Epidemie SARS beutelt fast ganz Asien

SARS und die Folgen: Sollte die Krankheit nicht eingedämmt werden, droht der gesamten Region eine schlimme Wirtschaftskrise. Schon jetzt bleiben die Touristen weg.

Mancher fühlte sich an die Sprache des Irak-Kriegs erinnert, als Singapurs Regierungschef Goh Chok Tong über Ostern den Ernst der Lage beschrieb. Mit einem "Schlachtplan" wolle man die Lungenkrankheit SARS besiegen, gab der Ministerpräsident zu Protokoll. Und gekämpft werde an den "Frontlinien" der Grenzübergänge, Kliniken und Quarantänestationen. Zwar sind 16 Todesfälle und knapp 180 SARS-Erkrankungen verglichen mit Hongkong noch gering. Die Offiziellen sehen aber schwarze Wolken am Horizont: Sollte die Krankheit nicht eingedämmt werden, drohe dem Stadtstaat die schlimmste Krise seit seiner Gründung 1965, warnte Goh. "Wir haben mit einem unsichtbaren Feind zu tun, der niemals schläft."

2.500 Menschen in Hausquarantäne

Als wollte das Schicksal die Worte des Premiers unterstreichen, brach fast zeitgleich eine neue Hiobsbotschaft über die reiche Tropeninsel und seine rund vier Millionen Einwohner herein: Rund 2.500 Menschen müssen in Hausquarantäne, weil sie in einem Gemüsegroßmarkt arbeiteten, unter dessen Beschäftigten es drei SARS-Fälle gibt. 70 Prozent des Gemüsekonsums der "Löwenstadt" deckt normalweise der "Pasir Panjang"-Markt. Jetzt ist er bis auf weiteres geschlossen. Gemüseverkäufer melden erste Panikkäufe.

Bittere Wirtschaftsfolgen

Selbst wenn der Mundschutz in Singapurs Straßenbild noch die absolute Ausnahme ist - die SARS-Krise scheint immer stärker an den Nerven zu zerren. Reinigungsunternehmen berichteten der Zeitung "Streats", praktisch jeder Kunde wolle inzwischen nicht nur Putz-, sondern nun auch Desinfektionsdienste. Einzelhändler klagen über eine Halbierung ihres Geschäfts, weil die Singapurer auf eine ihrer liebsten Beschäftigungen, das Einkaufen, verzichten. Auch an den Passkontrollen am Changi International Airport steht nur noch die Hälfte der üblichen Zahl Reisender an. Die Hotelauslastung pendelt um magere 30 Prozent. Mit einem millionenschweren Hilfspaket will die Regierung der Tourismusindustrie jetzt zu Seite springen.

Wachstumswerte gesenkt

Als wäre die Lage für den einstigen Wirtschaftswunderknaben am Äquator nicht schon düster genug: Nur um ein Haar entkam Singapur 2002 wegen der schlaffen Weltkonjunktur dem zweiten Rezessionsjahr in Folge. Schon blitzte für dieses Jahr ein Silberschweif am Horizont, dann kam SARS. Erst überholten die Banker ihre Prognosen, jetzt auch die Regierung: Statt von einer Wachstumserwartungen zwischen 2 und 5 Prozent wird offiziell nur noch von 0,5 bis 2 Prozent ausgegangen. "Es wird schlimm werden", meinte unlängst Premier Goh.

Auch Malaysia betroofen

Im unscharfen Blick der westlichen Welt werden Länder in der Umgebung gleichgestellt: Obwohl das benachbarte Malaysia erst einen einzigen SARS-Toten zu beklagen hat, bleiben auch dort die Touristen weg. Nur noch jedes dritte Hotelbett ist belegt. Schon drohen Malaysias Reisebranche Entlassungen auf breiter Front. Die Angst vor der mysteriösen Krankheit treibt derweil rund um das Südchinesische Meer manchmal kurios anmutende Blüten - wie auf den Philippinen. Dort verhängten die Behörden für alle Aufzüge des internationalen Flughafens von Manila ein Lach- und Sprechverbot, um die Gefahr von Ansteckungen so gering wie möglich zu halten.

Weitere SARS-Tote in Hongkong

In der Millionenstadt Hongkong sind sechs weitere Menschen an der weltweit verbreiteten Lungenkrankheit gestorben. Mit den neuen Todesfällen in Hongkong erhöhte sich die Zahl der SARS-Todesopfer dort auf 94. Zudem seien zu den bislang knapp 1.400 SARS-Infizierten in Hongkong über Nacht 22 Fälle dazugekommen, teilte die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone mit. Die Stadt grenzt an die südchinesische Provinz Guangdong, wo der Ursprung des Schweren Akuten Atemwegssyndroms (SARS) vermutet wird. Weltweit sind bereits mehr als 200 Menschen daran gestorben, rund 3.900 haben sich angesteckt.

Chinas Medien üben Kritik

Chinas staatliche Medien übten am Montag ungewöhnlich scharfe Kritik an dem nach ihrer Ansicht zu zögerlichen Umgang der Verantwortlichen mit SARS. In Regierungskreisen hieß es: "Die Situation in Peking ist völlig außer Kontrolle geraten." "Das Verheimlichen macht mehr Angst als die Epidemie", kritisierte die Tageszeitung "Star Peking". Damit griff sie Vorwürfe an die Regierung des Landes auf, sie habe wieder einmal Fakten verheimlicht. Einen vergleichbaren Schaden hat das internationale Ansehen Chinas zuletzt durch das Massaker an protestierenden Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 erlitten.

Immer mehr Verdachtsfälle bestätigt

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht allein in der chinesischen Hauptstadt Peking derzeit von mehr als 500 Infizierten aus. Das chinesische Gesundheitsministerium hat die Zahl der Infizierten in Peking am Vortag auf 339 von 31 erhöht. Ein WHO-Vertreter sagte, es sei damit zu rechnen, dass sich in ungefähr der Hälfte weiterer 402 Verdachtsfälle in der Stadt die Krankheit bestätige. Im ganzen Land sind nach Ministeriumsangaben mindestens 1.807 Menschen mit SARS infiziert.

Öffentliches Leben steht still

Die Angst vor einer Ansteckung beeinträchtigt inzwischen das gesamte öffentliche Leben des Landes. Die Chinesen sagen Reisen ab, Einkaufszentren und Märkte sind menschenleer und in den Restaurants warten die Kellner vergeblich auf Gäste. "Am besten bleibt man zuhause", sagt die 24-jährige Qu Xieli. Der 27-jährige Buchhalter Wang Haibo will seinen Chef um einen Monat unbezahlten Urlaub bitten: "Was nutzt ein Monatsgehalt, wenn mein Leben gefährdet ist?"

Chinas Wirtschaftswachstum leidet erheblich

Die Einschnitte gefährden Experten zufolge das schnelle Wirtschaftswachstum, für das China in der Region beneidet wird. Analysten rechnen nicht mehr damit, dass das Land im zweiten Quartal die Wachstumsrate von 9,9 Prozent aus den ersten drei Monaten wiederholen kann. Sollten sich ausländische Investoren wegen SARS und des zögerlichen Umgangs damit zurückhalten, erwarten Analysten auch langfristige Folgen. "Das sind Einflüsse, deren Ausmaß erst später festzustellen sind", sagte Yiping Huang von Salomon Smith Barney in Hongkong.

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