Die StVO-Novelle 2020 sollet ein großer Wurf werden. Mit deutlich schärferen Strafen sollten Kraftfahrer dazu gezwungen werden, die Spielregeln im Verkehr einzuhalten. Ein Aufschrei der Autofahrer-Lobby war die Folge, weil nun deutlich leichter ein Fahrverbot ausgesprochen werden konnte. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) inszenierte sich zuvor als Verkehrsengel für Fußgänger und Radfahrer, doch angesichts des Unmuts rückte er von seiner eigenen Reform schon im Mai öffentlich von den neuen Bußen ab.
Unglücklich mit eigener Reform
Doch zunächst ohne Folgen, die Novelle war bereits in Kraft. Bei seinem Salto rückwärts kommt Scheuer nun die Unfähigkeit seines Ressorts zu Hilfe. Juristen haben in der Präambel der Novelle einen Formfehler entdeckt. Die StVO-Novelle beachtet das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes nicht. Es besagt, sollte ein Gesetz Grundrechte einschränken, dann müssen die auch genannt werden. Eine Formalie, ohne die ein Gesetz aber kein Gesetz ist. In einer Videokonferenz forderte der Bundesverkehrsminister seine Länderkollegen daher auf, ab sofort den alten Bußgeldkatalog wieder anzuwenden. Formal ist das Vorgehen richtig. Viele Bundesländer – darunter das Saarland, Bayern, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Sachsen – kündigten bereits an, die Novelle auszusetzen.
Was gilt für die Zwischenzeit?
Der peinliche Fehler in Berlin bringt die Bundesländer in eine schwierige Lage. Seit Inkrafttreten der Novelle wurden Hunderttausende von Sanktionen verhängt. Alle aufgrund einer fehlerhaften Rechtsgrundlage. Wie die Länder mit dem Dilemma umgehen werden, ist noch unklar. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die Zwischenzeit als rechtsfreier Raum deklariert wird, und jede Buße rücküberwiesen wird. Geschieht dies aber nicht, werden zahlreiche Autofahrer, die von den schärferen Sanktionen der 2020er-Novelle betroffen sind, rechtlich gegen die Bescheide vorgehen.
Der ADAC schätzt, dass rund 100.000 Fahrverbote, die nach dem neuen Bußgeldkatalog verhängt wurden, rechtswidrig sein könnten. "Es ist davon auszugehen, dass seit Inkrafttreten der StVO-Änderungen etwa eine Million Verkehrsverstöße begangen wurden, wobei rund 100.000 mit einem Fahrverbot belegt sein dürften", sagte Markus Schäpe, Leiter der juristischen Zentrale des ADAC, der "Bild am Sonntag".
Der zweite, politische Skandal resultiert aus der Haltung des Ministers zu seiner eigenen Reform. Eigentlich könnte die Novelle mit einer rechtskonformen Präambel versehen werden und ansonsten unverändert wieder schnell auf den Weg gebracht werden. Eigentlich, denn das gilt nur, wenn Andreas Scheuer seiner Reform nicht die Zähne ziehen will. Dann geht es um ein inhaltlich ganz neues Gesetzesvorhaben, das erneut beraten werden will. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) kritisierte den Verkehrsminister dann auch scharf: "Besondere Chuzpe braucht es, die Schlamperei in der Umsetzung des Gesetzes zu nutzen, um eine unliebsame Regelung auszuhebeln".
Rolle rückwärts ohne Bundesländer
Umstritten ist vor allem die Regelung, dass ein Monat Führerscheinentzug droht, wenn man innerorts 21 km/h zu schnell unterwegs ist oder 26 km/h außerorts. Viele Autofahrern war das nicht großzügig genug. Doch tatsächlich hatte der Bundesrat seine Zustimmung zur StVO-Novelle von dieser Verschärfung des Sanktionen-Niveaus abhängig gemacht. Es ist unwahrscheinlich, dass die Länder die Kehrtwende des Bundesministers nachvollziehen werden. Dass Scheuer jetzt seinen Willen durch die Hintertür mithilfe der Stümperei seines Ministeriums durchsetzen könnte, führt zu Unmut. "Nach dem Maut-Murks sorgt der Minister nun auch noch für bundesweite Straßenverkehrsunordnung", sagte die Vorsitzende der Konferenz der Landesverkehrsminister, Anke Rehlinger (SPD), der "Bild am Sonntag". "Die Länder würden ungeduldig auf eine Regelung warten. „Ich erwarte, dass Klarheit zu diesen Fragen im Laufe der Woche hergestellt wird. Wir können nicht Tausende Autofahrer im Unklaren lassen, weil das zuständige Bundesministerium die eigenen Gesetze nicht richtig liest."
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