Die Enttäuschung war groß, als die Tübinger Biotechfirma Curevac am späten Mittwochabend erste Zwischenergebnisse ihres Corona-Impfstoffs vorstellte. Der eigene Kandidat CVnCoV hatte nur eine vorläufige Wirksamkeit von 47 Prozent gegen eine Covid-19-Erkrankung "jeglichen Schweregrades" erreicht. Daraufhin stürzte der Börsenwert des Unternehmens in den Keller.
Dabei war Curevac in der ersten Coronawelle im letzten Jahr noch einer der großen Hoffnungsträger. Der deutsche Staat beteiligte sich im Rahmen einer Finanzierungsrunde über die Förderbank KfW mit 300 Millionen Euro am Unternehmen – wohl auch deshalb, um Fremdzugriffe auf das Know-how zu verhindern. Medienberichten zufolge hatten die USA unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump zuvor versucht, sich exklusiv die Rechte an einem Impfstoff gegen das Coronavirus von Curevac zu sichern.
Curevac bleibt nach den enttäuschenden Studiendaten zu seinem Covid-19-Vakzin trotzdem optimistisch gestimmt. "Wir sehen keinen Grund, irgendetwas zu verlangsamen", sagte Konzernchef Franz-Werner Haas in einer Telefonkonferenz. Dies gelte sowohl mit Blick auf die laufende Forschung als auch für die Vorbereitungen zur Produktion eines potenziellen Impfstoffes von Curevac.
Zeitungen in Deutschland kommentieren den Absturz des Hoffnungsträgers. Die Presseschau.
"Curevac bestätigt auf bittere Weise, dass Impfstoffprojekte immer auch scheitern können"
"Hannoversche Allgemeine Zeitung": "Im Unterschied zu den bescheidenen Biontech-Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin hat man bei Curevac den Mund sehr voll genommen. Deshalb mischt sich in das allgemeine Bedauern über die hinter den Erwartungen zurückgebliebene Wirksamkeit des Impfstoffs hier und da auch eine Prise Häme - gerade mit Blick auf den Einstieg des Bundes. Letzteres könnte sich als verfrüht erweisen: Auch nach dem Absturz des Aktienkurses ist der staatliche Anteil, zumindest auf dem Papier, noch dreimal so viel wert wie die ursprüngliche Beteiligungssumme."
"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Dass eine Forschung scheitern kann, liegt in der Natur der Sache. Das ist nicht verwerflich. Fragen zur Beteiligung des Staates und den finanziellen Investitionen in das Unternehmen werden aber bereits gestellt. Auch hier muss für Aufklärung gesorgt werden. Zu allem Überfluss grassiert in Deutschland nun auch noch die gefährliche Delta-Variante des Coronavirus. Noch kann keiner genau sagen, welche Folgen das mittelfristig für den Verlauf der Pandemie haben wird. Klar ist nur eines: Pannen und Pech bleiben Spahns Wegbegleiter."
"Allgemeine Zeitung": "Curevac bestätigt auf bittere Weise, dass Impfstoffprojekte immer auch scheitern können. Und dass ein Erfolg wie der von Biontech kein Selbstläufer ist. Gerade in einem komplett neuen Forschungsfeld. Da kann man schon mal daneben liegen – mit dramatischen Folgen. So hat Curevac auf etwas gesetzt, das von vielen Experten zunächst als Vorteil gesehen wurde, sich aber letztlich als großer Nachteil erweist: Im Gegensatz zu Biontech und Moderna hat Curevac die für den Impfstoff zentrale mRNA (deutsch: Boten-RNS) nicht chemisch modifiziert, wodurch man nicht hoch genug dosieren konnte. Für die zweite Generation des Tübinger Impfstoffes, die für kommende Corona-Mutationen eingesetzt werden könnte, gibt es jedoch noch Hoffnung. Denn für diese hat der Hersteller das Vakzin grundlegend umgebaut."
"Mannheimer Morgen": "Curevac arbeitet an einem weiteren Kandidaten, einem der zweiten Generation, der auf die vielen Mutanten vorbereitet sein soll. Ein so medienwirksames Scheitern lässt allerdings das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Abgrund fallen. Doch das ist der falsche Weg. Denn an den Forscherinnen und Forschern des Unternehmens lag es nicht, dass das Vakzin den heutigen Standards nicht mehr genügt. Es waren vor allem Managementfehler."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Galten die Tübinger einst als großer Hoffnungsträger und sicherten sich gar eine 16-prozentige Beteiligung des Bundes, fielen sie im Rennen um die Zulassung erster Corona-Impfstoffe mit der Zeit immer weiter zurück - und jetzt entpuppt sich ihr Präparat gar als nicht wirksam genug. Selbst wenn sich die Wirksamkeit in weiteren Studien noch leicht bessern sollte, in der laufenden Impfkampagne wird Curevac wohl keine Rolle mehr spielen. Für das Unternehmen mutiert der Wirkstoff zum Flop. Die Aktie stürzte ab, binnen Minuten wurden rund acht Milliarden Euro Börsenwert vernichtet. Leidtragende sind wie so oft die Steuerzahler sowie Privatanleger. Das Risiko aber muss allen Beteiligten klar gewesen sein. Scheitern ist schließlich bei allen Impfstoffentwicklern eine realistische Option."
"Nordbayerischer Kurier": "Mit ihrer Hiobsbotschaft von einer vorläufigen Wirksamkeit ihres Vakzins von nur 47 Prozent hat das Unternehmen Millionen Menschen enttäuscht und an den Märkten Panik ausgelöst. Curevac muss jetzt schnell viel wiedergutmachen, will es bei Covid nicht gänzlich überflüssig werden."
"Reutlinger General-Anzeiger": "Der mangelnde Erfolg der jungen Firma aus der Unistadt unterstreicht das hohe Risiko in der Pharmabranche allgemein. Die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten ist anspruchsvoll, aufwendig, langwierig und führt oft eben nicht zum gewünschten Ergebnis. Trotzdem war und ist es gut, dass Investoren - und in diesem Fall auch der Staat - Kapital für solche Vorhaben bereitstellen. Vor dem Hintergrund der Pharma-Unwägbarkeiten erscheint der schnelle Erfolg der Mainzer Firma Biontech mit ihrem Corona-Vakzin nun umso strahlender. Der Tübinger Lokalstolz auf seine kommende Firma von Weltgeltung ist nun hingegen arg ramponiert."
"Stuttgarter Zeitung": "Der Rückschlag, den das bedeutet, geht aber weit über das Unternehmen hinaus: Die Welt kann jedes funktionierende Vakzin gebrauchen. Auch Curevac sollte man nicht abschreiben. Erste Ergebnisse zu einem für 2022 geplanten Corona-Impfstoff der zweiten Generation sind vielversprechend. Beim Kampf gegen Corona, das zeigt das Beispiel des Unternehmens, braucht es eben immer auch einen Plan B."
"Süddeutsche Zeitung": "Der einstige Hoffnungsträger Curevac erfüllt die Erwartungen an seinen Corona-Impfstoff zunächst nicht. In einer Zwischenauswertung betrug die Wirksamkeit des Vakzins lediglich 47 Prozent; es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sich die Ergebnisse noch massiv verbessern. (...) Auch wenn der spektakuläre Erfolg der ersten Corona-Impfstoffe einen anderen Eindruck erwecken mag: In der pharmazeutischen Forschung ist Scheitern eher die Regel als die Ausnahme. (...) Und was den Erkenntnisgewinn betrifft, können auch Misserfolge einen großen Wert haben. Das Tübinger Unternehmen sollte daher schnell all seine Daten offenlegen, damit Wissenschaftler Erkenntnisse für die Zukunft daraus ziehen können. Denn die Entwicklung von Impfstoffen gegen Coronaviren ist längst nicht abgeschlossen."
"Südwest Presse": "Das Management des Tübinger Unternehmens Curevac glänzte im vergangenen Jahr, so viel ist jetzt klar, vor allem durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Ihr Impfstoff galt 2020 für lange Zeit als größte Hoffnung im Kampf gegen Corona. Angeblich plante der damalige US-Präsident Donald Trump sogar eine Übernahme, um den Wirkstoff für die USA zu reservieren. Curevac mobilisierte Hilfsmittel des Bundes, die Staatsbank KfW stieg mit 23 Prozent ein. Nun ist klar: Die großen Hoffnungen werden sich nicht erfüllen."
"Volksstimme": "Für das Unternehmen Curevac ist das Zwischenergebnis zur Impfstoffwirksamkeit eine Katastrophe, nichts weniger. Das Tübinger Unternehmen hat den Wettlauf der Vakzine damit verloren, trotz aussichtsreichem Startplatz. Der Absturz der Aktie an der Börse ist die Konsequenz. Für die Impfkampagne der EU ist die Nachricht nur noch ein kleiner Rückschlag. Sie geht so langsam in den Endspurt. Dabei hätte das Serum von Curevac wohl ohnehin keinen großen Unterschied mehr gemacht. Wie es aber danach weitergeht, wann Auffrischungen nötig werden, welche Rolle die Pandemie überhaupt noch spielen wird im kommenden Jahr, das ist nicht klar. Schon oft wurde in den vergangenen knapp eineinhalb Jahren vorschnell ein Ende der Pandemie angekündigt. Deswegen ist es zu begrüßen, dass Curevac weiter an seinem Impfstoff arbeiten will. Durch Virus-Varianten droht eine fortwährende Dynamik des Infektionsgeschehens."