Eurovision Song Contest 2013 Schrei, wenn du kannst

Feiernde Griechen im Schottenrock, ein Knuddelmonster aus Malta und ein Schrei-Rumäne im Glück: Das zweite ESC-Halbfinale endet mit verrückten Gewinnern und einem kopfschüttelnden Ralph Siegel.

Mit dem Euro klappt es nicht. Aber feiern, das können die Griechen. Noch bevor das Ergebnis feststeht, sorgen sie im Greenroom für Stimmung. Die fünf sympathischen Jungs der Band "Koza Mostra" flitzen durch den hinteren Bühnenbereich und klatschen ihre Fans ab. "Vielleicht waren die Leute betrunken, als sie für uns angerufen haben", werden sie hinterher sagen. Oder vielleicht doch schwerhörig? Denn gesanglich war es eher mittelmäßig, was sie zuvor in der Malmö-Arena abgeliefert haben. Aber um stimmliche Qualitäten ging es bei ihrem Song "Alcohol is free" ohnehin nicht. Er war eine Botschaft an Europa: Aufgepasst, wem nichts mehr bleibt, der kauft sich von seinen letzten Groschen einen Schottenrock und stürzt sich zu Ska-Klängen in Eskapismus - und den Alkohol. Die Nachricht ist angekommen. Hellas kommt weiter - und der Greenroom tanzt Sirtaki.

Der sogenannte grüne Raum, das ist der Saal hinter der Bühne, in dem die Teilnehmer nach ihrem Auftritt Platz nehmen, um das Ergebnis abzuwarten. Neben Griechenland stimmten dort am Donnerstagabend neun weitere Sieger in den Jubel ein. Ungarn, Aserbaidschan, Georgien, Rumänien, Norwegen, Island, Armenien, Finnland und Malta haben sich fürs Finale des Eurovision Song Contest qualifiziert und feierten in der Lederlounge des Grand Prix eine ausgelassene Party. Doch zwischen erleichterten Gewinnern saßen am Ende auch traurige Verlierer.

Ralph Siegel ohne Glück

Die israelische Teilnehmerin Moran Mazor weinte bittere Tränen. Lag es am viel zu tief ausgeschnittenen Kleid, an der Nana-Mouskouri-Gedächtnis-Brille oder vielleicht doch an der vorgetragenen Ballade? Im Gedächtnis blieben jedenfalls weder Song noch Auftritt. Ganz im Gegenteil zu der Ralph-Siegel-Nummer "Crisalide", die der deutsche Mister Grand Prix für Sängerin Valentina aus San Marino geschrieben hat. Viele Fans sahen in dem Weltverbesserungslied nicht nur einen Anwärter aufs Finale, sondern sogar auf einen der vorderen Ränge. Doch scheinbar eignen sich Ikealampen als Kristallkugeln, wie auf der Bühne gezeigt, doch nicht zur Zukunftsvorhersage. Sonst hätte Siegel das nahende Unglück sehen müssen. Stattdessen verkroch er sich kopfschüttelnd in das Sofa des Greenrooms. Ob er sich damit in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet, werden wir spätestens beim ESC 2014 erfahren.

Keine Überraschung hingegen, dass auch für die viel zu brave Schweizer Heilsarmee, die Glitterboys aus Lettland und den Albaner mit der brennenden Gitarre Endstation war. Die lettischen Jungs in ihren Lamettakostümen trugen es mit Fassung und feierten trotzdem. Frei nach dem Griechenmotto "Alcohol is free" stürzten sie sich auf die Getränke. Für Sängerin Esma aus Mazedonien, die den Kleidergeschmack von Winnie Mandela und das Organ von Joy Fleming besitzt, hatte das Ausscheiden allerdings einen bitteren Beigeschmack. Nicht nur weil sie auf dem Balkan ein gefeierter Star ist, sondern auch, weil damit die letzte Republik Ex-Jugoslawiens aus dem diesjährigen Wettbewerb ausgeschieden ist. Grand Prix ganz ohne Balkan - das gab es zuletzt 1985!

Kaukasus ist der neue Balkan

Da schlägt sich der Kaukasus besser. Sowohl das kitschig seichte Duett aus Georgien, als auch der Gitarrenrock aus Armenien sind weiter - und das obwohl Jerewan sich dieses Mal auf bärtige Männer statt auf barbusige Frauen verlassen hat. Ohnehin gesetzt war der Beitrag aus Aserbaidschan. Sänger Farid Mammadov lieferte auf der Bühne eine broadwayreife Show ab. Sein "Hold Me" darf ab sofort zum festen Kreis der Favoriten gezählt werden. Von Nervosität bei ihm keine Spur. So sind Sieger gestrickt. Über die Inszenierung mit dem riesigen Plexiglaskasten mag man zwar spotten - Kollege Stefan Niggemeier nennt es die Ziehung der aserbaidschanischen Lottozahlen, doch was da auf der Bühne geschieht, hat hohen Unterhaltungswert. Auch wenn das Glas am Ende nicht wie bei Eric Saade 2010 mit einem großen Klirren zerspringt.

Mit seiner Stimme zum Bersten bringen könnte er es: Kontertenor Cezar aus Rumänien. In einem furchterregenden Vampirkostüm scheint er sich den Frust des Lebens von der Seele zu schreien. "It's My Life" hat alles, wofür die einen den ESC hassen und die anderen ihn lieben: ein mit Windmaschinen, Pyrotechnik und Tänzern überfrachteter Auftritt und eine ohrenbetäubende Melodie. Skurril? Ja. Radiotauglich? Niemals. Aber andererseits ist der Krach so faszinierend schrecklich wie ein Horrorfilm. Man muss hingucken und -hören, obwohl man weiß dass es schrecklich endet. Der Schrei-Rumäne ist der Überraschungssieger des Abends.

Finnland liefert das Partylied

Der Titel Knuddelmonster des Abends gehört hingegen Gianluca. Dem singenden Doktor aus Malta scheint das Lächeln ins Gesicht getackert zu sein. Doch seine gute Laune ist eben nicht aufgesetzt, sondern kommt von Herzen. Wie ein kleines Kind bedankte er sich nach seinem Auftritt bei allen anderen Teilnehmern im Greenroom. Herzte hier, knuddelte dort - sehr sympathisch. Und sein Song "Tomorrow" ist so herrlich entspannt, dass man seinen Urlaub sofort von Malle auf Malta umbuchen möchte. Von eher kühlem Charme war dagegen der Auftritt der Norwegerin Margaret Berger. Mit zurückgebundenem Zopf und im Raumschiff-Enterprise-Overall sang sie "Feed You My Love" - was aus ihrem Mund wie ein Befehl, nicht wie eine Einladung klingt. Die blonde Version von Grace Jones verteilte danach im Greenroom Luftküsse.

Den Reigen der verrückten Gewinner komplettieren Eythor Ingi aus Island und Krista Siegfrids aus Finnland. Er ein zotteliger Wikinger, der eine getragene Ballade singt, sie eine aufgedrehte Katy-Perry-Kopie, die endlich heiraten möchte. "Marry me" heißt ihr Song, dessen simpler Refrain erschreckenderweise im Ohr hängen bleibt wie einst Bohlens "Cheri-Cheri-Lady": "Uh-ah-ah, Ding Dong." Im Greenroom dingte und dongte es den ganzen Abend, auch wenn nicht - wie in Malmöer Clubs in dieser Woche bereits geschehen - Polonaise dazu getanzt wurde. Ihren Lesbenkuss am Ende musste Siegfrids dem Vernehmen nach auf Anweisung des Aufnahmeleiters entschärfen. Statt geknutscht wurde nur noch gebützt. Der Karnevalsstimmung auf und hinter der Bühne tat das keinen Abbruch. "Marry Me" ist das Partylied Malmös.

Am Samstagabend darf die Party weitergehen. Dann treffen die zehn Gewinner des ersten und die zehn Gewinner des zweiten Semifinals auf die Big Five (Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland) und das Gastgeberland. Die Schweden haben bereits angekündigt, das Finale in die verrückteste Grand-Prix-Party aller Zeiten verwandeln zu wollen. Diesmal nicht nur im Greenroom, sondern auch in der Arena. Ein dreifach donnerndes Ding Dong auf Malmö!

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