"Anomaly Six" Eine mysteriöse Firma will drei Milliarden Smartphones live tracken können - und spionierte zum Beweis NSA und CIA aus

Vor dem Bildschirm setzen sich die Nutzer mehr Risiken aus, als vielen bewusst ist (Symbolbild)
Für die Dauer-Überwachung braucht das Unternehmen nicht mal Zugriff auf Satelliten
© Laurence Dutton / Getty Images
Dass uns viele Unternehmen ausspionieren, daran haben sich viele Menschen längst gewöhnt. Die Firma Anomaly Six zeigt allerdings, dass das Ausmaß viel größer ist, als viele vermuten würden. Und es selbst für Supermächte zur Gefahr werden kann.

Es ist ein gruseliges Angebot, dass die Firma Anomaly Six in den Monaten vor der russischen Invasion in der Ukraine unterbreitete. Man sei in der Lage, die genaue Position von drei Milliarden Geräten rund um den gesamten Globus quasi in Echtzeit überwachen und auswerten zu können, heißt es in einer Präsentation. Um die Macht dieser Daten zu demonstrieren, griff man zu einem drastischen Schritt – und zeigte, wie sich US-Geheimdienstmitarbeiter und -Kriegsschiffe enttarnen und rund um die Welt verfolgen ließen. 

Das geht aus einem Bericht des auf Aufdeckungs-Journalismus spezialisierten Magazins "The Intercept" hervor. Dem Magazin liegt demnach eine Videoaufzeichnung einer Präsentation vor, mit der Anomaly Six dem Datenauswertungs-Dienst Zignal ein Kooperations-Angebot unterbreitete. Das erklärte Ziel: Gemeinsam einen noch stärkeren Überwachungs-Apparat für die Kunden aufzubauen.

Geheimdienste dürften aufhorchen

Dabei gehen die Fähigkeiten des von zwei ehemaligen US-Militärs aufgebauten Unternehmens schon alleine erschreckend weit. Anomaly Six sammelt Standort-Daten von Milliarden Geräten, knapp ein Fünftel der Menschheit will das Unternehmen jederzeit verorten können. Und weil man GPS-Daten nutzt, ist der Standort sehr genau. Das erlaubt es, gemeinsam mit weiteren Daten, selbst gut gehütete Geheimnisse der Supermächte aufzudecken. Das zeigen mehrere Teile der Präsentation.

Indem man protokollierte, welche Personen beide Hauptquartiere der US-Geheimdienste NSA und CIA besuchten, ließen sich etwa 183 Geräte herausfiltern, die ziemlich klar Geheimdienstmitarbeitern gehörten. Diese konnte man dann über Jahre verfolgen, und jedes Detail, wie etwa ihren Wohnsitz und Auftragsorte, herausbekommen. "Wenn ich für einen ausländischen Geheimdienst arbeiten würde, hätte ich vielleicht keinen Zugang zu den Hauptquartieren. Aber ich könnte herausfinden, wo diese Leute leben, wohin sie reisen, wann sie das Land verlassen", so der präsentierende Mitarbeiter von Anomaly Six. 

Aber auch die internationalen Streitkräfte dürften staunen. Weil viele der Soldaten ihre privaten Smartphones mit sich herumtragen, werden auch Truppenbewegungen registrierbar. So will die Firma den Aufmarsch an der ukrainischen Grenze anhand den Daten russischer Soldaten dokumentiert haben. Besonders gruselig ist aber ein anderes Beispiel: Indem man die Position eines einzelnen US-Kriegsschiffs auf einem Satellitenbild mit den vorhandenen Daten abglich, konnte man ein einzelnes Smartphone auf dem Schiff klar identifizieren. "Aber eines reicht aus", so der Präsentator. Dann habe man die Spur des Schiffes verfolgen können - und so Unmengen an Geräten von weiteren Marine-Soldaten identifiziert. "Nun können wir exakt beobachten, wann das Schiff in den Einsatz ablegt. Ich brauche dafür nicht mal Zugriff auf einen Satelliten."

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Neugierige Apps

Möglich ist diese Art der Überwachung, weil Smartphones die Nutzenden in erheblich größerem Umfang überwachen, als den meisten Menschen bewusst ist. Weil Apps auf spezielle Bauteile von Drittfirmen, sogenannte SDKs, setzen, um sich bei der Entwicklung Arbeit zu sparen, bekommen diese Zugriff auf die Daten ganzer Netzwerke von Apps. Anomaly Six kauft - wie Unmengen anderer Firmen - diese Daten letztlich nur auf und wertet sie aus. Die Nutzer würden der Überwachung einfach zustimmen, freut sich der Mitarbeiter im Video laut "The Intercept". "Die erlauben das alles, obwohl sie vermutlich die 60 Seiten Nutzungsbedingungen kaum gelesen haben." Das Ver- und Aufkaufen dieser Daten ist in den USA gesetzlich erlaubt, wenn es mit Zustimmung geschieht.

Die Daten sind erschreckend umfangreich. Pro Gerät würden jeden Tag 30 bis 60 Standortdaten einlaufen. Weil anders als bei vielen Konkurrenten nicht aufgrund von Mobilfunkdaten ermittelte Schätzwerte, sondern nur die hochpräzisen GPS-Daten genutzt würden, seien sie zudem sehr genau. 2,5 Billionen Messwerte kämen so im Jahr zusammen. Weil zusätzlich noch Account-Daten der Apps wie die zur Anmeldung benutzte E-Mail-Adresse übergeben werden, könne man die Geräte und ihre Daten auch einzelnen Personen zuordnen.

Für die Geheimdienste dürfte der Schreck allerdings eher in der Tatsache liegen, dass diese Art der Ermittlung auch gegen sie eingesetzt werden kann. Die zugrunde liegende Art der Datensammlung betreiben sie nämlich längst selbst: Auch in den USA bestehen bei der Überwachung der eigenen Bürger Grenzen, oft werden Durchsuchungsbeschlüsse benötigt. Die Ermittlungsbehörden haben nach Medienberichten deshalb schon vor Jahren begonnen, die Daten dort zu besorgen, wo sie es auch ohne richterlichen Beschluss dürfen - und kaufen sie im großen Stil bei den App-Datensammlern.

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