Restaurant Oukan Veganer Küchenchef Timur Yilmaz: "Alle haben gesagt, ich soll den Job nicht machen"

Timur Yilmaz kocht im gehobenen, veganen Restaurant "Oukan" in Berlin
Timur Yilmaz kocht im gehobenen, veganen Restaurant "Oukan" in Berlin
© Jozefien van der Aelst
Timur Yilmaz hat in den besten Restaurants dieser Welt gearbeitet. Jetzt mischt er die Berliner Gastroszene mit einer gehobenen, veganen Küche auf. Ein Gespräch darüber, was ihn an der rein pflanzlichen Küche fasziniert – und warum er nichtsdestotrotz gern Gyros im Pitabrot isst.

Nur wer weiß, wo er hin möchte, findet die rote Tür in einem Hinterhof im trubeligen Bezirk Mitte. Hier, wo die Gastroszene bebt, wo sich hippe Cafés und Szenerestaurants aneinander reihen, hat sich ein Ort der Ruhe etabliert. Das Restaurant Oukan fasziniert die Hauptstädter und deren Gäste mit einer gehobenen, veganen Küche. Das Vorbild ist Japan, sowohl in der Gestaltung des Restaurants als auch bei den Handgriffen in der Küche. Küchenchef Timur Yilmaz hat weltweit in den Küchen der Sternegastronomie gekocht. Darunter befinden sich berühmte Namen wie das Restaurant Pujol in Mexiko-Stadt (Platz 9 der 50 besten Restaurants der Welt), das Restaurant Frantzén in Stockholm (drei Michelin-Sterne) oder das Restaurant Coda in Berlin (zwei Michelin-Sterne). Im Oukan konzentriert sich Yilmaz auf die Qualität der Zutaten – und auf sein Fermentations-Labor, das sich unter dem Restaurant befindet. Dort vergärt er mit seinem Kollegen Paul Kaufmann, der im berühmten Noma als Fermentierer gearbeitet hat, Sojabohnen zur Sojasauce oder Misopaste und setzt Essige an. Sie wollen ihren Gästen zeigen, welche Geschmacksintensität man auch ohne tierische Produkte erreichen kann. 

Herr Yilmaz, Sie sind in Belgien geboren, haben deutsch-türkische Wurzeln. Ein Teil Ihrer Familie lebt in Italien. Sie sind seit Juni 2023 Küchenchef in einem veganen Restaurant, das sich an der japanischen Küche inspiriert. Wie passt all das zusammen?
Es ist eine Bereicherung! Am Ende des Tages vereine ich die Einflüsse meiner Kindheit und den Orten, an denen ich gearbeitet habe, mit neuen Zutaten und neuen Techniken. 

Ihre Küche im Oukan ist rein pflanzenbasiert. Das heißt, Sie verwenden keine tierischen Produkte. Schränkt Sie das nicht ein?
Im Gegenteil. Auf der einen Seite bin ich beschränkt, was die Verwendung der Zutaten angeht. Nehmen wir das Beispiel Lauch: Der hätte mich früher nicht interessiert, aber heute überlege ich lange, was ich mit ihm alles in der Küche anstellen kann, außer anbraten oder blanchieren. Am Ende ist es sogar sehr bereichernd, nur pflanzenbasiert zu kochen – es fordert meine Kreativität und regt neue Denkprozesse und Ideen an. 

Sie haben vorher nie vegan gekocht, wurde Ihnen von dem Job im "Oukan" abgeraten?
Die Köche, mit denen ich vorher zusammengearbeitet habe, haben mir alle gesagt, ich soll den Job nicht machen. Vegane Küche sei zu einschränkend. Aber meine Freunde, die Musiker und Künstler sind, haben es aus einer anderen Perspektive – einer kreativen betrachtet. Sie sagten mir, dass es großartig sei, sich selbst einzuschränken, um neue Perspektiven zu entwickeln. Es ist eine größere Herausforderung, weil ich nicht einfach ein Kochbuch aufschlagen oder Rezepte im Internet finden kann. Ich muss alles neu entdecken.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Vor einigen Jahren war ich in Neapel und aß rohen Tintenfisch, der in feine Streifen geschnitten war und mit dehydrierter Tinte bestäubt wurde. Im Geiste eines Nudelgerichts. Irgendwann hatte ich diese Tintenfisch-Nudeln wieder im Kopf und wollte sie nachbauen. Also schnitt ich Kräuterseitlinge in feine Streifen und fermentierte diese zwischen Kombu-Algen, um einen fischigen Geschmack zu erhalten. Der Pilz hat Salz freigesetzt, das richtig nach Meer schmeckte. Dazu gab's eine einfache Sauce und 'Parmesan des armen Mannes" darüber, also geriebene Semmelbrösel aus einem Brioche-Brötchen, das wir mit selbst hergestelltem Koji vermengten (Anm. d. Red.: Koji ist eine Pilzkultur, die u.a. eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Sojasaucen oder Misopasten spielt). Dazu noch etwas schwarzes Limettenpulver für die Säure. Und fertig war eins unserer liebsten Gerichte: Kombujime Eringi, Kräuterseitlinge mit einem Habanero-Koji-Crumble.

Kombujime Eringi, Kräuterseitlinge mit einem Habanero-Koji-Crumble
Kombujime Eringi, Kräuterseitlinge mit einem Habanero-Koji-Crumble
© Jozefien van der Aelst

Das klingt komplex. 
Es ist wirklich schön, an diesen Punkt zu kommen. Ich glaube nicht, dass ich so ein Gericht ohne die vermeintlich einschränkende Kreativität auf den Teller gebracht hätte. 

Wie häufig spielen Zweifel in der Kreation solcher Gerichte mit rein?
Ständig! Ich bin immer skeptisch, was meine Kochkünste angeht, ich denke immer, dass etwas fehlt. Aber ich serviere so etwas dann Freunden und meinen Kollegen und wir probieren die Gerichte gemeinsam mit dem Sommelier und überlegen, welcher Wein oder welcher Tee dazu passen könnte. 

Sie haben in den Top-Restaurants dieser Welt gearbeitet, beispielsweise im Drei-Sterne-Restaurant Frantzén in Stockholm und im Zwei-Sterne-Restaurant Coda in Berlin. Wie haben diese Restaurants Sie beeinflusst?
Sie haben mir vor allem Organisation beigebracht. High-End-Restaurants wie das Frantzén funktionieren wie ein sehr gut organisierter Organismus. Im Coda habe ich Konsistenz, Perfektion und Präzision gelernt. Meine Gerichte im Oukan sind sehr minimalistisch, fast schon nüchtern. Es geht bei mir mehr um die Technik – und wie man das Beste aus dem Produkt herausholen kann. Ich brauche keine Millionen Komponenten, keine winzig-kleinen Kräuter oder Gel-Pünktchen. All das lenkt nur davon ab, zu vertuschen, dass man nicht weiß, wie man mit einem guten Produkt umgeht und arbeitet.

Fermentation ist ein zentrales Element in Ihrer Küche: Sojasaucen, Misopasten, eingelegtes Gemüse. Wie verwenden Sie diese Produkte auf Ihren Tellern?
Wir sind sehr puristisch unterwegs und machen den Teller jetzt nicht mit eingelegtem Gemüse oder Pickles voll. Wir konzentrieren uns auf einzelne Komponenten, die zum Gericht dazukommen. Sojasaucen beispielsweise oder eigene Essige und Misopasten. Es sind Hilfsmittel in unserer Küche, die in der Aromatik einen Unterschied machen. Im Gegensatz zu dem Zeug, das man im Supermarkt kaufen kann.

Ihr Konzept heißt japanisch inspiriert. Haben Sie je Berührungspunkte mit der japanischen Küche gehabt?
Es geht weniger darum, dass unsere Küche japanisch ist, sondern um Kochtechniken, die definitiv von der japanischen Küche beeinflusst sind. Manchmal haben wir japanische Produkte, auf die wir europäische Techniken anwenden – und manchmal verarbeiten wir deutsche Produkte auf japanische Art.

Auch das Interieur im Restaurant "Oukan" ist japanisch inspiriert
Auch das Interieur im Restaurant "Oukan" ist japanisch inspiriert
© Nils Hasenau

Sie haben ein Fermentationslabor im Keller unter Ihrem Restaurant. Ich denke sofort an Weißkohl, der zu Sauerkraut vergoren wird. Wie riecht es da unten?
Gerade riecht es da unten herrlich (lacht), weil wir jede Menge Koji fermentieren. Der hat einen süßlichen, malzigen Geruch. Wenn Paul Essige ansetzt, dann riecht es schonmal strenger. Manche Prozesse sind kurz, manche dauern länger. Wir haben ein paar Chargen Miso gemacht, die in zwei Jahren fertig sind.

Ihre Küche hat Einflüsse aus der ganzen Welt. Wonach schmeckt Ihre Kindheit?
Grillen. Mein Vater hat einen türkischen Hintergrund, deshalb wurde immer viel gegrillt. Mein Großvater hat immer gebacken, er ist Deutscher, dann gab's viel Brot und Kekse. Die Familie meiner Mutter hat Wurzeln in Italien, also wurde viel Pasta serviert.

Hatten Sie ein Lieblingsnudelgericht?
Ja, mit fünf Jahren wurde ich von meiner Lehrerin gefragt, was mein Lieblingsgericht sei. Alle Kinder antworteten Lasagne, Hamburger oder Pizza - und ich sagte Spaghetti alle vongole, also mit Venusmuscheln. Das war schon sehr speziell. (lacht)

Was essen Sie nach einem langen Arbeitstag: Kochen Sie noch zuhause?
Auf keinen Fall. Ich esse nur, was direkt aus der Tüte oder aus dem Glas gegessen werden kann, zum Beispiel Kimchi.

Haben Sie ein Laster?
Gyros im Pitabrot mit Pommes frites.

Als veganer Koch?
Ich habe ja nie gesagt, dass ich Veganer wäre... aber hauptsächlich ernähre ich mich vegan.

Was schmeckt Ihnen besser: türkische Mantı oder italienische Tortellini?
Sorry, Dad. Tortellini auf jeden Fall.

Ihr eigenes Restaurant – wie würde es aussehen? 
Eine Theke mit 12 bis 18 Plätzen, die Gerichte würde ich über offenem Feuer zubereiten und sie direkt den Gäste servieren. Ich würde mich nicht allzu ernst nehmen, gute Musik spielen und einfach dafür sorgen, dass meine Gäste eine gute Zeit haben.

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