Er arbeitet unter dem Deckmantel der Anonymität, ist ein Geheimniskrämer: der Guide Michelin. Der Restaurantführer ist seit fast einem Jahrhundert Hoherichter darüber, wo es schmeckt und wo nicht. Doch was ihn einst groß machte, beschert ihm zunehmend Probleme. Der Gegenwind revoltierender Küchenchefs wird lauter. Das Konzept des Restaurantführers sei nicht mehr zeitgemäß, müsse angepasst werden. 2020 dann der Paukenschlag. Der Guide Michelin wagte den Schritt voran und führte "Das Grüne Blatt" ein. Eine Auszeichnung für besonders nachhaltig arbeitende Restaurants. Mit Handkuss wurde diese Auszeichnung von den Gastronomen aber nicht angenommen – nicht einmal von den ausgezeichneten. Schnell machte die Unterstellung die Runde, dass der Restaurantführer mit dem Grünen Stern lediglich Greenwashing betreibe, dieses als Feigenblatt verwende, um seine undurchsichtigen Test-Machenschaften zu überdecken.
In diesem Jahr wurde der Grüne Stern zum dritten Mal vergeben. Gewürdigt wurden laut Guide Michelin Restaurants, die sich durch konkrete Maßnahmen, wie die "Verwendung regionaler und saisonaler Produkte, der Berücksichtigung biologisch-ökologischer Aspekte, der Vermeidung langer Transportwege, artgerechter Tierhaltung, Energieeinsparung und Müllvermeidung sowie der Sensibilisierung bzw. Schulung der Mitarbeiter zum Thema Nachhaltigkeit", besonders hervorgetan haben. Insgesamt 61 Restaurants, dürfen sich inzwischen die Plakette an die Tür hängen. Aber was ist diese überhaupt wert?
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Der Guide Michelin ist vieles, unfehlbar ist er nicht
Direkt im Premierenjahr des neuen Sterns, hagelte es Kritik. Woher der Guide Michelin den eigentlich wissen wolle, wie nachhaltig wirklich in seinem Berliner gearbeitet werde, kritisierte damals Billy Wagner, dessen "Nobelhart & Schmutzig" mit einem eben solchen Nachhaltigkeitsstern ausgezeichnet worden war. Er fragte: "Kann es nicht sein, dass ich Großmaul einfach nur erzähle, wie toll nachhaltig wir doch sind? Habt ihr es denn nachgeprüft? Belohnt ihr uns nicht vielleicht einfach für grünes Marketing?"
Wagner legte damals den Finger in eine Wunde, die sich schon längst entzündet hatte. Er war nicht der erste Starkoch, der gegen die mit Intransparenz verkrusteten Strukturen des Guides Michelins aufbegehrte. Auch anderen war es längst ein Dorn im Auge geworden, dass sich der Restaurantführer partout nicht in die Karten schauen lässt. Einer der größten Kritiker ist sicher der Koreaner Ei Yungwo. Er hatte 2019 explizit darum gebeten, nicht gelistet zu werden. Der Wunsch wurde ihm verwehrt. "Ich habe eine Klage gegen das Verhalten des Michelin Guides eingelegt, Restaurants gegen deren Willen und ohne klar definierte Kriterien zu listen", sagte er. Und: "Mein Restaurant Eo in ihrem korrupten Buch zu listen, ist eine Beleidigung."
Der Guide Michelin ist vieles, unfehlbar ist er nicht. Einige Konstanten, die der Restaurantführer seit Jahrzehnten stur mit sich schleift, werden zurecht immer wieder kritisiert. Doch mit dem Grünen Stern hat der Restaurantführer die Tür einen Spalt weit geöffnet. Mit der neuen Kategorie zollt der Restaurantführer der Tatsache Tribut, dass es in der Welt der Kulinarik schon lange nicht mehr nur um Schmecken und Nicht-Schmecken geht. Und er nutzt die Schlagkraft, die er nach wie vor hat, um diese Entwicklung nicht nur zu unterstützen, sondern voranzutreiben.
Pioniere der nachhaltigen Küche
Zwei, die bereits zum dritten Mal mit dem Nachhaltigkeitsstern ausgezeichnet wurden, sind Sebastian Junge vom Restaurant "Wolfs Junge" in Hamburg und Marcello Gallotti vom Restaurant "erasmus" in Karlsruhe. Die beiden zählen sich zur Speerspitze in Sachen Produktbewusstsein in der deutschen Gastronomie – und zwar nicht erst, seit es den Grünen Stern gibt. Ihre Restaurants gehören zu den wenigen, die zudem auch noch bio-zertifiziert sind. Mit der Kochvereinigung BIOSpitzenküche setzen sie sich für ökologische und fair erzeugte Lebensmittel ein.

Auch die beiden sind nicht hundertprozentig mit der intransparenten Arbeitsweise des Restaurantführers einverstanden, mit dem Grünen Stern an sich aber schon. "Es ist kein perfektes System, aber ich bin sehr dankbar", so Gallotti. Er setzte bereits auf Nachhaltigkeit, als das noch nicht hip, geschweige denn Teil des Mainstreams war. Als er angefangen habe, erzählt er, habe man ihn wie einen Außerirdischen behandelt. Sein Restaurant ist schon seit 2006 bio-zertifiziert, inzwischen als solches etabliert. Und dennoch habe die Auszeichnung mit dem Grünen Stern einen enormen Unterschied gemacht. Sein Umsatz sei um 30 Prozent gestiegen.
Eine Auszeichnung des Guide Michelin ist nicht nur Ausdruck von Anerkennung und Wertschätzung der gastronomischen Arbeit. Sie hat Signalwirkung. "Der Grüne Stern ist ein toller Anreiz", so Junge. Durch das Mehr an Aufmerksamkeit für nachhaltige Küche, wächst auch deren Attraktivität. Für die Gastronomen selbst, aber auch für die Gäste. Eine Win-Win-Situation.
Quelle: Guide Michelin 1, Guide Michelin 2, BIOSpitzenköche