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Überwachung Ausweitung des Bundestrojaners beschlossen – dabei wird die Polizei schon von Beweismasse "erdrückt"

Überwachung: Die Menge an digitalen Beweismitteln nimmt immer weiter zu
Die Menge an digitalen Beweismitteln nimmt immer weiter zu
© Boris Roessler/ / Picture Alliance
Der sogenannte Bundestrojaner soll nun auch zur Verhinderung von Straftaten eingesetzt werden können, das beschloss die Bundesregierung. Dabei beklagten Experten, dass die Mengen an Beweisen schon vorher viel zu stark gewachsen sind.

Seit 2017 dürfen die Strafverfolgungsbehörden Smartphones und Rechner mit eigens entwickelten Trojanern überwachen. Nun hat die Bundesregierung eine Ausweitung der nach wie vor umstrittenen Praxis beschlossen. Selbst in der Führung der Regierungspartei SPD gibt es Gegenstimmen.

Mehr Abhör-Rechte für mehr Behörden

Nach dem Beschluss soll die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, kurz Quellen-TKÜ, nun noch weitreichender erlaubt werden als bisher. So soll die Überwachung nun auch in Messengern erfolgen können. Dadurch dürfen die Geheimdienste und Verfassungsschützer auch gespeicherte Chats auslesen. Das war bisher nicht erlaubt gewesen.

Die Bundespolizei hat nicht ganz so weitreichende Befugnisse. Sie darf bei Messengern nur darüber geführte Sprachtelefonate abhören. Dafür bekommt sie weitere Rechte in einem anderen Bereich: Die Bundespolizei darf die Quellen-TKÜ nach dem Beschluss nun auch zur Gefahrenabwehr nutzen – also bevor es überhaupt zu einer Straftat gekommen ist. Konkret gedacht ist das etwa für Fälle wie wenn durch Menschenschmuggel in schlecht belüfteten Containern Lebensgefahr für die Transportierten besteht.

Auch die Rolle der Telekommunikations-Betreiber wird ausgebaut: Sie müssen nun den Zugang zu den Gesprächen und Daten ermöglichen. Die SPD konnte allerdings gegen den Widerstand der CDU durchsetzen, dass dabei nicht auch noch die Verschlüsselung von Gesprächen aufgehoben werden muss. Das hätte die Betreiber von Messengern wie Whatsapp zum Einbau einer Hintertür verpflichten können.

SPD-Chefin lehnt die Entscheidung ab

Die neue Regelung ist selbst bei den Regierungsparteien umstritten. SPD-Chefin Saskia Esken stellte sich öffentlich gegen den Beschluss ihrer eigenen Fraktion. "Ich halte die Entscheidung für den Einsatz von Staatstrojanern auch weiterhin für falsch, insbesondere in den Händen von Geheimdiensten", schrieb sie gestern Abend bei Twitter. "Diese Form der Überwachung ist ein fundamentaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte und dazu ein Sicherheitsrisiko für unsere Wirtschaft." Sie teile zwar die Beweggründe und respektiere die Entscheidung der Fraktion, "die beschlossenen Mittel halte ich aber für falsch." Sie hatte noch vor einigen Wochen angekündigt die SPD werde die Neuerung "auf keinen Fall mittragen". Auch die Jusos reagierten "entsetzt".

Kritik gab es auch aus der Opposition. "Den ständigen Abbau von Freiheitsrechten durch Staatstrojaner und Hintertüren können wir uns angesichts vielfältiger Angriffe auf unsere Demokratie ebenso wenig leisten wie die Symboldebatten der Großen Koalition", klagte der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen Konstantin von Notz. "Das wird auf jeden Fall vor Gericht landen", sagte er dem "Tagesspiegel". Notz hatte eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Neben seinem sind noch mehrere andere Verfahren gegen die Einführung der Trojaner an sich beim Verfassungsgericht anhängig. Dabei wird sie nach Zahlen des Bundesamts für Justiz nur sehr selten eingesetzt: Seit 2017 habe es nur 31 Anträge für die Quellen-TKÜ durch Geheimdienste und Verfassungsschutz gegeben, dreimal wurde demnach tatsächlich ein Trojaner installiert. Zu Online-Durchsuchungen war es demnach aber öfter gekommen: Sie seien 2019 bundesweit 21 Mal von Strafverfolgungsbehörden angeordnet und 12 Mal tatsächlich umgesetzt worden.

Von den Datenmassen erdrückt

Dass nun auch die Bundespolizei das Recht zur Quellen-TKÜ bekommt, verschärft Sorgen um eine Überlastung durch die immer stärker wachsende Anzahl von digitalen Beweismitteln. In einer Anhörung des Innenausschusses zur digitalen Polizeiarbeit hatten erst am Montag zahlreiche Experten die Gefahren und Tücken der zunehmend digitalen Beweissicherung beklagt. Die sei erheblich umfangreicher als die bei klassischen Ermittlungsansätzen, klagte etwa Ralf Michelfelder, der frühere Präsident des Landeskriminalamts Baden-Württemberg.

"An jedem Tatort wo wir noch haptische Spuren haben, haben wir auch digitale Spuren", erklärte er. Oft seien das sogar die einzigen Beweise. Und sie würden erheblich umfangreicher ausfallen. Die Massendaten würden die Behörden "erdrücken", bringt Michelfelder die Lage auf den Punkt. "Früher ist man zu einer Firma und hat umzugskartonweise die Buchhaltung mitgenommen", erklärt er die Zunahme der gesammelten Daten. "Da wäre keiner drauf gekommen, die Fotoalben des Chefs noch mitzunehmen und die auch anzuschauen." Wenn man Rechner und Smartphones mitnähme, würden die Fotos aber selbstverständlich mit ausgewertet. "Weil es ja relevant sein könnte. Vielleicht ist da ja auch eine Straftat drauf." Trotzdem sprach er sich grundsätzlich für die Sammlung der Daten aus. Die Staatsanwaltschaften müssten aber genauer erklären, was man brauche und was nicht.

Die Apps Telegram und Signal auf einem Smartphone

Auswertung kaum zu schaffen

Den Zuwachs an Beweismitteln bestätigt auch der Hamburger Strafrechtsanwalt Jacob Schwieger. "Wir haben jetzt schon Terabyte-weise Beweismittel. Die Zeiten, in denen man da zwei Aktenordner hatte, sind längst vorbei", erklärte er gegenüber dem stern. Wie das im Extremfall aussehen kann, berichtete Michelfelder bei der Ausschusssitzung: Das LKA Baden-Württemberg habe in einem einzelnen Fall 1,2 Petabyte an Daten gesammelt, so Michelfelder. "Ein Petabyte ausgedruckt auf Din-A4-Blättern bedeutet einen Stapel von 50.000 Kilometer Höhe."

Zur Auswertung solcher Datenmengen benötige man spezialisierte Analysten, fordert er daher. Vom ebenfalls oft ins Spiel gebrachten Einsatz von künstlicher Intelligenz riet der Forscher Simon Egbert bei der Sitzung ab. "Zu glauben, algorithmische Auswertung könne zu neutraler Risikobewertung folgen, ist naiv", ist er sich sicher. Bei der Entwicklung der Algorithmen und der Auswahl der Daten entstehe ein großes Potenzial, die Ergebnisse zu verzerren. Dabei spiele etwa eine Rolle, dass ethnische Minderheiten unverhältnismäßig oft kontrolliert würden – und dadurch auch von den Algorithmen als krimineller betrachtet werden. Zudem sieht er durch Technologien wie die automatische Datenauswertungs-Software Palantir eine Gefahr einer Schleppnetzüberwachung. Die Software würde auch Personen als verdächtig betrachten, die nur mit anderen Verdächtigen Kontakt hatten – und so das Feld der Überwachung noch weiter ausweiten.

Quellen: NetzpolitikSitzung des Innenausschusses

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