Die Kritik war zu heftig. Auch in den eigenen Reihen: Die NDR-Sendung "Panorama" nannte die Entscheidung, Xavier Naidoo für den ESC zu nominieren, das "falsche Signal". ARD-Hauptstadt-Korrespondent Arnd Henze sprach von einer "Fehlentscheidung", von der er hoffe, dass sie bald "korrigiert" werden würde. Das ist am Samstag, nur zwei Tage nach Bekanntgabe der Personalie, geschehen. Xavier Naidoo fährt doch nicht zum ESC.
Der NDR hat die Notbremse gezogen - und das ist gut so. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Kritik an Naidoo abgeebbt wäre. Im Gegenteil. In allen Pressekonferenzen in Stockholm wären immer dieselben Fragen zu Naidoos umstrittenen Äußerungen gestellt worden. Ein zermürbender Akt, der nicht nur dem NDR, dem Wettbewerb und Deutschland, sondern vor allem auch dem Sänger geschadet hätte.
Keine PR-Agentur der Welt hätte es geschafft, den Mannheimer als das zu präsentieren, was der Sender in ihm sah: Den hervorragenden Sänger, der Wärme ausstrahlt und bei dem "die Sonne aufgeht", sobald er die Bühne betritt. Nicht, weil das nicht stimmte. Seine Qualitäten als Musiker sind unbestritten. Doch das hätte beim ESC gar keine Rolle gespielt. Die teils haarsträubenden Äußerungen Naidoos wären stets im Mittelpunkt des Interesses gestanden.
Das hätte der NDR erkennen können - und müssen. Ein Blick in den Eintrag bei Wikipedia hätte genügt. Ein ganzes Kapitel befasst sich dort mit "Kontroversen". Und zwar keine, die Jahrzehnte zurückliegen und über die Gras gewachsen wäre. Auch wenn Naidoo ein toller Sänger ist, so einer darf bei keiner Veranstaltung auftreten, bei der am Ende nicht sein Name, sondern "Germany" auf der Ergebnistabelle steht.
Stefan Raab hat sehr viel Zeit
Und was nun? Nach dem Rückzug von Andreas Kümmert ist es bereits die zweite erfolglose Kandidatensuche in Folge. Wie soll der Teilnehmer für Stockholm bestimmt werden? Soll sich Deutschland gar eine Auszeit vom ESC nehmen? Es wäre die erste in der Geschichte des Wettbewerbs, an dem Deutschland seit 1956 als einziges Teilnehmerland ununterbrochen dabei ist.
Ein Retter muss her. Und was liegt da näher, als einen zu holen, der im nächstem Jahr sehr viel Zeit hat und ein Fan des ESC ist: Stefan Raab. Der hat für Ende des Jahres seinen Rückzug aus dem TV-Geschäft angekündigt. Doch der Entertainer, dem wir den Erfolg von Lena größtenteils zu verdanken haben, müsste gar nicht vor der Kamera stehen.
Mit seiner Firma Brainpool, die nach wie vor mit dem NDR in Sachen ESC zusammenarbeitet, könnte er einspringen. Raab verfügt über genügend Kontakte in der Musikindustrie, um einige Bands und Interpreten für einen Vorentscheid zusammen zu trommeln. Denn eines muss klar sein: Eine einsame Entscheidung hinter verschlossenen Türen, die darf es nicht mehr geben. Die Zuschauer wollen mitentscheiden dürfen, wer zum ESC fährt. Dass sie das durchaus können, haben sie mit Lena bewiesen.