schließlich gebe es einschlägige Vorstandsbeschlüsse.

Das stimmt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Jürgen Peters und sein Adlatus Düvel haben diesen Arbeitskampf durchgesetzt - gegen erhebliche Bedenken vieler Funktionäre. Denn stets war sehr unsicher, ob der Konflikt sinnvoll und zu gewinnen sei, gerade jetzt, gerade im Osten. Selbst IG-Metall-Boss Klaus Zwickel wollte diesen Streik nicht. Bereits auf einer Arbeitszeitkonferenz vergangenen Oktober warnte er ausdrücklich davor. Der altersmilde Zwickel wollte mit den Arbeitgebern über die 35-Stunden-Woche verhandeln, ohne die Verträge zu kündigen und mit Ausstand zu drohen. "Das bringt uns viel mehr in Bedrängnis - die ausgestreckte Hand können wir schlecht ausschlagen", meinte damals Gesamtmetall-Geschäftsführer Thomas Vajna. Doch Peters setzte sich mit seiner harten Tour durch - er wollte sich im internen Machtkampf um die Zwickel-Nachfolge als aufrechter Streiter für Arbeiterinteressen beweisen.

Zu lautstarkem Zoff kam es im November auf einem Bezirksleitertreffen. Drei der vier im Osten engagierten Regionalfürsten lehnten einen Arbeitskampf ab. Allein der Peters-Getreue Düvel war dafür - und kam damit durch. Später dann wurde der IG-Metall-Vorstand "mit getürkten Zahlen über die Kampfbereitschaft in den Betrieben getäuscht", wie ein Mitglied des Gremiums schimpft. "Wir wurden belogen." Eine intelligente Streikstrategie und Alternativszenarien habe es nie gegeben - "da war blankes Nirwana. Diese Leute denken immer noch, sie können ihre Vorstellungen mit Gewalt durchsetzen".

Noch auf einer Vorstandssitzung am 27. Mai versprachen die Initiatoren einen "Flexi-Streik" mit zwei- bis dreitägigen Ausständen in wechselnden Betrieben. Fernwirkungen auf die Unternehmen im Westen seien so "weitgehend" ausgeschlossen. Tatsächlich wurden einige Ost-Betriebe wochenlang bestreikt, und am Ende standen die Bänder auch bei BMW und Volkswagen im Westen still. Eine Fortsetzung des Arbeitskampfes hätte im Westen Zigtausende mit Kurzarbeit bedroht. Spätestens da brach der letzte Rest an Zustimmung für den Kampf um die 35-Stunden-Woche weg - in der Öffentlichkeit, aber auch in der IG Metall.

Im Lager von Peters und Düvel sieht man das ein bisschen anders. Ja, es habe "Fehler und Fehleinschätzungen" gegeben, aber wirklich schuld seien andere: die Arbeitgeber, die die IG Metall kalt lächelnd ins Messer laufen ließen, unsolidarische Kollegen im Westen, einseitige Medien, die schlechte Wirtschaftslage, überhaupt, die ganze Stimmung im Land. Am Ende kolportierten Düvels Leute sogar, die Gegner in der IG Metall hätten die Niederlage gewollt, um noch einmal die Machtfrage stellen zu können. "Billigen Stalinismus" nennt diese Art der Verrätertheorie der Siegener Metaller Wetzel.

Die IG Metall muss sich fragen, wie es zu diesem verhängnisvollen Arbeitskampf kommen konnte - gegen den Willen der meisten betroffenen Arbeitnehmer, fast aller Bezirksleiter, des IG-Metall-Chefs. "Dass eine Minderheit der Mehrheit ihre Politik aufzingen kann, ist schlicht eine Katastrophe", hadert ein hoher Funktionär. "Wir müssen weg von diesen Seilschaften, weg von dem Gefolgschaftsdenken."

Auch Detlef Wetzel fordert mehr "Mitgliederorientierung". Ihn frustriert, dass er und andere "vor Ort glänzende Arbeit" leisten, die von "realitätsfernen Ideologen" kaputtgemacht werde. Ein anderer fürchtet "ein Arthur-Scargill-Phänomen" auch in der IG Metall. Scargill war jener klassenkämpferische Führer der britischen Bergarbeitergewerkschaft, der seinen Traditionsverein mit rabiater Politik in die Bedeutungslosigkeit führte.

Tatsächlich stehen die Gewerkschaften am Scheideweg. Und die peinliche Niederlage in ihren Kernfeld, der Tarifpolitik, kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Schon die wütenden Proteste gegen Schröders Agenda 2010 blieben erfolglos. Schlimmer noch: Die Funktionäre mussten begreifen, dass ihnen nicht einmal mehr die eigene Basis folgt. Nun droht ihnen noch größere Gefahr. Um seine Reformpläne durchbringen zu können, ist der Kanzler auf die Opposition angewiesen. Die wiederum fordert gesetzliche Eingriffe in die Tarifautonomie, was die Gewerkschaften ins Mark träfe.

Gegenüber dem stern gibt sich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement dialektisch: "Die Tarifautonomie ist eine der bewährtesten Elemente unserer Wirtschaftspolitik" - aber sie müsse sich "völlig veränderten Bedingungen" anpassen. "Wir erwarten jetzt - vielleicht durch den Prozess in Ostdeutschland ungewollt beflügelt - eine schnellere Öffnung für betriebliche Lösungen." Dafür bedarf es nicht unbedingt einer gesetzlichen Regelung - wenn die Tarifparteien freiwillig handelten. Wenn es allerdings notwendig würde, "werden wir mit der Union sprechen".

Die Gewerkschaften werden sich dieser Drohung wohl beugen müssen. Zwar hat DGB-Chef Michael Sommer vorsorglich einen "gesellschaftlichen Großkonflikt" angedroht, sollte die Regierung die Gesetze ändern. Aber allzu groß dürfte der Konflikt kaum werden - die Gewerkschaften stünden womöglich ziemlich allein. Auch dazu hat der verkorkste Ost-Streik beigetragen: Die Gewerkschafter sind stärker isoliert denn je. Detlef Wetzel empört das ganz besonders. "Durch ihre völlig missratene Politik befördern Leute wie Peters und Düvel genau das, was sie zu verhindern vorgeben: den Verfall des Flächentarifs und Angriffe auf die Tarifautonomie. Sie machen es den Gewerkschaftshassern so leicht."

Jürgen Peters bedient tatsächlich das Klischee des autoritären, ideologischen Gewerkschaftsfunktionärs, den zu bekämpfen dem eigenen Image nur nutzen kann. Auch deshalb hoffen viele in der IG Metall, dass er freiwillig auf das Spitzenamt verzichtet - oder dass sein Konkurrent Berthold Huber beim Gewerkschaftstag im Oktober offen gegen ihn antritt. Doch dazu wird es kaum kommen, so ist Huber nicht gestrickt. Er wäre ein unbequemer Vorsitzender. Wenn er die IG Metall aus der Krise führen soll, braucht er dafür ein klares Votum vom Gewerkschaftstag - und vom Vorstand der IG Metall. Der trifft sich kommende Woche, um "Konsequenzen zu beraten".

print
Arne Daniels, Mitarbeit: Stefan Schmitz, Klaus Wirtgen, Walt

Mehr zum Thema