Rechtsruck in Europa Experte: "Rechte Parteien werden vielleicht nicht unbedingt stärker, aber eindeutig präsenter"

Anhänger der Fratelli d'Italia auf einer Veranstaltung in Ancona. Die Postfaschisten führen in den Umfragen.
© Domenico Stinellis/AP / DPA
In Schweden wird eine rechtsextreme Partei zweitstärkste Kraft, in Italien liegen Faschisten in den Umfragen vorne. Fällt Europa in die Hände der Rechten? stern-Interview mit dem Berliner Parteienforscher Endre Borbáth. 

Herr Borbáth, im traditionell linksliberalen Schweden haben die Schwedendemokraten 20 Prozent der Stimmen bekommen und sind zweistärkste Partei des Landes. In Italien könnte die faschistische Fratelli d’Italia die anstehenden Wahl gewinnen – fällt die EU in die Hände der Rechten? 

In Schweden gibt es einige Besonderheiten, die dazu geführt haben, dass die Schwedendemokraten so gut abgeschnitten haben. Aber natürlich lassen sich einige Muster auch in anderen Ländern beobachten. Rechte Parteien sind eigentlich in allen europäischen Staaten vertreten. Sie werden vielleicht nicht unbedingt stärker, aber eindeutig präsenter.

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Die Erfolge der europäischen Rechtsparteien erinnern an eine Welle, die auf und niederschwappt. Wo stehen wir da gerade?

Eine Wellenbewegung beobachten wir weiterhin, aber die rechten Parteien haben sich mittlerweile fast überall als politische Kräfte etabliert.

Was sind die Gründe? 

Wir spüren immer noch den Nachhall der so genannten Flüchtlingskrise 2015. Viele Menschen sehen das Thema Einwanderung seitdem als Problem, die rechten Parteien profitieren von der Wandlung der europäischen Gesellschaften. Genau wie Separatistenbewegungen wie zum Beispiel Vlaams Belang in Belgien und die Lega Nord in Italien. Die Migration erlaubt es ihnen, ihr Profil zu schärfen, um gegen den Zentralstaat zu agitieren.

Geht das auf Kosten der etablierten Parteien?

Ja, das ist ein weiterer Trend. In der Vergangenheit wurde die politische Landschaft im Wesentlichen von zwei Blöcken geprägt: Mitte-rechts und Mitte-links. Doch seit einigen Jahren werden die entsprechenden Parteien schwächer und schwächer. Stattdessen wandern viele Wähler an die Ränder auf beiden Seiten des Spektrums ab. Das hat man zuletzt bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich gesehen, wo die Linkspopulisten im ersten Wahlgang stark waren und auf der rechten Seite hat Marine Le Pen profitiert. Ähnlich zuletzt in Schweden, wo die rechten Schwedendemokraten den Konservativen die Wähler abspenstig gemacht haben.

Endre Borbáth ist am Arbeitsbereich Politische Soziologie der FU Berlin sowie am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung.
© Peter Ausserhofer/WZB / stern

Bald wird in Italien gewählt und in den Umfragen führt die Fratelli d’Italia, eine offen postfaschistische Partei. Werden die Rechten extremer? 

Nein, eher im Gegenteil. Die allermeisten geben sich moderater. Auch Giorgia Meloni, die Vorsitzende von Fratelli d'Italia oder die Anführer der Schwedendemokraten, die ihre Wurzeln in der Nazi-Skinhead-Bewegung haben. Beide versuchen mit ihrem rechtsaußen Erbe zu brechen und sich als wählbare Alternative zu den Mitte-Parteien zu positionieren. Und es gibt noch einen weiteren Punkt in der Geschichte.  

Welchen?

Wer wie Fratelli d'Italia oder die Schwedendemokraten eine so extreme Vergangenheit hat, stößt an Grenzen beim Wahlergebnis. Bei fünf oder sieben Prozent ist dann Schluss. Um aber stärker zu werden, sind Bewegungen wie Fratelli d'Italia fast schon gezwungen, ihre Wurzeln zu kappen. Zumal sie ja auch anschluss- und koalitionsfähig für die Mitte-Parteien sein wollen. Aber natürlich dürfen sie ihre ursprüngliche Basis nicht ganz aus den Augen verlieren. 

Und die Mitte-Parteien schauen ohnmächtig zu?

Man darf nicht vergessen, dass die Rechten mit ihrer Rhetorik die Debatten bei den etablierten Parteien zu ihren Gunsten verschieben. Also in dem Fall nach rechts. Die rechten und konservativen Parteien nähern sich also einander an. Und im Fall von Schweden sieht man, dass die Standpunkte der Schwedendemokraten durch ihr Bündnis im konservativen Block legitimiert werden. Auf ähnliche Weise hat Forza Italia die Postfaschisten der Fratelli d'Italia gesellschaftsfähig gemacht.

Anders als in der Vergangenheit sind die europäischen Rechtsparteien untereinander gut vernetzt. Hilft ihnen das? 

Auf jeden Fall. Allein schon durch den Strategieaustausch und Ressourcen wie Werbung und Socialmedia-Links, die sie sich auf diese Weise teilen können. Schauen Sie sich Nigel Farages UKIP an (die rechtsextreme Brexit-Partei aus Großbritannien, d.Red.). Er hat das Europäische Parlament meisterhaft für seine Parolen genutzt. Dadurch haben andere Rechtsparteien erst die Möglichkeiten erkannt, die diese Bühne für sie bietet. 

Mittlerweile vernetzten sich auch europäische und amerikanische Rechte. 

Ja. Die CPAC ist das Stelldichein der rechten US-Republikaner. Dieses Jahr fand die Konferenz erstmalig in Europa statt. In Ungarn und Regierungschef Victor Orban hat eine Rede gehalten.

Internationale Nationalisten – das klingt zunächst widersprüchlich. Was verbindet die rechten Bewegungen?

In allererster Linie sind es gesellschaftspolitische Entwicklungen, die sie übergreifend ablehnen: Genderfragen, Lesben und Schwulenrechte, Gleichberechtigung von Frauen und natürlich das große Überthema Migration. 

Bei anderen Themen aber wird es schwierig. Die rechte PiS ist als polnische Regierungspartei ausdrücklich ein Gegner Russlands und dem Angriffskrieg in der Ukraine, während in Ungarn die Fidez-Partei Putin eher wohlgesonnen ist. 

Ja, das ist einer dieser Konflikte, die wohl nie gelöst werden können und die Grenzen rechtspopulistischer Zusammenarbeit bilden. Gleichzeitig stehen beide Staaten wegen ihres Mangels an demokratischen Strukturen unter Beobachtung durch Brüssel – und in diesem Punkt unterstützen sich beide Regierungen wiederum.

Sie selbst stammen aus Ungarn. Täuscht der Eindruck, dass Victor Orban seinen Rechtskurs noch lange wird fortsetzen können?

Vor der jeder Wahl sind die Ungarn hoffnungsvoll, doch dann gewinnt die Opposition wieder nicht. Orban genießt eine breite Unterstützung vor allem wegen der Wirtschaft. Auch wenn sich das Land nicht so gut entwickelt wie andere Visegrad-Staaten, geht es den Menschen von Jahr zu Jahr besser. Mit der Inflation und der kommenden Energiekrise aber könnte sich das ändern. 

Viele Europäer blicken wegen des Ukraine-Kriegs derzeit bang auf die kalte Jahreszeit. In Deutschland geht die Angst vor einem "Wut-Winter" um. Werden die absehbaren Schwierigkeiten die rechten Parteien stärken?

Ich glaube, sie werden ganz allgemein die Opposition stärken. Ganz gleich, ob die links oder rechts steht. Wenn also der Rechtsblock in Schweden demnächst die Regierung übernimmt, dürften die schwedischen Sozialdemokraten profitieren. Letztlich aber hängt das natürlich auch vom Krisenmanagement der jeweiligen Regierung ab.

Gibt es europäische Staaten, die "immun" gegen rechte Parteien sind?

Nein. Allein die zunehmende europäische Integration und die Einwanderung werden verlässlich zu Gegenreaktionen führen. Das einzige Land, das keine nennenswerte Rechtspartei hat, ist übrigens Irland.

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