Start-up mit großen Plänen Nikola Motor will den Diesel-Lkw ablösen und sagt Tesla und Co. den Kampf an

Michael Lohscheller steht vor einem Lkw
Michael Lohscheller, Präsident und zukünftiger CEO von Nikola Motor bei der Übergabe von Tre BEV-Lkws am Hamburger Hafen
© Nikola Corporation
Das Start-up Nikola Motor aus dem US-amerikanischen Phoenix will Vorreiter in der Produktion klimafreundlicher Lkws werden. Präsident Michael Lohscheller spricht mit dem stern über kein leichtes Geschäft – und über seine ambitionierten Pläne, Tesla und Co. Konkurrenz zu machen.

Der kommende Montag (19. September) sei ein "wichtiger Meilenstein für Nikola Motor", sagt Michael Lohscheller, Präsident von Nikola Motor im Gespräch mit dem stern. Denn der US-Truckhersteller wird erstmals eine Beta-Version seines Lkws mit verbauter Wasserstoff-Brennstoffzelle präsentieren – mit Technik von Bosch. Laut Herstellerangaben schafft das Fahrzeug eine Reichweite von etwa 800 Kilometern. In 20 Minuten soll sich der Wasserstoff-Tank vollständig auffüllen lassen. Das ist einige Minuten weniger als die Ladedauer eines modernen E-Autos an der Schnellladestation. Mit Lohschellers Worten: "Das ist Hightech at its best [zu Deutsch: Hightech von seiner besten Seite]." Das Fahrzeug mit den Titel Tre FCEV ist zugleich der erste Lkw von Nikola mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technik und das zweite Fahrzeug von Nikola überhaupt. Er soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 auf den Markt kommen.

Den Anfang machte der Tre BEV, der wie sein Name bereits andeutet, ein rein elektrischer Lkw ist. Er hat neun Batterien, 645 PS und beschleunigt laut Hersteller vollbeladen in 11 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Mit einer Stromladung soll das Fahrzeug 560 Kilometer weit fahren können. Damit stehe Nikola schon mal "auf zwei Beinen". Die Besonderheit: Es gibt keine Knöpfe mehr im Interieur sondern einen großen Touchscreen. Außerdem soll die Fahrerkabine mit einer Höhe von 2,15 Metern den Insassen ausreichend Platz bieten. 

Ein Lkw steht an einem Hafen
Der Tre BEV von Nikola Motor
© Nikola Corporation

Nikola Motor übergibt drei Elektro-Lkws in Hamburg

Die Zahl der gebauten Elektro-Trucks ist bislang überschaubar; im zweiten Quartal 2022 liefen 50 Einheiten im Werk in Coolidge (Arizona), einem der zwei Produktionsstandorte von Nikola, vom Band. Lohscheller gibt jedoch zu verstehen: "Wir haben ausreichend Produktionskapazitäten." Die Produktion sei nun im Hochlauf. Man habe die Produktionszahlen von anfangs einer Einheit pro Tag allmählich auf zwei und inzwischen auch auf drei Einheiten täglich steigern können. Der US-Truckhersteller kann in Coolidge demnach 20.000 Fahrzeuge im Jahr bauen. Am deutschen Standort in Ulm, welcher aus einem Joint-Venture mit dem Fahrzeughersteller Iveco entspringt, ließen sich 2000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren, wobei diese Zahl auf 10.000 Stück erweiterbar sei.

Der Elektro-Lkw komme jetzt auch nach Europa. Am Mittwoch übergab Lohscheller die ersten drei Fahrzeuge in Hamburg. Die Lkws werden in einem zweiphasigen Testbetrieb im Hamburger Hafen eingesetzt. Nach einer dreimonatigen Testphase sollen sie dann im nächsten Jahr vollständig in den Hafenbetrieb integriert werden. Insgesamt sollen so im Rahmen einer erfolgten Vereinbarung bis zu 25 Stück an Spediteure des Hafens übergehen.

‌Branchenexperte Stefan Bratzel sagte in Bezug auf die Brennstoffzellen-Technik: ein schneller Hochlauf sei nicht machbar. Denn Wasserstofftankstellen sind bislang rar. Auch Lohscheller ist sich sicher: "Es wird nicht überall sofort eine Wasserstofftankstelle geben. Aber auf gewissen, immer befahrenen Strecken wird das so sein." Der Nikola-Präsident sieht die Herausforderung durchaus entspannt. Denn sein Unternehmen möchte selber Wasserstoff produzieren und in Kooperation mit Geschäftspartnern vertreiben. In Kalifornien will Nikola drei Standorte für Wasserstoff-Stationen errichten. Auch in Europa sind solche Standorte geplant. Lohscheller glaubt schließlich im Nutzfahrzeug-Segment auch an eine gemeinsame Zukunft des reinen Elektromotors und der Brennstoffzelle.

Werden sich Wasserstoff-Fahrzeuge tatsächlich durchsetzen können? Lohscheller hat daran jedenfalls keine Zweifel. "Es tut sich eine Menge. Viele Firmen wollen in Wasserstoff investieren. Es muss passieren, sonst wird sich der Wasserstoff-Lkw nicht durchsetzen", sagt er. Die US-amerikanische Brauerei und Unternehmensgruppe Anheuser-Busch etwa habe bereits eine Absichtserklärung für den Kauf von 800 Fahrzeugen unterzeichnet.

Hersteller kurbeln emissionsfreie Trucks an

Tatsächlich kommt nun auf Lkws das zu, was Pkws allmählich geschafft haben: die klassischen Antriebe mit Verbrennungsmotor werden durch klimafreundliche Antriebe ersetzt. Daimler produziert mit dem eActros bereits seit Oktober 2021 einen Elektro-Lkw in Serie. Dieser kommt laut Hersteller auf eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern. Auch Lkws mit Brennstoffzelle hat Daimler sind schon testweise im Einsatz. Testflotten sollen Mitte des Jahrzehnts auf den Markt kommen, bevor der Brennstoffzellen-Lkw in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts in Serie gehen soll. Auch der koreanische Fahrzeughersteller Hyundai lieferte Anfang August schon erste Lkws mit Wasserstoffantrieb an deutsche Kunden aus. Die Fahrzeuge des Typs "Xcient Fuel Cell" haben laut Herstellerangaben eine maximale Reichweite von 400 Kilometern und besitzen sieben Wasserstofftanks. Je nach Umgebungstemperatur benötigen sie 8 bis 20 Minuten, um den Tank vollzutanken.

Der US-Elektroautobauer Tesla hat mit dem Semi Truck einen elektrischen Lkw angekündigt. Tesla-Chef Elon Musk schrieb vor kurzem auf Twitter, dass sein Unternehmen Ende 2022 den Elektro-Truck mit einer angegebenen Reichweite von rund 800 Kilometer ausliefern möchte. Es ist aber nicht die erste Ankündigung dieser Art, denn früheren Angaben zufolge wurde die Produktion im nächsten Jahr erwartet. Zuvor hatte Tesla den 2017 vorgestellten Truck schon für 2019 angekündigt.

Die VW-Tochter Scania präsentierte vergangenen Juni einen Elektro-Lkw für den nationalen Fernverkehr mit einer maximalen Reichweite von 320 Kilometern. Die Produktion soll im vierten Quartal 2023 starten. Auch MAN, ebenfalls VW-Tochter, plant, Lkws zu elektrifizieren. Ab 2024 sollen im Stammwerk in München schwere Lastwagen mit Elektroantrieb in Serie produziert werden. Darüber hinaus entwickelt MAN in Kooperation mit Bosch, Faurecia und ZF einen Brennstoffzellen-Lkw, der Mitte 2024 an fünf Kunden ausgeliefert werden soll. Diese sollen die Trucks dann ein Jahr lang im realen Einsatz testen.

Lohscheller schaut selbstbewusst nach vorne

Genau hier liege Nikolas "einzige Chance", meint Michael Lohscheller. Das vergleichsweise kleine Unternehmen mit 1100 Mitarbeitern habe im Gegensatz zu konkurrierenden Unternehmen bereits einen Elektro-Lkw auf dem Markt und bringe bald ein Modell mit Wasserstoff-Brennstoffzelle auf den Markt. Nikola schaut selbstbewusst nach vorne – und will seine dunkle Vergangenheit hinter sich lassen. Gegen den ehemaligen Nikola-Chef Trevor Milton waren vor einiger Zeit nämlich Betrugsvorwürfe aufgekommen, nachdem er einen Prototypen für einen Lkw präsentiert hatte, der in Wirklichkeit gar nicht fahren konnte. Stattdessen rollte dieser einen Berg herunter. Milton trat im September 2020 zurück. Für ihn hat Nikola mit Lohscheller offenbar einen zielorientierten Nachfolger gefunden. Der Ex-Opel-Chef stieg vergangenen Februar ins Unternehmen ein und wird zum 1. Januar zum CEO aufsteigen. Er verspricht: "Wenn wir Sachen sagen, dann machen wir die auch." Nach dem Tre FCEV soll 2024 der große Bruder Tre FCEV mit circa 1450 Kilometer Reichweite auf den Markt kommen.

Quellen: Elon Musk, Daimler, Hyundai, Scania, MAN, Hamburg Port, FAZ, mit Material der dpa

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