Im Porträt Marco Müller: Das ist Berlins einziger Drei-Sterne-Koch

Drei-Sterne-Koch Marco Müller
Marco Müller treibt im Drei-Sterne-Restaurant "Rutz" die Regionalität auf die Spitze.
© Ricarda Spiegel
Wäre die Mauer nicht gefallen, Marco Müller hätte die Kochjacke wohl an den Nagel gehängt. Und Berlin müsste vielleicht noch immer auf sein erstes Drei-Sterne-Restaurant warten. Die Geschichte eines rebellischen Kochs, der die Sterneküche modernisierte, um zu ihr zu passen.

Marco Müller wurde dort geboren, wo großes deutsches Kino entsteht: Babelsberg. Großes Kino ist auch, was der Koch auf die Teller bringt. Auch er erzählt Geschichten – Heimatgeschichten, in denen die Produkte im Mittelpunkt stehen und die Regionalität als roter Faden dient. Und die vor ein paar Jahren noch niemand hören, schon gar nicht schmecken wollte. Sie passten nicht ins enge Korsett, das die Sterneküche lange einschnürte. Aber Müller, das Enfant terrible, stellte den Status quo in Frage und mischte mit seinen Ideen der nachhaltigen Regionalküche den erlauchten Kreis der Gourmet-Traditionalisten auf. "Wir symbolisierten zu dieser Zeit die jungen Wilden, die bereit waren, etwas zu verändern", erinnert er sich. Die Küchenrevoluzzer, dazu zählte auch ein Michael Hoffmann oder ein Billy Wagner, setzten sich durch und etablierten eine, wie Müller es nennt, neue Berliner Idee. Müller hat sich damit inzwischen drei Michelin-Sterne erkocht – als einziger in ganz Berlin.

Müller ist ein Freigeist, einer, der gegen den Strich denkt. Das war schon immer so, kostete ihn einst in der DDR gar das Abitur. Seine Ansichten seien zu modern gewesen, sagt er, und naja, die Zensuren auch zu schlecht. Künstler wollte er werden, wurde aber Koch – und wäre die Wende nicht gekommen, er wäre es wohl nicht lange geblieben. Denn im Osten konnte man sich nicht aussuchen, wo man kocht, was man kocht und Müller, der wurde in eine Großkantine gesteckt, was dem aufwieglerischen Jungspund nicht schmeckte. Er ging auf die Barrikaden, bis er gehen durfte. Dann kam Berlin, der Mauerfall und die Sterneküche.

Vorreiter für regionale Sterneküche

Zum ersten Mal hatte er damals das Gefühl, einen Platz gefunden zu haben, wo er hingehörte. Dort fand er Menschen, die nicht nur zur Nahrungsversorgung kochten, sondern aus Leidenschaft. "Mit der Sterne-Gastronomie tat sich mir eine völlig neue Welt auf", sagt er. Im Restaurant "Grand Slam" begann Müllers Karriere auf Sterne-Niveau, das war 1996. Es sei eine Zeit gewesen, die ihn geprägt habe. Die Küche sei unglaublich kreativ gewesen. Es gebe viele Leute, die handwerklich perfekt sind, aber denen einfach die Idee fehlt, so Müller. Man könne bei ihnen herausragend essen. "Aber ich liebe es, in ein Restaurant zu kommen und etwas Einmaliges zu erleben: Dass da etwas geschaffen wurde, mit Produkten oder mit einer in sich schlüssigen Idee, die auch dieses Terroir hat."

Marco Müller hat im "Schlosshotel im Grunewald" gekocht, im Kempinski Hotel Bristol, im "Intercontinental", im "Alten Zollhaus" in Berlin, im "Schlosshotel Bühlerhöhe" im Schwarzwald, im "Harlekin" in Berlin und im "Windspiel" im Schloss Hubertushöhe Storkow. Mit 34 Jahren endeten die müllerschen Wanderjahre in der Hauptstadt. Im "Rutz" fand er 2004 einen Schaffensort, dem er bis heute treu blieb. 2007 holte er dort seinen ersten, 2017 den zweiten und 2020 den dritten Michelin-Stern. Obendrauf gab's den Grünen Stern für Nachhaltigkeit. "Damit haben wir von Michelin alles geholt, was geht", so der Spitzenkoch. Und das, obwohl oder gerade weil Müller nicht nach dem Regelwerk der traditionellen Sterneküche spielt. 

Garum Tomate Kalbskopf à la Marco Müller
Wer sich einmal an einem Gericht von Marco Müller probieren möchte, findet das Rezept für "Garum Tomate Kalbskopf" (Bild) in dem Porträt-Sammelband "Drei Sterne: Mehr geht nicht" von Isolde Heinz und Gunnar Meinhardt,
© Ricarda Spiegel

"Wir wollten etwas verändern"

"Wir wollten nicht gefallen oder funktionieren, sondern etwas Neues kreieren, etwas verändern", sagt er. Um seine Handschrift in der Küche zu finden, musste der Koch erst einmal alles vergessen, was er zuvor gelernt hatte. Bewertungskriterien strich er aus seinem Kopf. Im "Rutz" werden keine Tischdecken aufgelegt und auch kein Silberbesteck und auf Hauptprodukte, die zum Kanon der Sterneküche gehören, wird gepfiffen. Das Regionale rückt in den Vordergrund. Was derzeit hochmodern ist, hat Müller längst kultiviert. Seit Jahren streift er durch den Wald, guckt dahin, wo sonst kaum einer hinguckt, um immer neue Produkte zu finden. Blüten. Blätter. Beeren. "Mittlerweile habe ich mich durch den ganzen Wald gegessen, immer mit dem Handy bewaffnet, damit ich auch weiß, was ich in den Mund stecke", erzählt er. Er experimentiert gern. Die Küche, die sei sein Spielplatz, dort tobe er sich aus. "Und es befriedigt meine Neugier, mir Aufgaben zu stellen, für die mir andere Leute mitunter einen Vogel zeigen."

Unkonventionell, ein bisschen radikal, hochklassig. Einst wurde Müller für seine kulinarischen Ansichten und Herangehensweisen belächelt, heute ist er Vorbild. Mit seinen drei Sternen gehört er zu Deutschlands besten Köchen und er hat noch viel vor. Vor allem in der Zusammenarbeit mit Landwirten, Bauern, Produzenten, da seien sie noch lange nicht am Ziel, sagt er. "Von dem, was möglich ist, haben wir gerade erst die Schale aufgekratzt."

Mehr zu Marco Müllers und den weiteren Drei-Sterne-Köchen, dazu wie sie ticken und was sie antreibt, haben Isolde Heinz und Gunnar Meinhardt in der Porträt-Sammlung "Drei Sterne: Mehr geht nicht" aufgeschrieben. Die Zitate sind dem Buch entnommen.

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