Die Künstler, die Gastronomen und die Hoteliers leiden unter dem Lockdown, alle Soloselbstständigen sowieso – nur ein Problem wird meist totgeschwiegen: Corona gilt zwar als Erkrankung der Atemwege, aber neben der Lunge dürfte vor allem die Leber unter der Pandemie leiden. In Lockdownzeiten gehen die Menschen zwar weniger aus, aber das wird durch den Konsum daheim mehr als ausgeglichen. Vor allem dann, wenn es keine soziale Kontrolle in der Wohnung gibt und man dank Homeoffice nicht verkatert im Büro erscheinen muss. Ein langfristiger Trend verstärkt sich durch Corona noch: Der Alkoholkonsum in Kneipen und Bars stagniert, in vielen Ländern geht er sogar zurück, der Konsum im privaten Rahmen nimmt dagegen zu. In Großbritannien gab die Hälfte (48 Prozent) der im Rahmen des Global Drug Survey Befragten 2020 an, mehr Alkohol zu trinken als vor dem Ausbruch des Coronavirus. Die Trinksitten haben sich verschoben. Vom normalen Konsum einer Bürowoche hin zu dem Maß, wie es im All-inclusive-Urlaub üblich ist. Deutschland zählt ohnehin zur Weltspitze, was Alkoholkonsum angeht. Nach einer WHO-Studie von 2016 tranken die Russen 2016 nur 11,7 Liter Alkohol pro Kopf und Jahr. In Deutschland waren es den WHO-Daten zufolge 13,4 Liter. Schon in der ersten Coronawelle im Frühjahr hat der Kauf von Alkohol hierzulande deutlich angezogen.
Die Leber leidet still
Nach dem Sommer und lange schönem Herbst stehen nun gemütliche Rot- und Glühweinnächte bevor. Doch anders als viele glauben, schädigt schon regelmäßiger geringer Konsum die Leber, andere Organe werden teilweise von diesen Mengen nicht beeinträchtigt. David Nutt, Professor für Neuropsychopharmakologie aus London, sagte zum "Telegraph": "Ein einziger Drink kann die Leber schädigen. Das können wir am nächsten Tag feststellen, indem wir die Enzyme im Blut messen. Alles, was mehr als eine halbe Einheit Alkohol pro Tag enthält, führt im Laufe der Zeit zu einem gewissen Grad an klinischem Leberschaden. Eine Einheit pro Tag erhöht das Leberzirrhose-Risiko um ein Fünftel. Zwei Einheiten verdoppeln das Risiko."
Die Alkohol-Einheit wurde von der WHO definiert, um verschieden Drinks leicht zu vergleichen. Eine Einheit entspricht einem kleinen Glas Bier - 0,25 Liter mit 5 Prozent Alkohol – einem kleinen Glas Wein oder Champagner mit 12 Prozent und 0,1 Liter, oder einem Wodka mit 40 Prozent und 0,03 Liter. Das heißt, ein halber Liter Bier sind zwei Einheiten, eine halbe Flasche Wein bereits fast vier. Bleibt es aber nicht bei einem Abend mit einem Drink, sondern schließen sich weitere an, kann man das im Labor deutlich sehen. "Im Laufe einiger Wochen können Sie sehen, wie die Leber im Laufe des übermäßigen Konsums zu dem wird, was wir 'fettig' nennen - sowohl dank der Entzündungsschäden als auch dank der Kalorien im Alkohol. Das ebnet den Weg zur Leberzirrhose."
Mehr als nur Leberschäden
Etwa fünf Millionen Deutsche leiden an einer Lebererkrankung, bei steigender Tendenz. Das sind nur die erfassten Fälle. Experten gehen davon aus, dass ein Drittel der Bundesbürger über 40 Jahren an einer Fettleber erkrankt ist. Die Leber leidet "still", also schmerzlos. Daher werden Leberschäden lange nicht bemerkt. Allerdings ist nur bei einem Drittel Alkohol die dominante Ursache. Übergewicht, falsche Ernährung und Bewegungsmangel setzen der Leber auch zu. Doch auch Faktoren wie Bewegung werden durch Corona negativ beeinflusst. In Folge des Lockdowns und der weiteren Einschränkungen während Corona wird generell mit einem erhöhten Krebsrisiko gerechnet, insbesondere Brustkrebs bei Frauen und Darmkrebs bei Männern und Frauen.
Neurologen der University of Southern California, Los Angeles, haben die Gehirne von mehr als 11.500 älteren Verstorbenen untersucht. Sie entdeckten, dass Trinken altersbedingte Schäden beschleunigt, und dabei Gedächtnis und Intelligenz herabsetzen. Jede Einheit Alkohol, die gewohnheitsmäßig pro Tag konsumiert wird, lässt das Gehirn der Menschen im Durchschnitt um 58 Tage altern, berichteten die Forscher in "Scientific Reports".
Leber repariert sich
Starker Alkoholkonsum verwirrt zudem die elektrischen Signale, die den Herzrhythmus regulieren, fand man in Südkorea heraus. Bei dauerhaftem Trinken ist es wahrscheinlich, dass dieses Problem chronisch wird. Das Risiko eines unregelmäßigen Herzschlags, des sogenannten Vorhofflimmerns, steigt umso mehr, je öfter wir während der Woche trinken. Menschen, die täglich trinken, haben demnach ein 40 Prozent höheres Risiko, an Vorhofflimmern zu erkranken, als Menschen, die zweimal wöchentlich Alkohol trinken, warnten die Wissenschaftler in "EP Europace", einer Zeitschrift der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie. Als Erstes dürfte sich die Coronazeit bei Personen auffällig auswirken, die vorher schon stark getrunken haben. Doch auch die anderen Gruppen dürften durch den Mehrkonsum in der Gefährdungsskala nach oben rutschen, aber es wird lange dauern, bis sich dies in Krankenhausstatistiken niederschlägt.
Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Solange die Leber nicht irreparabel geschädigt wurde, erholt sie sich glücklicherweise relativ schnell. Eine Verringerung des Alkoholkonsums kann die Gesundheitsrisiken relativ schnell senken. 14 Einheiten pro Woche gelten als Höchstgrenze. Gerade beim Trinken daheim, ist Ehrlichkeit wichtig. Apps wie DrinkControl und andere helfen, den eigenen Konsum tatsächlich zu erfassen und gefährliche Trinkgewohnheiten aufzuspüren.