Vor dem nächsten Kriegswinter Rheinland-Pfalz und Ukraine: Partner im Schatten des Krieges

Russland führt Krieg mit Drohnen und Daten – Rheinland-Pfalz antwortet mit Solidarität und Integration. (Archivbild) Foto: Andre
Russland führt Krieg mit Drohnen und Daten – Rheinland-Pfalz antwortet mit Solidarität und Integration. (Archivbild) Foto
© Andreas Arnold/dpa
Vom Westerwald bis zur Südpfalz sind die Folgen des Konflikts sichtbar – in Schulen, in Betrieben, auf Truppenübungsplätzen. Wie der Waffengang zwei Flugstunden entfernt das Bundesland verändert.

Begleitet von Raketeneinschlägen in Wohnhäusern und Luftangriffen auf die Energieversorgung geht die Ukraine in einen weiteren Kriegswinter nach dem russischen Überfall vom 24. Februar 2022. Unterdessen ist in Rheinland-Pfalz das, was einst als Ausnahme galt, längst Alltag. Ukrainische Kinder sitzen auf Schulbänken, Erwachsene arbeiten in Betrieben - und über allem liegt die Gegenwart eines Krieges, der nicht zu enden scheint.

Internationale Krisenwirkung

"Der russische Angriffskrieg bedroht nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere Freiheit und Demokratie in Europa", betont Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD). "Umso wichtiger ist es, dass wir solidarisch bleiben – politisch, menschlich und gesellschaftlich." Was heißt das in konkreten Zahlen?

Mehr als 56.000 Menschen "mit Ukraine-Bezug" leben inzwischen dem Integrationsministerium in Mainz zufolge im Bundesland. Die meisten sind Frauen, rund 32.200, dazu 16.100 Minderjährige. Sie leben in Wohnungen, in Gemeinden, in Alltagssituationen. Anfang 2024 waren es 46.700.

Die Integration spielt sich wohl vor allem in Schulen und Kitas ab. Seit dem Kriegsausbruch sind mehr als 10.500 Schülerinnen und Schüler (Stand: 27. Oktober 2025) aus der Ukraine an rheinland-pfälzischen Schulen aufgenommen worden, wie das Bildungsministerium berichtet. Dazu kommen derzeit mehr als 1.200 Kinder in Kitas (Stand: 30. September 2025). Integration, das heißt vermutlich hier: Lernen, auch wenn man vielleicht innerlich noch flieht.

Lernen trotz Flucht

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Auf dem Arbeitsmarkt waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland, im August 15.800 Menschen mit ukrainischem Pass beschäftigt, 13.200 davon sozialversicherungspflichtig. Die meisten arbeiten in der Industrie, im Handel, im Baugewerbe und im Gastgewerbe. Es sind Kräfte, die Rheinland-Pfalz dringend braucht. Kommunen berichten von einer spürbaren Entlastung, aber auch von Erschöpfung: nach über drei Jahren Engagement, Sprachkursen, Formularen.

Im Hintergrund steht die sicherheitspolitische Realität. Das Bundeswehrkrankenhaus Koblenz kann Verwundete aufnehmen, und auf dem Truppenübungsplatz Baumholder bei Idar-Oberstein trainieren ukrainische Soldaten an der Bundeswehr-Artillerieschule. Erst kürzlich traf Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) dort ihren ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefantschuk.

"Diese Ausbildung in Deutschland rettet Leben in der Ukraine", betont Klöckner. "Sie ist ein Beitrag dazu, dass sich das Land gegen den barbarischen russischen Angriffskrieg verteidigen kann." Idar-Oberstein und Koblenz, auch Ramstein: Es sind Orte, an denen der Krieg nicht nur Thema, sondern Arbeit ist - und die zugleich das friedliche Leben drumherum kontrastieren.

Russlands Krieg erreicht Rheinland-Pfalz auch digital

Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers David Sirakov bleibt die Unterstützung des ukrainischen Abwehrkampfs durch die Bundesregierung und das Land Rheinland-Pfalz nicht folgenlos. "Dies macht Deutschland und damit auch Rheinland-Pfalz zu einem Ziel versuchter Spionage, politischer Einflussnahme sowie hybrider Kriegsführung durch Russland", sagt der Experte für US-Innen- und Außenpolitik der Deutschen Presse-Agentur.

Sirakov verweist darauf, dass es "zu vermehrten illegalen Drohnenüberflügen gekommen" sei - nicht nur über deutschen und amerikanischen Militäranlagen, sondern auch über Chemiefirmen und Rüstungsbetrieben. "Diese Aktivitäten sind Teil des breiten Repertoires russischer Hybridkriegführung."

Auch im digitalen Raum nehme der Druck zu. "Cyberangriffe, die auf russische Hackergruppen zurückzuführen sind, treten immer häufiger auf", sagt Sirakov. Erst im Juli habe es Attacken auf die Internetseiten deutscher Städte gegeben, "darunter Trier".

Von einer direkten militärischen Bedrohung geht Sirakov nicht aus. "Von einem konventionellen Angriffsziel würde ich zurzeit nicht sprechen." Ein solcher Angriff würde einen direkten Schlag Russlands gegen Nato-Gebiet bedeuten - "mit all den Konsequenzen einer Reaktion des Verteidigungsbündnisses". Das sei "aus jetziger Sicht zumindest keine akute Bedrohung".

Solidarität im Dauerzustand

Trotz der Belastung scheint das gesellschaftliche Klima insgesamt stabil zu bleiben. Die Polizei erfasste zwischen März 2024 und Juni 2025 dem Innenministerium zufolge etwa 64 Straftaten mit Ukraine-Bezug, oft Volksverhetzung oder etwa Sachbeschädigung und Beleidigung. Insgesamt wurden seit Kriegsbeginn 326 Fälle gezählt. 

In vielen Gemeinden gilt der ferne Krieg mittlerweile als Teil einer neuen Normalität. Und Rheinland-Pfalz baut seine Unterstützung aus: Das Bundesland ist dabei, eine Regionalpartnerschaft mit der Oblast Winnyzja zu gründen. Ziel ist der Landesregierung zufolge ein lebendiger Austausch zwischen Menschen, Verwaltungen, Schulen und Unternehmen.

Hinter den nüchternen Zahlen, hinter Verwaltungsakten und Integrationsquoten, steht eine Botschaft: dass Alltag möglich bleibt. Selbst im Schatten eines mörderischen Krieges nur zwei Flugstunden entfernt.

dpa