Zwar sind die Zulassungszahlen von batteriebetriebenen Fahrzeugen (BEVs) in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, dennoch schreitet die Elektromobilität Einschätzungen zufolge nicht schnell genug voran. Eine aktuelle Analyse des Stuttgarter Forschungsinstitutes ZSW bezifferte den derzeitigen Bestand auf 1,9 Millionen Elektroautos. "Wenn Deutschland [..] auf das selbstgesteckte Ziel von 15 Millionen Elektrofahrzeugen bis Ende 2030 kommen will, müssen hierzulande jedes Jahr mindestens doppelt so viele Fahrzeuge wie 2022 neu zugelassen werden", so Andreas Püttner vom ZSW.
Auch Prof. Stefan Bratzel, Direktor beim Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, sieht Deutschland nicht auf dem richtigen Weg, um das Ziel noch zu erreichen. "Das Ziel von 15 Millionen reinen Elektroautos bis 20230 ist nur noch mit herkulesischen Anstrengungen erreichbar. Realistisch sind derzeit eher zehn Millionen BEVs", sagte er dem stern.
Bericht der Ministerien rechnet mit etwa acht Millionen Elektroautos bis 2030
In einem Bericht, den die Ministerien abstimmten, ging man sogar von allenfalls 8,2 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen aus. Eigentlich soll das Klimaziel der Bundesregierung von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 einen entscheidenden Beitrag auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 leisten. Allerdings sei nun der Verkehrssektor das größte Problem, um die Ziele zu erreichen, zitierte das "Handelsblatt" Ende Juli in einer Printausgabe.
Ein Grund liege laut dem Forscherteam um das Öko-Institut und dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, welches die Analyse zum Bericht durchführte, in dem anhaltenden Angebot von Verbrenner-Fahrzeugen. Erst wenn Neuwagen mit Benzin- oder Dieselmotor ab 2035 nach der EU-Entscheidung aus dem Verkauf genommen werden, werde die Elektrifizierung Fahrt aufnehmen. So schätzt es auch Bratzel ein. Er fordert deshalb: "Der Verbrennungsmotor muss schrittweise teurer werden." Denn nur wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher in den Elektroautos einen Preisvorteil gegenüber einem Verbrenner sehen würden, würde ihre Kaufentscheidung auch auf ein Elektromodell fallen.
Elektroautos müssen Experten zufolge günstiger werden
Damit der Ausbau der Elektromobilität in der Bundesrepublik erfolgreicher wird, muss sich Einiges ändern. Es seien "viel mehr Modelle zu attraktiven Preisen" in der unteren Mittelklasse sowie im Kleinwagensegment erforderlich. Tatsächlich nahmen die Preise für E-Autos in Europa und Deutschland einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PwC Strategy& zufolge zuletzt auch ab.
"Im Kampf um Marktanteile liefern sich die Autobauer eine BEV-Rabattschlacht, die nun Europa erreicht", so die Branchenexperten. Der durchschnittliche Rabatt für Stromer im Premiumsegment stieg von Juni bis Juli um ein Viertel auf 14 Prozent. Im mittleren Fahrzeugseqment verzeichneten die Experten einen durchschnittlichen Rabatt um ein Drittel auf 11 Prozent. Im Volumenmarkt, für den es die höchsten staatlichen Kaufprämien gibt, sei der Durchschnittsrabatt allerdings "weitgehend gleich" bei 9 bis 10 Prozent. Der deutsche Staat zahlt den größten Betrag eben für Elektrofahrzeuge mit einem Nettolistenpreis unter 40.000 Euro.
In Deutschland gebaute Stromer seien dagegen noch rund 40 Prozent teurer als die gleichen Modelle, die in China gebaut und verkauft würden, so das Ergebnis der PwC-Studie. In der Volksrepublik verkaufen sich demnach viel mehr Stromer als sonst wo auf der Welt. Laut ZSW sind dort 53 Prozent der weltweit 27,7 Millionen Elektrofahrzeuge zugelassen. Tendenz steigend. Püttner zufolge hat es China mit Fördermaßnahmen der Regierung und den dort relativ niedrigen Preisen zum weltgrößten Elektroauto-Markt geschafft.
"Die Kosten der gesamten Wertschöpfungskette des Elektrofahrzeugs müssen reduziert werden", fordert Bratzel. So habe sich Tesla beispielsweise seinen Wettbewerbsvorteil verschafft. Tatsächlich ist das US-Unternehmen der einzige ausländische Elektroautohersteller in China, der sich noch gegen die starke heimische Konkurrenz wie BYD, Saic oder Geely durchsetzen kann.
Bratzel sieht im bidirektionalen Laden eine Chance
Neben der aus Expertensicht wichtigen Preisnachlässe und der Notwendigkeit, das Angebot von Elektromodellen in den unteren Preiskategorien auszubauen, müsse das Ladeökosystem weiter entwickelt werden, sagt der Direktor des CAM. Da gehe es einerseits ums Schnellladen und andererseits um das bidirektionale Laden, die Eigenschaft eines Elektrofahrzeugs, gespeicherte Energie bei Bedarf wieder zurück ins Stromnetz zu geben. "Wenn es im Jahr 2030 15 Millionen BEVs sind, wird eine riesige Speicherkapazität zur Verfügung stehen. Die muss bidirektional erfolgen, damit wir das Netz damit stabilisieren können." Das gebe es in China noch nicht. Grundsätzlich verfügen bislang nur wenige Elektroautos über diese Funktion. Bratzel meint: "Wir müssen auch aus Wettbewerbsgründen besser werden." Es reiche nicht, bloß den Verbrennungsmotor durch einen Elektroantrieb auszutauschen, "sondern das gesamte System muss sich ändern".
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Deutschland ist also weit von der Marktführerschaft in der Elektromobilität entfernt, wie es eigentlich der Plan ist. Für das Ziel von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 sieht es schlecht aus. Um möglichst viele BEVs in den nächsten Jahren auf die Straße zu bekommen, ist ein deutlicher Strategiewechsel gefragt. Bratzel fasst zusammen: "Energieversorger, Ladenetzbetreiber, Autohersteller müssen unter staatlicher Orchestrierung zusammenarbeiten."
Quellen: Handelsblatt, mit Material der dpa