Metzger sollte er werden. Morgens um drei aufstehen, Schweine und Kälber schlachten, so wie es seit Generationen in der Familie Tradition ist. Er, der Sohn, er sollte die Metzgerei-Dynastie weiterführen. Doch er wollte nicht. Zumindest nicht so richtig. Wie sonst wäre es zu erklären, dass er, Christian Jürgens, das erste Angebot annahm, dass ihm einen Abzweig von diesem vorbestimmten Lebensweg bot. Seine Geschichte, sie hat was vom amerikanischen Traum. Sie erzählt von einem, der als Tellerwäscher startete, um zum Drei-Sterne-Koch aufzusteigen.
Jürgens gehört zu den Top 9 der besten Köche Deutschlands, zu den neun, deren Arbeit von den Kritikern des Guide Michelin mit drei Sternen bewertet werden. Was er im Restaurant "Überfahrt" am Ufer des Tegernsees auftischt, das ist seit fast zwei Jahrzehnten Weltklasse. "Ich erfreue mich jeden Tag daran und bin auch ein wenig demütig", sagt er. Schließlich sei es mit den Sternen nicht wie beim Fußball, wo ein Tor mehr über den Sieg entscheidet, sondern eher wie beim Eiskunstlaufen. "Da entscheiden Dritte: War das fachlich Weltklasse? Und wie ist das in der B-Note? Diese B-Note ist bei uns Gefühl, Emotion, auch die Unverwechselbarkeit, also ganz wichtig."
Christian Jürgens: "Ich wusste: Ich will alles"
All das begann mit einem Zufall. Er war 16, aus dem Elternhaus in die Arme und das Restaurant der Schwester geflohen, wo er als Spüler einsprang. Und wenn es nichts zu spülen gab, dann schälte er Kartoffeln und putzte Pfifferlinge, machte das, was sonst keiner machen wollte. Ans Kochwerden dachte er nicht, bis der Küchenchef auf ihn zukam. Er kochte gern, aber von der Welt der Spitzenastronomie hatte er damals keinen blassen Schimmer. Für ihn war Michelin ein Reifenhersteller und Paul Bocuse, das war nur irgendein Koch im Fernsehen. Das änderte sich schnell. Bald wurde dem jungen Jürgens klar, dass er bei den Besten lernen – "wenn der Witzigmann das so gut kann, dachte ich mir, möchte ich bei dem mal arbeiten" – und nach den Sternen greifen wollte. Dieser Traum habe ihn, erzählt er, durch alle Stationen seiner Lehre begleitet.
Jürgens lernte unter der Ägide von Gerd Käfer und Heinz Winkler, Jörg Müller und, auch dieser Wunsch sollte sich erfüllen, beim großen Eckart Witzigmann. Und mit 30, da hatte Jürgens ihn endlich, seinen ersten Stern. "1998 war er da, der ersehnte Stern. Nach drei Minuten war mir klar: Ich will den zweiten. Ich will ihn unbedingt", so Jürgens. 2002 war es soweit: "Dann dauerte es nur noch eine Sekunde, bis ich wusste: Ich will alles!" Elf Jahre später, zwei Tage vor seinem 45. Geburtstag, war er, inzwischen Chef im "Althoff Seehotel Überfahrt" in Rottach-Egern, ganz oben angekommen. Und das, obwohl er sich selbst gerade einmal als "mitttelmäßig talentiert" beschreibt, er habe sich die Sterne "auf die harte Tour" erarbeitet.
Seine Küche ist modern und kreativ, ohne die klassischen Wurzeln dabei zu vergessen. "Meine oberste Prämisse ist es, für den Gast einen Geschmack auf den Teller zu bringen, den er nicht vergisst", sagt Jürgens. Der Geschmack ist für den Sternekoch Anfang und Ende. Alles baue auf ihm auf, ordne sich ihm unter. "Die Gäste, die zu uns kommen, suchen das Einmalige, den ultimativen geschmacklichen Kick. Und das, wofür unsere Küche steht – das Erlebnis, die Überraschung!"
Dieser Text wurde am 8. April 2022 erstveröffentlicht.
Mehr zu Christian Jürgens und neun weiteren Drei-Sterne-Köchen, dazu wie sie ticken und was sie antreibt, haben Isolde Heinz und Gunnar Meinhardt in der Porträt-Sammlung "Drei Sterne: Mehr geht nicht" aufgeschrieben. Die Zitate sind dem Buch entnommen.
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