"Maritim" wurde 1969 als Label des John Jahr Verlag gegründet, der unter anderem Dokumentations-Schallplatten produzierte. Der Verlag Gruner + Jahr (in dem auch der stern erscheint) und die Bertelsmann-Gruppe etablierten die Marke seinerzeit als größten Konkurrenten des Hörspiel-Marktführers "Europa". Im Anschluss führte Carsten Hermann das Label rund 20 Jahre lang, 2014 ging die Marke inklusive des Gesamtkatalogs an den Unternehmer und Produzenten Sebastian Pobot aus München. Der 45-Jährige äußerte sich im Interview mit dem stern zu seinen eigenen Lieblingshörspielen und den Herausforderungen in der Branche durch Digitalisierung und Streaming.
Herr Pobot, in welchem Alter haben Sie selbst damit angefangen, Hörspiele zu hören?
Das muss in der zweiten Klasse gewesen sein. Damals habe ich mir "Das Gespensterschloss" im Bücherbus ausgeliehen. Es bereitete mir schlaflose Nächte.
Welches waren Ihre Lieblingstitel?
Wie bei vielen waren "Die drei ???" und "TKKG" der Beginn meiner Hörspiel-Leidenschaft.
2015 haben Sie mit "Maritim" das neben "Europa" und "Karussell" wohl bekannteste Hörspiel-Label in Deutschland übernommen. Eine Jugendliebe?
Ja definitiv, denn schon als Kind hörte ich das kleine Gespenst "Schubiduu...uh" oder "Edgar Wallace" – beides "Maritim"-Produkte. Andererseits war es auch eine strategische Entscheidung. Denn schon vor der "Maritim"-Übernahme habe ich Hörspiele und lizenzierte Marken des Verlags produziert, wie zum Beispiel "Professor van Dusen", "Batman" oder "Captain Future". Die Marke "Maritim" war daher der perfekte Weg, all diese Hörspiele unter einen Hut zu bringen, meinen bisherigen Katalog zu erweitern und die Mischung emotional aufzuladen.
Die Marke "Maritim" wurde Ende der 1960er-Jahre gegründet, ist älter als sie selbst - die Branche durchlebte in der jüngeren Vergangenheit einige Veränderungen: Früher waren Hörspiele auf Kassetten oder CDs in Plattenläden und später auf Flohmärkten zu kaufen, heute ist quasi das gesamte Angebot rund um die Uhr online erhältlich. Fühlen Sie sich eher wie der Chef eines Traditionsunternehmens oder der Leiter eines Start-Ups?
Die Musikbranche wurde schon oft totgesagt. Radio löste Schellack ab, die CD das Vinyl, Video killed the Radio Star ... Ich bin seit den frühen 90er-Jahren in der Branche tätig und produzierte damals viel kommerzielle Musik. Bis heute schreibe ich unter anderem Soundtracks für verschiedene TV-Sender. Selbst in dieser relativ kurzen Zeitspanne haben sich die Mechanismen und das Gesicht der Branche mehrmals transformiert - die Musikbranche ist zum Beispiel durch illegale Raubkopien oder Filesharing-Portale komplett untergegangen und nun wieder auferstanden.
Ein Traditionsverlag wie "Maritim" war der Erste, der die Internet- beziehungsweise Digitalisierungskrise zu spüren bekam, aber wir sind nun auch die Ersten, die es daraus wieder gestärkt herausgeschafft haben. Vor diesem Hintergrund ist "Maritim" in der Tat beides. Zum einen ist es ein alteingesessener Verlag, den viele aus ihrer Jugend kennen. Doch das Streaming lässt uns plötzlich top aktuell und digital anfühlen. Das wirkt sich auch auf die Hörgewohnheiten aus, die sich durchs Streaming komplett verändert haben. Während man in den 80er-Jahren ein Lieblingsalbum noch den ganzen Sommer lang hörte, so hört man heute ganze Staffeln oder Hörspiel-Serien auf dem Weg in den Urlaub oder zur Arbeit und dann nie wieder.
Das Hörspiel ist in meinen Augen die moderne, digitale Variante des Fortsetzungsromans geworden – den man einfach nebenbei "wegsnacked" und sich unterhalten lässt.
Wie groß ist mittlerweile der jeweilige Anteil von CD-Verkäufen, Downloads und Streaming am Gesamtgeschäft bei Hörspielen?
Im Fall von "Maritim": digital 90 Prozent, physisch zehn Prozent. Seit der Übernahme des Verlags, setze ich auf digital. "Maritim" war damit das allererste Hörspiel-Label, das seinen kompletten Katalog für das Streaming öffnete. Das verschafft uns nun einen Vorsprung. Die CD sehe ich eher als Nische beziehungsweise "Pflichtveröffentlichung" für einige wenige Hardcore-Sammler, die ein Exemplar in der Hand halten und im Regal stehen haben möchten.
Die Erlöse dürften bei Streaming-Portalen wie Spotify pro Stück deutlich geringer ausfallen als bei Downloads oder CD-Verkäufen. Lohnt sich das für Sie?
Der Digitalmarkt ist ein Massenmarkt, der von hohen Verkaufszahlen lebt. Während man früher viele Exemplare von einer Katalognummer verkaufen musste, reicht es heute, einen großen Katalog zu haben. Denn die "Long tail"-Theorie besagt, dass im Digitalmarkt jede noch so kleine Nische ihren Liebhaber findet. Das kann ich nur bestätigen. Natürlich ist es schön, erfolgreiche Serien wie "Sherlock Holmes", "Offenbarung 23", "Mimi Rutherfurt" oder "Oscar Wilde & Mycroft Holmes" zu haben, aber auch die weniger bekannten Titel, die nur einer kleinen Zielgruppe etwas sagen, werden gekauft. "Maritim" hat inzwischen den größten unabhängigen Hörspiel-Katalog, mit etlichen Serien, Sparten, Genres, in denen sich jeder wiederfinden kann.
Seit Sie bei "Maritim" das Ruder übernommen haben, haben Sie sowohl etliche Klassiker des Labels neu herausgebracht wie auch eigene Serien und Spin-Offs lanciert. Vor allem – so scheint es beim Blick in den Katalog – Geschichten rund um klassische Detektivfiguren. Was denken Sie fasziniert ihre Hörer an den alten Abenteuern von Sherlock Holmes, Professor van Dusen, Auguste Dupin oder Edgar Wallace?
Geholfen hat natürlich die Kino-Verfilmung mit Robert Downey Jr. und Jude Law. Die deutschen Synchronstimmen der beiden Schauspieler sprechen auch in unserer Serie "Sherlock Holmes & Co" die Hauptfiguren. Auch die Sherlock-Fassung von BBC mit Benjamin Cumberbatch und Martin Freeman hat ihren Beitrag zum Erfolg des Hörspiels geleistet. Dadurch wurde Sherlock Holmes in die Moderne transportiert. Allerdings hat jede Zeit ihren Holmes & Watson. Die Geschichten sind zeitlos.
Wir legen bei unseren Serien Wert darauf, etwas Neues, Besonderes zu finden, das uns von den übrigen unterscheidet. Beispielsweise hat Sherlocks Bruder Mycroft bei uns eine Serie zusammen mit Oscar Wilde. Eine tolle, schrullige, noch nie dagewesene Melange, die gut funktioniert und ankommt. Das Gleiche gilt für "Edgar Allan Poe & Auguste Dupin".
Die Denkmaschine "Professor van Dusen" löst bei uns alte wie neue Fälle. Diese stammen aus der Feder vom deutschen Original-Autor Michael Koser, der das Erfolgsrezept erfunden hat. Er bediente sich an den original "van Dusen"-Stories, ursprünglich erdacht von Jacques Futrelle, der leider mit der Titanic unterging. Vielleicht ist es aber auch die viktorianische Zeit, die auf uns einen gewissen Reiz ausübt. Eine Zeit, in der noch vieles in Ordnung schien. Nachvollziehbar, da im 21. Jahrhundert doch vieles neu, unsicher und bedrohlich erscheint ...
Wo liegen die Stolpersteine bei der Neuauflage der Klassiker?
Die Charaktere der Klassiker sind im Laufe der Jahrzehnte stark emotionalisiert worden. Viele kennen sie und haben durch Film und Fernsehen ein bestimmtes Bild im Kopf. Es ist unmöglich, dieses klassische Bild exakt zu treffen. Deshalb versuchen wir gar nicht erst eine "schlechte" Kopie zu produzieren, bei der man wohl nur auf die Nase fallen kann. Wir gehen aufs Ganze und kreieren wilde Mischungen an Charakteren und neuen Stories wie bei "Wilde & Holmes".
Was schlummert noch unveröffentlicht in der "Maritim"-Schatztruhe beziehungsweise was haben Sie in Planung?
Im vergangenen Jahr haben wir den "Märchenland"-Katalog (ehemals "Polyband") gekauft, den wir zurzeit remastern und nach und nach veröffentlichen. Aber die Schatztruhe von "Maritim" verspricht noch einige Glanzstücke. Dort schlummert zum Beispiel ein Original "Professor van Dusen"-Hörspiel von Michael Koser, das bereits vor Jahren mit Klaus Herm als Hatch aufgenommen wurde. Oder aber ein ganz neues Hörspielserien-Konzept von Jan Gaspard, dem Erfinder von "Offenbarung 23". Leider hat der Tag nur 24 Stunden. Aber diese Stücke möchte ich unbedingt in den nächsten Jahren veröffentlichen.