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25 Jahre TV-Revolution Netflix wollte das Fernsehen aufmischen – nun macht es die gleichen Fehler

Das Unglück trug sich im Rahmen der Netflix-Serie "The Chosen One" zu.
Netflix, das zu Anfang war ein Versprechen
© Kaspars Grinvalds/Shutterstock.
Als Netflix und Co. den TV-Streamingmarkt aufbauten, war es eine Kampfansage gegen alles, was im TV so schief lief. Nun hat sich die Lage gedreht – zum Nachteil der Zuschauer.

Langeweile auf dem Bildschirm, das Programm voll mit viel zu Altbekanntem und dann noch die Werbung: Als Netflix, Amazon und andere die ersten Schritte in den noch jungen Streamingmarkt wagten, waren viele vom klassischen Fernsehen mehr als genervt. Mit aufregenden, mutigen Erzählformaten, vielen frischen Ideen und einem prallvollen Programm zum günstigen Preis fielen die neuen Angebote aus dem Rahmen – und traf auf ein dankbares Publikum. Doch mit dem Erfolg wuchs auch der Druck. Und zum 25. Geburtstag hat Netflix so viel Probleme wie noch nie.

Dabei hatte das Unternehmen gleich zweimal einen eigenen Markt aufgebaut. Zum Start war Netflix, wie die meisten schon wissen dürften, kein Streaming-Angebot. Das hätten alleine die Internetleitungen 1997 noch gar nicht zugelassen. Stattdessen versandte man DVDs zu den Kunden. Und zeigte, dass es Online-Angebote mit Ladengeschäften wie Videotheken aufnehmen können. 2007 bot Netflix das erste Mal Inhalte zum Streamen an. Die große Revolution folgte aber erst später: Mit Eigenproduktionen wie "House of Cards" of Cards" krempelte man ab 2013 das Fernsehen auf der ganzen Welt um, und begann damit einen Siegeszug rund um den Planeten.

Die goldenen Zeiten sind vorbei

Doch seit dem ist viel passiert. War Netflix, auch in Deutschland, als der Streamingdienst angetreten, bei dem man quasi alles fand und überraschte Monat für Monat mit neuen, spannenden Serienkonzepten, hat sich die Situation seitdem drastisch verändert. Nach Jahren des steten Wachstums musste Netflix dieses Jahr zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Rückgang der Abonnenten-Zahlen vermelden. Um 200.000 Zuschauer ist sein Publikum in den ersten drei Monaten 2022 gesunken. Doch es kommt noch härter: Für das zweite Quartal war der Einbruch noch schlimmer: Fast eine Millionen Abonnenten habe man verloren, gab Konzernchef Reed Hastings zerknirscht zu. Das wird nur deshalb als Erfolg gewertet, weil der Konzern eigentlich mit zwei Millionen verlorenen Kunden gerechnet hatte.

Das größte Problem des Konzerns ist wohl sein Erfolg: Nachdem Netflix gezeigt hatte, dass sich mit Streaming-Abos Geld verdienen lässt, fragten sich die Produktions-Studios und Fernsehsender rund um den Globus, warum sie ihr Programm eigentlich an Netflix lizensieren sollten. Und boten immer mehr eigene Dienste an. Für Netflix hat das gleich zwei schmerzhafte Folgen: Weil die Konkurrenten ihre Programme in die eigenen Dienste verlagerten, schrumpfte der Netflix-Katalog in den letzten Jahren empfindlich. Gleichzeitig wurden Inhalte immer teurer. Zum einen, weil beliebte Inhalte wie "Friends" an die meistbietenden verliehen wurden und Höchstpreise erzielten. Zum anderen aber auch, weil sich die Dienste plötzlich im Kampf um die besten Eigenproduktionen zu überbieten begannen. Wer die Hits hat, zieht schließlich das größte Publikum an.

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Verlorenes Paradies

Das hat Folgen. Streamingdienste waren zur Hochzeit in der Branche ein nahezu magischer Ort, wo alles möglich war. Wer ein Serien-Konzept hatte, das zu düster, zu speziell oder zu verrückt war, bekam es trotzdem aus den Händen gerissen. Das hat sich mit dem größer werdenden Gelddruck stark verändert. "Vor ein paar Jahren wollten die Streamingmanager noch alle diese etwas skurrilen, kleinen Serien, mit denen sie ein Risiko eingehen konnten", erklärte ein frustrierter Autor im April gegenüber dem Branchendienst "Variety". "Heute muss man einen Weg finden, es zu einem Blockbuster hochzureden, um überhaupt noch ein Okay zu bekommen. Wenn man etwas zu abwegiges vorschlägt, heißt es automatisch Nein." Die mutigen Jahre, in denen Netflix den TV-Markt umkrempelte, sie sind vorbei.

Ausgerechnet Netflix' Erfolgsrezept der letzten Jahre entwickelte sich auf Dauer zur Falle. Mit dem Einstieg in die Eigenproduktionen und dem Konzept des Binge-Watchings sorgte das Unternehmen für Aufsehen. Jede neue Serie bei Netflix wurde von den Abonnenten geschaut, oft in wenigen Tagen. Wer im Büro mitreden wollte, musste also schnell sein. Doch mit dem immer wachsenden Angebot, wurden diese Hits immer seltener. Selbst Netflix dürfte nicht erwartet haben, dass eingekaufte Produktionen wie "Squid Game" oder "Haus des Geldes" zu weltweiten Superhits wurden. Auf der Suche nach dem nächsten Hit stopfte der Konzern seinen Dienst aber mit immer mehr Mittelmaß voll. Und weil die neuen Folgen großer Hits immer schneller weggeschaut werden, bleibt bei den Abonnenten der Eindruck, es sei dort nichts zu finden.

Wie geht es weiter?

Wie es in den nächsten Jahren weitergeht, dürfte spannend werden. Um die steigenden Kosten hereinzuholen und die sinkenden Abo-Zahlen auszugleichen, hat Netflix nun sogar Schritte angekündigt, die die Gefahr bergen, noch mehr Kunden zu verlieren. Zum einen erwägt der Konzern, zum ersten Mal Werbung in seinem Programm zu erlauben, um damit ein günstigeres Einsteiger-Angebot rentabel zu machen. Zum anderen plant man, gegen das jahrelang geduldete Teilen von Passwörtern vorzugehen und Mehrnutzer-Abos nur noch in gemeinsamen Haushalten zuzulassen. Beide Schritte fanden nach der Ankündigung wenig Begeisterung bei den Abonnenten.

Viel gefährlicher dürfte aber sein, dass die Konkurrenten einen Weg gefunden haben, Netflix' großes Inhalte-Dilemma für sich selbst besser zu lösen. Disney+ und Apple TV+ setzen beide statt einer Flut an Neuerungen auf ausgewähltere, hochwertige Inhalte. Und: Die erfolgreichen Serien wie "The Mandalorian" oder "Severenance" gehen nach dem bewährten TV-Prinzip vor und zeigen jede Woche eine neue Folge. Das sorgt nicht nur dafür, dass Kunden nicht einfach bingen und danach kündigen. Sondern erlaubt auch wieder aufgeregte Gespräche am nächsten Tag. So, wie es bei Netflix in den besten Tagen eben auch war.

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