Bei den vielen Produkten und Projekten von Google kann man leicht den Überblick verlieren: AdMob, Android Pay, Android TV, Android Auto (nicht zu verwechseln mit dem fahrerlosen Google-Mobil), Google Fit, Project Loom, Google Glass, Android M, Androd Wear. Selbst Insider werden immer wieder überrascht, womit sich die Ingenieure und Software-Entwickler aus Mountain View so alles beschäftigen.
Auf der Entwicklerkonferenz Google I/O (ab18 Uhr auf stern.de im Liveticker), die heute in San Francisco beginnt, könnte diese Liste noch ein wenig länger werden.
Im Zeichen des M
Die Tickets für die Konferenz waren bei den Entwicklern und Google-Partnern wieder so begehrt, dass eine Lotterie entscheiden musste, wer eine Karte für rund 800 Dollar kaufen durfte. Die Programmierer von Smartphone- und Tablet-Apps erwarten aber, dass sich dieses Investment schnell wieder bezahlt macht: Alle gehen davon aus, dass Google hier Details zur kommenden Version seines Mobilsystems Android vorstellen wird. Nachdem im vergangenen Jahr Android 5.0 "Lollipop" präsentiert wurde, ist nun der nächste Anfangsbuchstabe im Alphabet dran.
Bisher sind nur wenige Informationen zur neuen Version bekannt. Gerüchten zufolge könnte Google Android M unter anderem eine grundsätzliche Unterstützung für eine Authentifizierung per Fingerabdruck enthalten, die bislang nur wenigen Spitzenmodellen von Samsung und LG vorbehalten ist. Zudem könnte die neue Android-Version die Möglichkeit bieten, Apps rückwirkend Berechtigungen zu entziehen. Auf jeden Fall dürfte Android M eine der bedeutendsten Ankündigungen der Konferenz sein.
Was wird aus Google+?
Eine Neuausrichtung wird für das Angebot Google Plus erwartet. Der Dienst war auf der Google I/O 2011 als eine Art Alternative zu Facebook gestartet worden, konnte diese Erwartungen aber nie erfüllen. Vic Gundotra, der als Manager für Google Plus verantwortlich war, verließ im April 2014 das Unternehmen. Google Plus fungiert heute eher als "soziale Schicht" zwischen verschiedenen Diensten, etwa "Hangouts" (Videotelefonie). Gerüchten zufolge wird der in Google Plus integrierte Foto-Service künftig als eigenständige Plattform herausgelöst, um gegen Konkurrenzangebote wie Instagram von Facebook und Flickr von Yahoo anzutreten.
Google Glass, die Zweite
Im Netz wird außerdem spekuliert, ob der Konzern auf der Konferenz auch eine Neuauflage seiner Datenbrille Google Glass präsentiert. Google-Mitgründer Sergey Brin hatte vor drei Jahren die erste Version mit einer spektakulären Bühnenshow vorgestellt. Doch das Projekt scheiterte zunächst grandios.
Brin und andere Google-Manager hatten die mangelnde soziale Akzeptanz für eine Brille unterschätzt, mit der man von seinem Gegenüber ständig Fotos oder Videos machen konnte. Außerdem gelang es den Google-Ingenieuren überraschend auch nicht, die massiven technischen Unzulänglichkeiten wie die viel zu kurze Batterielaufzeit in den Griff zu bekommen. Im Januar wurde der ohnehin eingeschränkte Verkauf von Google Glass gestoppt und ein Neustart verordnet. Ob die Zeit schon reif ist, über die zweite Version zu sprechen, wird sich zeigen.
Die Welt im Blick
Auch Google Earth und Google Maps könnten auf der Konferenz eine wichtige Rolle spielen. Im vergangenen Jahr kaufte der Konzern das Unternehmen Skybox für satte 500 Millionen Dollar. Die Firma aus Mountain View nahe San Francisco, wo auch Google seinen Sitz hat, baut kostengünstige Satelliten und ist auf das Schießen von hochauflösenden Satellitenbildern spezialisiert. Das Unternehmen bietet seinen Kunden das Beobachten gewünschter Gebiete per Satellit an, entweder mit sehr detailreichen Fotos oder anhand von 90 Sekunden langen Videos. Womöglich findet die Technik Einzug in Googles Karten-Dienste: Auf dem Session-Plan des ersten Tages gibt es eine Veranstaltung mit dem Namen "The earth in real time".
Konkurrenz für die Apple Watch?
Baut Google einen neuen Fitnesstracker beziehungsweise ein neues Wearable? Darauf deutet einiges hin: Googles ATAP-Gruppe (Advanced Technology and Project) ist auf der Konferenz vertreten. Zuvor war die smarte Truppe für spektakuläre Entwürfe wie das modulare Smartphone Project Ara verantwortlich. In einer Session-Beschreibung ist von Wearables die Rede, die "euch buchstäblich von den Socken holen werden".
Des Weiteren werden Neuigkeiten zu Android Wear erwartet, dem Betriebssystem für Smartwatches. So soll es nun wie bei der Apple Watch möglich sein, am Handgelenk zu telefonieren. Zudem könnte ein erstes Vorab-Exemplar der Luxus-Smartwatch von Tag Heuer mit Android-System vorgestellt werden.
Nicht viel los im Google-Auto
Keine großen Innovationssprünge - aber interessante Updates im Detail - erwarten die Entwickler zur Plattform Android Auto. Dabei geht es darum, eine Auswahl von Android-Apps auf den Bildschirm im Auto zu bringen. Bislang bieten einige Auto-Hersteller in den USA, Großbritannien und Australien diese Option an. Die deutschen Branchenriesen wie Volkswagen und Daimler versuchen, die konkurrierenden Systeme von Apple (Carplay) und Google parallel in die Fahrzeuge zu integrieren. Weitere Neuigkeiten könnte es dagegen zu den selbstfahrenden Autos geben.
Weniger Schlagzeilen werden die Konferenzsessions über Dienste wie AdMob machen. Dabei geht es aber um die für Entwickler äußerst wichtige Frage, wie man eine App bewerben und kommerziell erfolgreich machen kann. Gut zwei Drittel aller Android-Apps sind für die Nutzer kostenlos und werden letztlich mit der Aufmerksamkeit der Anwender für die eingeblendeten Werbeanzeigen bezahlt.
Google selbst ist noch stärker als die App-Entwickler auf die Werbung als Haupteinnahmequelle angewiesen. Rund 90 Prozent der Gesamteinnahmen von rund 66 Milliarden Dollar im Jahr 2014 stammten aus der Werbung. Zwei Drittel davon kamen aus hauseigenen Angeboten wie Suche, Maps und YouTube. Ein Drittel der Werbeumsätze werden auf Webseiten anderer Anbieter mit Diensten wie Adsense erzielt.
Die Erlöse aus der Umsatzbeteiligung im Google Play Store, über den die Android Apps verkauft werden, fallen dagegen deutlich geringer aus. Auch die Umsätze der kommerziellen Cloud-Angebote, mit denen Google den Wettbewerbern Amazon und Microsoft entgegentritt, haben sich in der Google-Bilanz noch keine eigenständige Rubrik erobert, sondern fallen unter die restlichen zehn Prozent jenseits der Werbeerlöse. Beim Geldverdienen ist Google im großen Internet-Zirkus ein Pony, das nur einen Trick auf Lager hat. Und auf der Google I/O 2015 wird vermutlich kein zweiter Trick präsentiert werden.
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