Vogelgrippe Einsatz ohne Schutzanzüge und Sturmboote

In Schleswig-Holstein setzt man auf eine andere Strategie gegen die Vogelgrippe als auf Rügen. Mit guter Vorbereitung und demonstrativer Gelassenheit wollen die Behörden die Bürger beruhigen - und die Touristen in der Urlaubsregion zum Bleiben überzeugen.

Lange bevor die Türme der Stadtkirche Neustadt in Sicht kommen, warnen Schilder vor der Vogelgrippe. "Sperrbezirk" steht seit Freitag unter dem Ortseingangsschild der 17.000-Einwohnerstadt an der Ostsee nördlich von Lübeck. Unmittelbar nachdem der erste Vogelgrippefall in Schleswig-Holstein bekannt geworden war, rückten städtische Bautrupps aus und richteten an allen Einfallstraßen die Beschilderung für die drei Kilometer breite Schutzzone um die Hafenstadt ein.

"Wir sind gut vorbereitet und haben alles im Griff", versichert Landrat Reinhard Sager. Vom Ministerium hat er am Freitagmorgen großes Lob bekommen - professionell und konsequent sei der Einsatz der Helfer im Kreis Ost-Holstein. Der Kreis ist gleich zwei Mal mit der Seuche konfrontiert: In Neustadt wurde eine mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1 infizierte Stockente gefunden, im Kurpark vom Timmendorfer Strand entdeckten städtische Mitarbeiter eine infizierte Ente. Auch dort stellen Bautrupps die Warnschilder auf. Zum ersten Mal nähert sich die Seuche einer Großstadt: Der Beobachtungsbezirk reicht bis in die Vororte von Lübeck.

Das Militär darf nur über die Schulter schauen

Katastrophenbilder wie aus Mecklenburg-Vorpommern gibt es in Schleswig-Holstein nicht: keine Soldaten in Schutzanzügen mit Sprühlanzen, keine Desinfektionswannen, keine Sturmboote zum Einsammeln der Vogelkadaver. Das soll auch so bleiben, stellt Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher (CDU) klar. "Wir haben keine Bundeswehr angefordert und es wird auch keine Desinfektionsschleusen geben. Das Leben geht ganz normal weiter."

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Im nördlichsten Bundesland waren die Behörden offensichtlich besser vorbereitet als die Kollegen auf Rügen. Die Militärs dürfen nur im zentralen Krisenstab in Kiel über die Schulter der Ministerialen schauen und mit ihren Jets im menschenleeren Wattenmeer an der Nordsee auf Anhäufungen toter Vögel achten.

Gesprächsthema, aber kein Anlass zur Sorge

Auch die Bevölkerung in Neustadt bleibt gelassen - von Panik keine Spur. Selbst die wenigen Wintertouristen am Hafen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. "Wieso sollten wir abreisen, überall in Deutschland könnten wir auf Tiere mit Vogelgrippe stoßen", sagt ein Ehepaar aus Nürnberg.

Auf dem Wochenmarkt war die Vogelgrippe zwar Gesprächsthema, aber kein Anlass zur Sorge. "Vogelpest hat es hier immer wieder gegeben", sagt ein Händler. Und sein Kollege ergänzt: "Die Welt tut ja so, als würden wir Geflügel roh essen. Bei uns kommt die Gans drei Stunden in den Ofen." Außerdem handle der Kreis verantwortungsvoll und habe aus den Vorfällen in Mecklenburg-Vorpommern gelernt.

Eine Urlauberhysterie wäre fatal

Auch einige Kilometer vor dem einladenden Ortschild "Willkommen in Timmendorfer Strand" stehen große weiße Tafeln mit den Worten "Geflügelpest" und "Sperrbezirk". Volker Popp ist seit sechs Jahren Bürgermeister des 9000-Einwohner-Örtchens, das im Krisenmanagement erfahren ist. Die Kurgemeinde stand schon manche Algenteppiche und ein Badeverbot durch. Auf die Tierkrankheit sei man bestens vorbereitet: "Uns überrascht das Ereignis nicht. Ich glaube nicht, dass eine große Hysterie ausbricht. Wir werden gezielt, sauber und offen kommunizieren: auch dass Gäste nicht gefährdet sind."

Eine Urlauberhysterie wäre fatal. Die Saison im Traditionsbad hat schon begonnen, im Ostseesand stehen die ersten Strandkörbe. Viele leben von den 300.000 Feriengästen, die über das Jahr verteilt kommen. Jennifer Klees zum Beispiel vermietet Ferienwohnungen. "Ich denke, dass die Gemeinde alles tut, was in ihrer Macht steht", sagt sie. Mit einem Einbruch bei den Gästezahlen rechnet sie nicht. Die Leute seien vernünftig genug. Auch Urlauber Andreas Roskosch sagt gelassen: "Ich muss einen toten Vogel doch nicht anfassen." Das habe er auch seinem fünfjährigen Sohn Michael eingeschärft, der beim Ausflug dabei ist.

"Ich habe keine Angst"

Die Touristin Ulrike Werner bummelt durch die Timmendorfer Innenstadt, einen wilden Stilmix von hübschen Vorkriegshäusern und 70er-Jahre- Bausünden. Vor einem Einrichtungsladen steht eine starre Gruppe von Möwen, Pinguinen und Gänsen - aus Gips. Ulrike Werner nimmt eine lebensgroße Gans in die Hand: "Die könnte mir gefallen." Den Virenfund finde sie "nicht so schön", sagt die 46-Jährige: "Ich werde wohl erst einmal kein Geflügel essen." Den Drei-Tage-Urlaub an der Ostsee lässt sie sich davon aber nicht verderben. "Das könnte mir zu Hause im Kreis Segeberg auch passieren."

Unweit von der Fundstelle des toten Vogels führt eine 68 Jahre alte Rentnerin ihren Münsterländer-Mischling aus. "Ich habe keine Angst", sagt sie, und dann: "Wenn ich nach Hause komme, werde ich dem Hund die Pfoten desinfizieren." Dabei blickt sie zu den Enten rüber.

Nur ein besorgter Anrufer am Bodensee

In Überlingen am Bodensee ist der Hafen mit rot-weißem Flatterband seit Freitagmittag abgesperrt. Nachdem an der Uferpromenade eine infizierte Tafelente tot aufgefunden wurde, hat man um den Fundort des Tieres eine Sperrzone eingerichtet. Die Feuerwehr desinfiziert das Gebiet; zwei Trupps in weißen Schutzanzügen und mit Gasmaske sind unterwegs. Ab und zu bleiben Passanten stehen, um das Geschehen zu beobachten.

Bei der Tourismusinformation in Überlingen gibt es bis zum Nachmittag nur einen einzigen Anruf zur Vogelgrippe - ein besorgter Urlauber, der am Wochenende an den Bodensee kommen will. Eine Mitarbeiterin beruhigt den Mann. Er werde nun auch kommen, sagt sie. Ansonsten habe es keine besorgten Anrufe gegeben.

AP · DPA
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