Aufrüstung in China Wie Thors Hammer: Neuartiges Wuchtgeschoss soll Panzer zerstören, ohne die Panzerung zu durchbrechen

Das Wuchtgeschoss könnte von einer elektromagnetischen Kanone abgefeuert werden. Die Illustration zeigt eine Railgun als Schiffsgeschütz..
Das Wuchtgeschoss könnte von einer elektromagnetischen Kanone abgefeuert werden. Die Illustration zeigt eine Railgun als Schiffsgeschütz..
© PLA
Man muss einen Panzer nicht knacken, um ihn auszuschalten. Chinesische Forscher nehmen an, dass ein Hyperschallgeschoss mit seiner kinetischen Energie einen Kampfpanzer so durchschütteln würde, dass wichtige Systeme ausfallen. Von außen bliebe der Panzer heil, doch innen wäre er kaputt.

Geschosse, die gepanzerte Fahrzeuge ausschalten sollen, versuchen stets die Panzerung zu durchschlagen. Daher tobt ein ewiger Kampf zwischen der Optimierung der Panzerung und der Aufwertung der Geschosse. Ein moderner Kampfpanzer wird keineswegs allein von Stahl geschützt, seine Hülle besteht aus Kompositmaterialien, die eine hohe Widerstandskraft erreichen.

Die Geschosse versuchen entweder mit einem Schweißstrahl oder mit einer extrem harten Nadel das Material zu durchbrechen. Gegenüber den Nadelgeschossen, wie sie Kampfpanzer verschießen, hat der Schutz seit der Einführung von Kompositmaterialien einen Vorsprung erreicht, der dazu zwingt, Kanonen mit immer größeren Kalibern zu verwenden.

Schlag auf die Panzerung

Chinesische Forscher wollen das Dilemma lösen. Sie arbeiten an einem Wuchtgeschoss, das nur aufschlagen soll, den Schutz aber nicht durchbrechen muss. Zur Veranschaulichung hilft ein Blick ins Mittelalter: Damals konnte man versuchen, eine Panzerung mit Schwert oder Spieß zu durchbrechen und dem Träger so eine Wunde zuzufügen. Man konnte aber auch auf die nackte Gewalt von Streithammer oder Axt vertrauen, deren Aufprall den Gegner zu Boden warf.

In einer chinesischen Studie wurde die Wirkung eines Wuchtgeschosses simuliert, welches allein mit seinem überschaubaren Gewicht von 20 Kilogramm und seiner kinetischen Energie einen US-Panzer ausschalten kann, so die Wissenschaftler. Dafür benötigt es lediglich vierfache Schallgeschwindigkeit. Das sind 4800 km/h – zum Vergleich: die Mündungsgeschwindigkeit der Hauptwaffe des Leopard 2 liegt bei 1640 Meter pro Sekunde, das entspricht fast 5900 km/h.

Relativ wenig Energie reicht aus 

Tatsächlich ist das Ergebnis überraschend, denn die kinetische Energie beträgt nur 25 Megajoule oder umgerechnet 7 Kilowattstunden. Die Energie, die ein Heizlüfter innerhalb weniger Stunden verfeuert, soll ausreichen, einen 60 Tonnen Panzer K.o. zu schlagen? Der Unterschied zum Heizlüfter liegt darin, dass die Energie innerhalb von Sekundenbruchteilen freigesetzt wird. Der zweite Punkt ist, dass der Panzer eine extrem steife Konstruktion ist, das Material ist nicht darauf angelegt, nachzugeben. Die ganze Wirkung basiert darauf, dass der Schlag den Panzer kurz, aber gewaltig durchrüttelt.

Huang Jie vom Hypervelocity Aerodynamic Institute des China Aerodynamics Research and Development Centre behauptet, dass der Tank danach äußerlich unversehrt bleibe, sein Innenleben jedoch irreparabel beschädigt werde. Unter anderem brächen die Schrauben, die Geräte im Inneren mit dem Schutzraum der Besatzung verbinden. Der Aufprall würde die Sicherheitsgrenzen des US-Militärs überschreiten. "Komponenten an diesen Standorten haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie aufgrund von Überlastungsschäden ausfallen," zitiert ihn die "South China Morning Post". Die Stoßwelle breite sich auf komplexe Weise im Fahrzeug aus, dass dadurch starke Spannungen entstünden, die zu Verformungen oder Brüchen führten. "Der Griff des Stabilisators des Geschützes kann abgeschüttelt werden, die Verkabelung der Konsole kann vollständig herausgezogen werden, alle Verbindungen zwischen dem Feuerleitcomputer und dem Turm können unterbrochen werden, was zu einem erheblichen Feuerkraftverlust führt", heißt es in dem Artikel weiter.

Hyperschallwaffen werden kleiner 

Das Forschungsinstitut gehört zu einem Zentrum für die Entwicklung von Hyperschallwaffen. Bislang wurden Hyperschallwaffen entwickelt, um größere Raketen zu bauen, die meist gegen hochwertige militärische Ziele eingesetzt werden. Nun scheint es möglich, diese Technik auch für einfache und weit billigere Waffen zu nutzen. Die klassische Kanone kann weiter optimiert werden, stößt aber an Grenzen, weil die Mündungsgeschwindigkeit des Projektils von der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Gases der Treibladung abhängt. Eine elektromagnetische Railgun unterliegt diesen Begrenzungen nicht, sie kann sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen. Mit einer Railgun könnte man auch ein Nadelprojektil verschießen, durch die hohe Geschwindigkeit wäre es besonders wirksam. Der Vorteil der Wuchtgeschosse soll darin liegen, dass sie ihre Wirkung auch bei einem Streifschuss entfalten.

Fazit

Die Studie ist interessant, in der Praxis würden sich jedoch zahlreiche Probleme stellen. Dämpfende Materialien könnten den Stoß merklich abfedern. Insbesondere der Turm von Kampfpanzern ist heutzutage mit Modulen zugepflastert, die außerhalb der eigentlichen Panzerung liegen. Hier würde der Einschlag den "Anbaukasten" zerfetzen, dann hätte er aber nicht mehr genug Energie, um die Sicherheitszelle durchzurütteln. Eine ähnliche Abschwächung würde eine Reaktivpanzerung erzeugen. Die angegebene Geschwindigkeit und Masse erscheinen auch sehr gering für die erwünschte Wirkung. Spannend bleibt aber, dass überhaupt an kleinen Hyperschallsystemen gearbeitet wird. Im Prinzip lassen sich mit einer elektromagnetischen Kanone sehr viel höhere Geschwindigkeiten erreichen als mit einer heutigen Kanone. Das allein macht die Waffe sehr viel gefährlicher, ob nun ein Wuchtgeschoss oder ein Penetrationskörper verschossen wird. 

Doch in der Ukraine werden Kampfpanzer meist von Artillerie oder Billigdrohnen ausgeschaltet. Das Potenzial von beiden ist weit größer als das einer aufwändigen Railgun, die genau wie eine Kampfwagenkanone immer auf eine direkte Sichtlinie zum Ziel angewiesen ist.

Quelle: SCMP

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